Rabbiner Schwartz

Schon auf der Straße hört man laute Gesänge, von allen Seiten strömen Juden mit Strejmel1, Bekische2, Bart und Pejes3 herbei, um in der Wohnung von Rabbiner Schwartz, mitten im 2. Bezirk, auf traditionell-chassidische Weise Purim&sup4; zu feiern. Es herrscht eine ausgelassene, feucht-fröhliche Stimmung. Purim ist jener Feiertag, an dem – ganz untypisch für Juden – übermäßiger Alkoholgenuss sogar geboten ist. Ein wahrlich ungewohnter Anblick.
Von Martin Engelberg (Text) und Peter Rigaud (Fotos)

Inmitten der laut singenden, tanzenden und lachenden Chassidim, samt verkleideten und ebenso übermütig feiernden Kindern und Jugendlichen, steht Rabbiner Schwartz, stimmt Lieder an, hält launige Reden, umarmt Neuankommende und lässt es sich nicht nehmen, jeden Einzel­nen mit einem Glas Wein und einem lauten „Lechaim“ zu begrüßen.
Man reibt sich die Augen, aber das ist Chassidismus pur: Ein Rabbiner, eigentlich ein Rebbe&sup5; im besten Sinn, der sonst eher verschlossen ist, sich im Studium der Lehre und dem Gebet vertieft, der durch sein Eintreten höchste Ehrfurcht bei seinen Anhängern hervorruft, zeigt sich von einer ganz anderen Seite. Er feiert mit seinen Chassidim in einer Tradition, die sich seit Jahrhunderten – nahezu unverändert – erhalten hat.
Bei Rabbiner Schwartz’ Purim-Feier ereignet sich jedoch noch etwas Be­­merkenswertes: Im Laufe des Abends gesellen sich zu seinen Chassidim auch immer mehr Feiernde aus praktisch allen anderen Teilen der jüdischen Gemeinde in Wien. Nach und nach erscheint alles, was in der Gemeinde Rang und Namen hat: Oberrabbiner Eisenberg, Mag. Fasten­bau­er, Generalsekretär der Kultusgemeinde, der Rabbiner der Misrachi, Vertreter der Lubawitscher, der Leiter der Jeschiwa in der Großen Mohrengasse – alle kommen, trinken „Lechaim“, umarmen, singen und tanzen mit Rabbiner Schwartz.
Die Tatsache, dass Rabbiner Schwartz von allen Seiten der Gemeinde so viel Respekt und Sympathie gezollt wird, macht ihn nicht nur für die Mitglieder seiner eigenen Gemeinde, sondern auch für zahlreiche religiöse Juden aus anderen Bethaus-Gemeinden zu einem beliebten Ansprechpartner. Dabei berät Rabbiner Schwartz seine Besucher und Anhänger nicht nur in religiösen Fragen, sondern auch in vielen anderen Belangen des täglichen Lebens.
Rabbiner Jona Schwartz wurde 1948 als Jona Farkas in Budapest geboren. Seine Familie stammt von diversen hoch-angesehenen chassidischen Häusern ab: Spinke&sup6;, Belz&sup7;, Sadagora&sup8;. Er ist ein großer Anhänger vom alten Satmerer&sup9; Rebben, Rabbiner Joel Teitelbaum (1887–1979) und seinen Nachfolgern, u. a. dem Wishnitzer Rebbe von Monsey. Schon der Vater von Rabbiner Schwartz war Rabbiner, allerdings verbinden ihn mit ihm nur wenige Erinnerungen. Der Vater starb 1954 im Alter von 28 Jahren an den Spätfolgen seines Lageraufenthalts in Mauthausen, als der Sohn gerade 6 Jahre alt war. Die Mutter ging 1956 über Wien allein mit ihm und seinen Geschwistern nach Israel. Dort heiratete sie ein zweites Mal. Die Kinder nahmen den Namen ihres Stiefvaters an und zogen später mit ihm nach Großbritannien. Rabbiner Schwartz selbst ging in Großbritannien bei einem großen Rabbiner „in die Lehre“, dem aus Wien stammenden Hanuch Padwa (sein eigentlicher Familienname war Taube). Obwohl er im Wien der 20er Jahre ein Begabten-Stipendium erhielt, hatte Padwa nicht an einer Universität studiert, sondern wurde ein großer Talmud Chacham¹0; und später Oberrabbiner der orthodoxen Juden in England.
Rabbiner Padwa verschaffte sich einen Namen, unter anderem auf dem Gebiet der Kaschrut¹1; und war darin ein großer Lehrmeister für Rabbiner Schwartz, der heute mittlerweile selber als international anerkannte rabbinische Kapazität in diesem Bereich gilt. Rabbiner Schwartz liest wissenschaftliche Arbeiten über Lebensmittelchemie, kennt alle Kodizes der Zutaten, diskutiert und berät sich mit Chemikern, Apothekern – alles, um nicht nur seinen Anhängern, sondern der jüdischen Gemeinschaft insgesamt ein verlässlicher und vertrauenswürdiger Garant dafür zu sein, dass ein ganz bestimmtes Produkt gesichert und verbürgt koscher ist, wenn es sein Koscher-Siegel trägt. 1982 kam Rabbiner Schwartz nach Wien, er baute gemeinsam mit seiner Rebbezen¹2; – auch sie stammt aus besten chassidischen Familien – eine kinderreiche Familie auf. Bei der Erziehung seiner Kinder war Rabbiner Schwartz sehr darauf bedacht, dass auch sie mit derselben Hingabe und Inbrunst die Traditionen weiterführen werden, wie er es ihnen vorführt. Sein Umgang mit nicht orthodox lebenden Juden ist eine Mischung aus einem Laisser-faire, d.h. jeder soll selbst entscheiden, wie er lebt, und dem Angebot an alle, die Interesse zeigen, zu helfen. Rabbiner Schwartz zeigt sich sehr interessiert an allem in der Welt und fragt die ihn umgebenden Menschen immer danach, „was sich tut in der Welt“.

Seit 7 Jahren steht Rabbiner Schwartz seiner Bethaus-Gemeinde „Khal Chassidim“ vor, die sich in der Großen Schiffgasse im 2. Bezirk befindet und ein Teil der Gemeinde „Khal Israel“ ist. Dort versammeln sich seine Anhänger und leben nach den strengsten chassidischen Traditionen. Die Anhänger sind teilweise berufstätig, viele handeln mit Immobilien, sind Kaufleute, Großhändler. Die chassidische Tracht (Strejmel, Bekische, Kapote usw.) besorgen sie sich in Israel, London und Antwerpen.
Rabbiner Schwartz hält zahlreiche Shiurim¹3; und beaufsichtigt die Heraus­gabe der jährlich erscheinenden Kaschrut-Liste, die für religiöse und die Kaschrut-Gesetze befolgenden Juden ein sehr wichtiger Ratgeber ist. Obwohl er mit dem Tora-Studium, seiner Synagoge und Kaschrut-Angelegen­heiten sehr beschäftigt ist, organisiert er Unterstützungsmaßnahmen für Be­­dürftige aus allen Kreisen der jüdischen Gemeinde.

1 Strejmel: Hut mit Pelzkrempe, die von Chassidim an Schabbat, Feier- und Festtagen getragen wird.
2 Bekische: langer Mantel, zumeist aus schwarzer Seide, die Chassidim vor allem an Schabbat, Feier- und Festtagen tragen.
3 Pejes: Schläfenlocken; wie von streng orthodoxen, vor allem chassidischen Männern getragen.
4 Purim: ist ein Fest, das an die Errettung des jüdischen Volkes in Persien erinnert. Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, versuchte die gesamten Juden im Perserreich auszurotten, wobei die jüdische Frau des Königs Achaschwerosch (historisch: Xerxes I.) Esther die Errettung herbeiführt.
5 Rebbe: jiddisch – Meister, Lehrer oder Mentor – bezieht sich auf den Anführer einer chassidischen Gruppe.
6 Spinke: Ist der Name einer chassidischen Gruppe, die aus Maramures/Rumänien, in der Nähe der ungarischen Grenze, aus einem Ort namens Sapanta – auf jiddisch Spinke – stammt.
7 Belz: Der Name einer chassidischen Dynastie, genannt nach dem Städtchen Belz, ursprünglich in Polen gelegen, heute Ukraine.
8 Sadagora: Eine chassidische Dynastie, welche aus der Ruzhiner Dynastie stammt. Sadagora war ursprünglich ein Stedtl am äußersten östlichen Rand von Österreich-Ungarn, wurde eingemeindet in das Städtchen Chernivtsi und befindet sich heute in der Ukraine.
9 Satmarer: Eine der größten chassidischen Dynastien, stammend aus Szatmarnementi (heute: Satu Mare, Rumänien, früher Ungarn), bekannt auch für ihre ausdrücklich anti-zionistische Haltung.
10 Talmud Chacham: hebr. wörtlich: Schüler der Weisheit, Ehrenbezeichnung für einen Tora-Gelehrten
11 Kaschrut: die jüdischen Speisegesetze
12 Rebbezen: Frau des Rabbiners
13 Shiurim: Unterricht religiöser Lehre

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