Rabbiner Niasov

von Martin Engelberg (Text) und Peter Rigaud (Fotos)

NU: Wie wurden Sie denn Rabbiner?

Rabbiner Niasov: Meine Frau hat mich jeden Tag bearbeitet Rabbiner zu werden und der Baal Shem Tow (Rabbiner Israel ben Eliezer 1698-1760, Gründer des Chassidismus) sagt, dass alles, was ein Mensch hört, eine bestimmte Wirkung hat und wahrscheinlich hat das bei mir doch gewirkt. Ich habe dann dem Lubawitscher Rebbe geschrieben, der Rebbe hat sehr positiv geantwortet und dann hat es sich langsam aber sehr gut entwickelt. Ich kam nach Wien zu Rabbiner Israelov zur Probe, dann hatte ich einen Traum, der Lubawitscher Rebbe ist mir erschienen. Da habe ich mir gesagt, das ist doch eine gute Möglichkeit zu fragen, ob ich in Wien bleiben soll, und der Lubawitscher Rebbe hat gelächelt und gesagt: Natürlich sollst du hier bleiben, es sind doch alle deine Freunde hier. Ich verstand nicht, wer meine Freunde sein sollen, ich kannte hier niemanden. Dann dachte ich darüber nach und kam drauf, dass ein Nachbar von mir, von Kfar Chabad, hier in Wien lebte. Es war wie ein Wunder, dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte. Auch der frühere Rabbiner der georgischen Gemeinde, Rav Michalashvili, war der Schwiegersohn von einem anderen Nachbarn in Kfar Chabad. Schon kannte ich sehr wohl zwei Leute hier in Wien. Das war ein Zeichen vom Rebben, hier in Wien zu bleiben und dass ich seinen Segen habe.

Jetzt sind Sie und Rav Israelov Rabbiner der bucharischen Gemeinde hier in Wien. Wer hat denn jetzt welche Funktion?
Ich bin der Oberrabbiner der bucharischen Gemeinde hier in Wien. Er ist der Rabbiner einer Bethausgemeinde. Es gibt zwei unterschiedliche Funktionen von Rabbinern. Es gibt den Oberrabbiner einer Gemeinde und dann den Rabbiner einer Bethausgemeinde. In diesem Fall gab es – wie Sie sicher wissen – auch Konflikte und Schiedssprüche des Rabbinatsgerichts von Tel Aviv und der Stand ist, dass ich die Verantwortlichkeit über die gesamte bucharische Gemeinde habe.

Es gibt ein Komitee, das für die Kaschrut der sefardischen Juden zuständig ist. Wie funktioniert das?
Ja, es gibt das Kaschrut Komitee von zwei Hauptrabbinern, dem Oberrabbiner der bucharischen Gemeinde, das bin ich, und Rav Hotoveli, dem Oberrabbiner der georgischen Gemeinde, und wir sollten zwischen uns einen dritten Rabbiner auswählen, wenn wir uns nicht einig sein sollten.

Gab es schon Unstimmigkeiten? Wer ist dann der Dritte?
(lacht)
Die bucharischen Juden lebten über zwei Jahrtausende sehr abgeschieden. In dieser Zeit gab es sehr wichtige Entwicklungen in der Halacha (dem jüdischen Gesetz), so zum Beispiel den Schulchan Aruch (Kodex der Halacha erstellt im 16. Jahrhundert von Rabbi Joseph Karo).

Der Schulchan Aruch wird von allen, auch von allen Sefardim akzeptiert. Wenn unsere Minhagim nicht mit Joseph Karo übereinstimmen – ist das nicht ein so großer Konflikt. Karo schrieb in der Einleitung, dass wenn jemand bereits bestimmte Minhagim haben sollte, solle er bei diesen bleiben und müsse Karo nicht akzeptieren. In Marokko, im Irak, Jemen usw. gab es keinen bestimmten Minhag, die mussten den Schulchan Aruch akzeptieren. Bei uns war das nicht so – wir hatten bereits einen bestimmten Minhag.

Dürfen Bucharen mehrere Frauen haben?
Ja, ich selbst kenne Bucharen, zum Beispiel in Jeruschalaim, die zwei Frauen haben. Bei den Sefardim war das nie so streng verboten. Sefardim haben den Cherem (Bann) von Rabbi Gershom ja nicht akzeptiert (Rabbi Gershom ben Judah gab zirka um das Jahr 1000 ein Edikt heraus, wodurch die Polygamie ausdrücklich verboten wurde. Dieses Edikt wurde jedoch nur unter Ashkenazim anerkannt).

Halten die bucharischen Juden in Wien die alten bucharischen Minhagim?
Ja, auch wenn einige Minhagim eher so wie die ashkenazischen Minhagim sind. Zu Pessach wird z.B. Reis zwar schon gegessen wie bei den Sefardim, aber wir essen viele Hülsenfrüchte wie z.B. Humus nicht. Meine Eltern haben z.B. auch keinen Reis gegessen.

Bucharen sind also eigentlich ein ganz eigener Teil der jüdischen Tradition, zwischen Ashkenazim und Sefardim.
Ja, so ist es und warum auch nicht. Ich finde das eigentlich sehr schön.

Gibt es das noch immer, dass Mädchen sehr jung, im Alter von 13, 14 Jahren verheiratet werden?
Ja, weil bucharische Juden immer Angst um ihre Mädchen gehabt haben. Aber sie leben heute in einer Welt, wo das undenkbar, ja sogar verboten ist. Es ist heute nicht mehr so wie damals. Unsere Mädchen heiraten mit 18, 19 und älter.

Wenn eine Familie zu Ihnen kommt und das Mädchen 15 Jahre alt ist – würden Sie dieses Mädchen verheiraten?
Ich glaube, dass das in Österreich erlaubt ist und daher würde ich das machen. In Israel wäre das strengstens verboten. Dort darf ein Mädchen erst mit 17 heiraten. Aber auch wenn er erlaubt ist, würde ich schauen ob das Mädchen wirklich reif für eine Hochzeit ist.

Wie sehen Sie Ehen von Bucharen mit ashkenazischen Partnern?
Ja, es ist mir in letzter Zeit aufgefallen, dass es das langsam immer mehr gibt. Vor 10 Jahren war das noch gar nicht so. Das freut mich sehr, ich habe damit kein Problem.

Was machen die Bucharen in Wien beruflich? Gibt es Schuster, Schlüsseldienste die nicht Bucharen sind?
Das war vielleicht vor 20 Jahren so. In den letzten 10 Jahren waren es mehr die Handygeschäfte und in den letzten 3 bis 4 Jahren beschäftigen sich viele der jungen Leute mit Immobilien. Das finde ich toll.

Glauben Sie, dass die Bucharen in Wien bleiben werden?
Die bucharischen Juden haben hier eine starke Zukunft, auch wenn das wirtschaftliche Umfeld sicher schwieriger geworden ist. Das ist bei den Bucharim vielleicht anders als bei den anderen Gruppen, die dann oft weiterziehen wenn es wirtschaftlich schwierig wird.

Kommen weitere bucharische Familien nach Wien?
Heute nicht mehr. Es ist heute sehr schwer geworden, etwas ganz neu aufzubauen.

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