Pro und Contra: BDS

Wann ist Kritik an israelischer Regierungspolitik antisemitisch? Mit der BDS-Kampagne sympathisieren auch prominente jüdische Aktivisten. © Creative Commons

Boykott als Lösung? Unter dem Slogan „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“ ruft die transnationale BDS-Bewegung zur wirtschaftlichen und kulturellen Ausgrenzung Israels auf. Der österreichische Nationalrat verurteilte die Bewegung vergangenes Jahr scharf. Die Debatte bleibt: Werden unter dem Vorwurf des Antisemitismus berechtigte Forderungen für das Anliegen der Palästinenser „gecancelt“?

Pro: BDS als falsche Zielscheibe

KOMMENTAR VON ERIC FREY

Cancel Culture ist ein Vorwurf, der üblicherweise gegen linke Bewegungen und Initiativen erhoben wird, die im Kampf gegen Rassismus, Sexismus und andere Formen der Intoleranz alle von ihrer Linie abweichenden Meinungen aus dem öffentlichen Leben verbannen wollen. Wenn es um Israel und Judentum geht, sind es hingegen meist linke Stimmen, die zur Zielscheibe einer geistigen Auslöschungspolitik werden.

Im Visier dieser vom Staat Israel, jüdischen Organisationen und ihren nichtjüdischen Sympathisanten getragenen „Cancel Culture“ steht die BDS-Bewegung, die unter dem Slogan „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“ zur wirtschaftlichen und kulturellen Ausgrenzung Israels aufruft. Seit ihrer Gründung durch palästinensische Aktivisten vor 16 Jahren wird der BDS-Bewegung vorgeworfen, sie betreibe die Vernichtung des jüdischen Staates und trete mit ihrem Boykott-Aufruf in die Fußstapfen der „Kauf nicht bei Juden“-Kampagnen des NS-Regimes. Damit mache sie sich gleich doppelt des Antisemitismus schuldig.

In Europa und Nordamerika erhielt BDS in den vergangenen Jahren viel Zulauf; als Folge werden zahlreiche israelkritische und israelfeindliche Stimmen unter Antisemitismusverdacht gestellt. Dazu trägt auch die weitreichende Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bei, unter der Kritik an der israelischen Besatzungspolitik als „neuer Antisemitismus“ interpretiert werden kann.

Für Israel stellt der Erfolg der BDS-Bewegung eine reale Bedrohung der wirtschaftlichen und diplomatischen Interessen dar, was den erbitterten Widerstand der Regierung und anderer Institutionen erklärt. Eine vergleichbare Kampagne hat in den 1980er Jahren das südafrikanische Apartheid-Regime in die internationale Isolation getrieben.

Überraschender ist die Bereitschaft der deutschen und österreichischen Politik, sich dem Kampf gegen BDS vorbehaltlos anzuschließen. In einer Resolution im Mai 2019 hat der deutsche Bundestag mit großer Mehrheit die BDS-Kampagne als Form des Antisemitismus verurteilt und zu ihrem Boykott durch alle öffentlichen Einrichtungen in Deutschland aufgerufen. Der österreichische Nationalrat folgte im Februar 2020 mit einer Entschließung, die zwar im Wortlaut die Gleichsetzung von BDS und Antisemitismus vermied, aber durch eine enge Verknüpfung die gleiche Botschaft sandte.

Vor allem der Aufruf des Bundestags zeigte Wirkung. 2020 geriet das Kulturfestival Ruhrtriennale mit seiner Leiterin Stefanie Carp wegen der Einladung des kamerunischen Philosophen Achille Mbembe als Eröffnungsredner unter Beschuss. Mbembe hatte in früheren Jahren BDS-ähnliche Aufrufe unterstützt und in seinen Schriften Parallelen zwischen Kolonialismus und Holocaust gezogen.

Das Festival wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt, aber die Debatte vergiftete die intellektuelle Atmosphäre in Deutschland. Im Dezember 2020 wandte sich daher eine breite Allianz von angesehenen Kulturinstitutionen unter dem Namen „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ in einem offenen Brief gegen die „missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs“. Sie wurde dafür in den Medien wiederum als verkappte Antisemitismusapologeten verdammt, neben der Frankfurter Allgemeinen und der Neuen Zürcher Zeitung auch in der linksliberalen Zeit durch den ehemaligen Chefredakteur Josef Joffe. In Österreich blieb diese Debatte weitgehend aus, aber auch hierzulande reicht es heute, jemanden der BDS-Nähe zu bezichtigen, um ihn zum Antisemiten zu stempeln und öffentliche Auftritte zumindest zu erschweren.

Nun ist es ein großer zivilisatorischer Fortschritt, wenn acht Jahrzehnte nach der Schoah Antisemitismus in den Geburtsländern der NS-Ideologie als Tabu gilt – und auch versteckte Formen des Judenhasses offengelegt und angeprangert werden. Genauso wie im Kampf gegen strukturellen Rassismus mag hier eine Art der Cancel Culture angebracht sein. Die Frage ist allerdings, ob BDS für diese Art der geistigen Reinigung eine geeignete Zielscheibe ist. Ja, sagen die einen, und sehen hinter der Bewegung ein trojanisches Pferd für Judenhass. Aber ist nicht viel mehr die Dämonisierung von BDS ein Instrument, um legitime Kritik an der Unterdrückung von Millionen Palästinensern durch die israelische Besatzungspolitik abzuwürgen?

Aus der Geschichte und der offiziellen Diktion von BDS lässt sich der Antisemitismusvorwurf gegen die Bewegung nicht erhärten. Wirtschaftlicher Druck ist ein gewaltfreies Instrument des Widerstands, und mit der Gründung von BDS im Jahr 2005 bekannten sich palästinensische Gruppen nach dem Scheitern der zweiten Intifada zu gewaltfreien Methoden zur Erreichung ihrer Ziele. Auch die Ziele selbst sind weder antisemitisch noch antiisraelisch: Das Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967 wird nicht infrage gestellt, durch die Forderung nach völliger Gleichstellung aller israelischen Staatsbürger sogar bestätigt. Und der Aufruf, „die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat zurückzukehren“ zu sichern, verweist auf die UN-Resolution 194 aus dem Jahr 1948, die auch Israel damals akzeptiert hat. Daraus Antisemitismus abzuleiten, ist absurd.

BDS ist allerdings keine straff geführte Organisation, sondern eine lose Kampagne, die unterschiedliche Gruppen und Aktivisten nutzen. Die internationale BDS-Webseite spricht im Zusammenhang mit Israel offen von Apartheid, was die deutsche und österreichische Webseite nicht tut. Auch der Apartheid-Vorwurf gegen Israel mag zwar überzogen sein, er ist aber nicht abwegig, solange er die Ungleichbehandlung von Juden und Arabern im Westjordanland betrifft.

Weite Teile der BDS-Literatur zielen offen oder indirekt auf die Schaffung eines binationalen israelisch-palästinensischen Staates anstelle des seit 2018 kodifizierten jüdischen Nationalstaates. Das wäre zwar das Ende Israels, wie wir es heute kennen, stellt aber das Recht von jüdischen Israelis, gleichberechtigt in ihrer Heimat zu leben, nicht infrage. Diese Position ist anti-israelisch und vielleicht realitätsfern, aber sie ist nicht antisemitisch – und wird auch von prominenten israelischen Intellektuellen vertreten.

Problematischer ist der Eindruck, dass BDS-Unterstützer die israelische Zivilgesellschaft boykottieren. Das trifft auch Vertreter des israelischen Friedenslagers, die eigentlich mit vielen BDS-Forderungen konformgehen. Gerechtfertigt wird diese pauschale Ablehnung in BDS-Aussagen mit deren Nähe zu staatlichen Stellen, die wiederum mit dem Militär verbunden sind. Ein solcher kollektiver Boykott ist nicht nur moralisch angreifbar, sondern auch taktisch unklug – wenn es die BDS-Bewegung mit ihrem deklarierten Ziel des friedlichen Zusammenlebens tatsächlich ernst meint.

Und schließlich verstecken sich unter dem BDS-Schirm auch Personen, die eine arabische Rückeroberung Israels wünschen und zwischen Israelis und Juden nicht unterscheiden. Ja, linker Antisemitismus gedeiht im BDS-Biotop. Das gehört im Einzelfall aufgezeigt und angeprangert. Und es ist wichtig, dass die prinzipielle Verteidigung von BDS nicht dem Judenhass ein Mäntelchen der Legitimation verleiht. Aber genauso identifizieren sich mit BDS auch jüdische Aktivisten, die das Unrecht, das Israel im Namen des jüdischen Volkes an den Palästinensern begeht, nicht tatenlos hinnehmen wollen.

Es ist notwendig, sich mit der BDS-Bewegung kritisch auseinanderzusetzen. Man kann – je nach eigener politischer Einstellung – ihre Ziele, Sprache und Taktik zerpflücken, man kann sie auch vehement ablehnen. Aber die Gleichsetzung einer Bewegung des gewaltfreien Widerstands gegen eine endlose Besatzungspolitik mit dem moralischen Verbrechen des Antisemitismus ist unvertretbar. Wer – wie die Parlamentarier in Berlin und Wien – dies dennoch tut, fördert eine israelische Politik, die kein Interesse an einer Friedenslösung mit den Palästinensern hat.

Kontra: Zu Recht verurteilt

KOMMENTAR VON MARTIN ENGELBERG

Mit Entschließungsantrag wurden die BDS-Bewegung und ihre Ziele im österreichischen Parlament – einstimmig – „scharf“ verurteilt. Weiters sollen solchen Organisationen in Österreich keine Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung gestellt und BDS-Veranstaltungen weder finanziell noch in anderer Form gefördert werden.

Gut so! Als einer der Sponsoren dieses Entschließungsantrages vom 11. 12. 2019 war mir die Annahme dieses Antrages und die einhellige Zustimmung im Parlament (anders als z.B. in Deutschland, wo die Linke und AfD nicht zustimmten) eine besondere Genugtuung. Warum?

Seit Jahrzehnten beschäftigt uns die Frage, wann Kritik bzw. politisches Agieren gegen Israel antisemitisch ist. Bis heute wird oft argumentiert, die Kritik richte sich doch „nur“ gegen die Politik Israels, dies müsse erlaubt sein und „das“ würde man doch noch sagen dürfen. Im Laufe der letzten Jahre haben sich die „3 Ds“ als Erkennungsmerkmale antisemitischer Agitation gegen Israel durchgesetzt:

  1. Dämonisierung: Vergleich Israels mit den Nazis, Israel sei der Inbegriff des Bösen, der „Satan“, Israel hätte ein Terrorregime, usw.
  2. Doppelstandards: Israel wird anders als alle anderen Staaten behandelt, Israel wird in internationalen Organisation öfter verurteilt als alle anderen Staaten der Welt zusammen, usw.
  3. Delegitimierung: Israel wird sein Existenzrecht abgesprochen, es sei ein Überrest des Kolonialismus, usw.

Die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition, Sanktionen – gegen Israel) erfüllt diese „3 D“-Kriterien in ihrem Agieren gegen Israel auf geradezu exemplarische Weise. Manche Verteidiger argumentieren, die BDS-Bewegung sei eine sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Ansichten; und es würden auch Juden und Israelis zu deren Unterstützern zählen – ein (historisch belegbar) denkbar schlechtes Argument.

Wahr ist vielmehr: Der Leiter der BDS-Bewegung, der palästinensische Aktivist Omar Barghouti, sagt in Interviews: „Definitiv, äußerst definitiv lehnen wir einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas ab“ und bezeichnet Israel als einen „Schurkenstaat“. Auf Nachfrage der Neuen Zürcher Zeitung bestätigt Barghouti unter anderem im Jahr 2017, was BDS-Protagonisten weltweit unentwegt verkünden: Israel sei ein rassistischer „Apartheidstaat“. Israel solle isoliert und in die Knie gezwungen werden: „Es ist unmöglich, Israel als jüdischen Staat auf unserem Land zu akzeptieren.“ Und er betont ausdrücklich, dass es mit dem „jüdischen, unterdrückerischen und rassistischen Staat Israel“ keinen Frieden gebe und dieser langfristig weg müsse.

As’ad Abu Khalil, ein weiterer führender BDS-Aktivist, sagt: „Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser sind unvereinbar mit der Existenz des Staates Israel.“ Und schließlich verlangt die jüdische Ikone der BDS-Bewegung, Judith Butler, dass die Israelis den Einsatz für den jüdischen Staat und für ein eigenes Heimatland aufgeben sollen.

Quod erat demonstrandum: Die BDS-Bewegung dämonisiert und delegitimiert Israel, spricht dem Staat das Existenzrecht ab und verwendet doppelte Standards – sie ist daher antisemitisch.

Nicht genug: Die BDS-Bewegung fordert die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge. Weil sich bekanntlich der Flüchtlingsstatus bei den Palästinensern vererbt – was einzigartig auf der Welt ist –, sind das heute ca. sieben Millionen Menschen. Deren Migration nach Israel wäre das Ende des Staates. Die BDS-Bewegung lädt Terroristen wie Leila Khaled ein und bejubelt sie. Vor allem in den USA und Großbritannien werden israelische Wissenschaftler ausgeladen, boykottiert und teils sogar körperlich drangsaliert. Bedarf es da noch irgendwelcher Beweise dafür, welcher Art diese Bewegung ist?

In Deutschland erschien jedoch im Juni 2019 ein „Aufruf an die Bundesregierung von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern: Setzen Sie BDS nicht mit Antisemitismus gleich!“ Weiters veröffentlichten Intendanten deutscher Kulturinstitutionen im Dezember 2020 ein „Grundsatz-Statement“, das sich kritisch mit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung auseinandersetzt. In Deutschland führten diese Aufrufe zu einigen sehr hitzigen Debatten, vor allem in einschlägigen Kreisen und Medien, allerdings ohne Resonanz in der breiteren Öffentlichkeit. Nach Österreich gelangte die Diskussion – erfreulicherweise – gar nicht. Zumal die BDS-Bewegung in Österreich auch keine nennenswerte Unterstützung besitzt.

Wir wollten uns in unserer Zeitschrift NU trotzdem nochmals dem BDS-Thema widmen, und zwar im Zusammenhang mit der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Cancel Culture“, welche die öffentliche Debatte in den USA so fest im Griff hat. Es geht dabei um Exzesse bei der Entscheidung, was man in der Öffentlichkeit sagen darf und was nicht, wo Sprache und Verhalten zunehmend rigid geregelt wird. Dazu stellen sich folgende Fragen:

  1. Ist die BDS-Bewegung als antisemitisch zu bezeichnen?

Ja, wie oben ausgeführt und in der Zwischenzeit durch zahlreiche Resolutionen und Statements u.a. in den USA, Deutschland, Großbritannien, Österreich usw. auch klar bezeichnet und festgeschrieben.

  1. Stellen der österreichische Entschließungsantrag im Parlament und ähnliche Initiativen ein Redeverbot dar?

Nein! Der Antrag verurteilt die BDS-Bewegung, ruft dazu auf, dieser keine Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und Veranstaltungen nicht zu unterstützen. Es findet sich jedoch darin kein Wort, dass die israelische Regierungspolitik nicht kritisiert werden dürfe.

  1. Ist das sehr rigorose Vorgehen der meisten westlichen Staaten gegen die BDS-Bewegung sinnvoll oder womöglich kontraproduktiv?

Diese Frage zu beantworten, ist durchaus sehr schwierig. Tatsache ist jedenfalls, dass die BDS-Bewegung in einigen Ländern sehr schrill und präsent ist, aber bisher – erfreulicherweise – nur einen sehr geringen Einfluss hat. Das ist sicher ein Verdienst des entschlossenen Vorgehens gegen die BDS-Bewegung. Israel ist heute in der internationalen Staatengemeinschaft integrierter denn je – wirtschaftlich, politisch, in der Wissenschaft und Kultur. Als besondere Ironie muss gelten, dass die BDS-Aktivitäten am ehesten israelische Künstler und Wissenschaftler treffen, die eigentlich selber der israelischen Regierungspolitik zumeist sehr kritisch gegenüberstehen.

  1. Stellt sich die Frage, ob es der BDS-Bewegung nicht noch schlechter ginge, wenn man sie einfach nicht beachtete?

Dies wäre – zum jetzigen Zeitpunkt – eigentlich meine Überzeugung.

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