„Oj Rebbe, Rebbe…“ Von Mordechaj Gebirtig bis Britney Spears

Auf den Spuren der aktuellen Wiener Klezmer-Szene.
VON JULIA DUDZINSKA

Esther Wratschko alias „Schiksele“

Spaziert man im Sommer durch den Augarten, dann kann es passieren, dass einen am Augartenspitz unerwartet Live-Tanzmusik anweht. Die „Klezmer-Session am Spitz“ ist nämlich einer der Orte, an denen man in Wien auch jenseits des mittlerweile etablierten KlezMore-Festivals einen Abend lang in die Welt der Klezmer- Musik eintauchen kann – und das unter freiem Himmel. Von Klarinettisten über Hackbrett-Spieler bis zu energischen Damen mit Akkordeon trifft sich hier eine junge Szene von Musikern und Musikerinnen, die ihre Leidenschaft für jüdische Musik eint.

Klezmer ist längst keine Nische mehr, sondern erlebt seit den 1990er Jahren international ein intensives Revival. Ausgehend von US-amerikanischen Musikern wie Zev Feldman oder Ben Goldberg, die sich in den 70ern auf der Suche nach den Ursprüngen dieser aschkenasischen Volksmusiktradition nach Transsilvanien und Bessarabien wandten, erreichte die Welle der Begeisterung bald auch Mitteleuropa.

Ensemble Klesmer Wien: von Hochzeit zu Hochzeit

Schon damals – also noch vor dem aktuellen „Hype“ – musizierte auf Festen und Konzerten das Ensemble Klesmer Wien, das bis heute Bestand hat. Mit instrumentaler Tanzmusik belebt die Band den Stil der wandernden Klezmorim wieder, die als Kapellen mit Tsimbl, Akkordeon oder Klarinette durch die Städte und von Hochzeit zu Hochzeit zogen. In ihrem Repertoire finden sich auch jiddische und chassidische Lieder, die vielfältige Einblicke in alle Bereiche jüdischen Lebens ermöglichen.

„Der Holocaust war auch in der Musiktradition ein dramatischer Einschnitt“, erklärt die Sängerin Esther Wratschko, für die das jiddische Lied und Klezmer-Musik einen integralen Bestandteil ihres Repertoires bilden. Viel vom mündlich tradierten Liedgut ging während der Nazizeit verloren, weshalb über große Teile des Klezmer- Repertoires der 20er und 30er Jahre heute nur spekuliert werden kann.

Einige herausragende Anthologien gibt es allerdings: zum Beispiel die Manuskriptsammlung des ukrainischen Musikologen Moisei Beregovski (1892–1961) oder das Werk des Lyrikers Mordechaj Gebirtig (1877–1942). Beginnend mit seiner Liedersammlung Folkstimlech von 1920 hinterließ Gebirtig, der in Krakau lebte und ermordet wurde, ein umfangreiches poetisches und musikalisches Werk, das uns heute wichtige Einblicke in die jüdische Musiktradition ermöglicht.

Parallelen zum Wienerlied

Esther Wratschko schlägt mit ihrem Programm die Brücke zur Gegenwart – durch den Bezug zur musikalischen Vergangenheit, der Geschichte der jiddischen Sprache und der Lebenswelt, aus der all dies hervorging, ermöglicht sie dem Publikum, Aussage und Stimmung der Musik nachzuempfinden. „Für mich hat die Stilistik jüdischer Musik durchaus Parallelen zum Wienerlied. Das Wienerlied ist mitunter morbider, das Jiddische ist voller Humor und Selbstironie – aber beides adressiert indirekt sehr tiefgründige und universelle Themen“, so Wratschko. Den ursprünglich pejorativen Ausdruck der Schikse hat sie kurzerhand zu ihrem Künstlernamen „Schiksele“ gemacht, wobei sie als nichtjüdische Performerin in der Klezmerwelt durchaus kein Einzelfall mehr ist.

Gemeinsam mit dem aus Amerika stammenden Wahlwiener Benjamin Fox-Rosen leitete Wratschko das Session- Programm des KlezMore-Festivals, aber auch regelmäßige Sessions im Café Tachles, bei denen das Klezmer- Repertoire belebt und gemeinsam musiziert wird. Als Sängerin verbindet Wratschko jiddische Lieder mit Jazz, Pop und Wienerlied und scheut dabei auch nicht vor eigenen jiddischen Nachdichtungen von Britney Spears- Hits zurück: „Oy rebbe, rebbe/oy, kh‘hob zikh vider amol/ geshpilt mit a harts/ fafirt mit mayn kol …“

„Urban klezmer“: die Niftys

Im Bereich der Instrumentalmusik wiederum sind die Niftys eine Ausnahmeerscheinung der Wiener Szene. Die Band um den Gitarristen Fabian Pollack webt Klezmer auf ganz eigene Weise ein: von schwebenden Tracks, die Klezmer-Sound verfremden oder in Jazz-Harmonik überfließen lassen, bis hin zu speedigen und höchst tanzbaren Versionen von „urban klezmer“. Pollack, der Klezmer im Haushalt seiner jüdischen Großeltern kennenlernte, ist nach vielen Jahren als Musiker nun mit Begeisterung zu dieser Musik zurückgekehrt: „Weil die Tonalität und Artikulation der Klezmer-Musik etwas Tiefes in mir berührt – sie ist in gewisser Weise archaisch und sehr unmittelbar mit der Realität verbunden“, so Pollack.

Klezmer ist immer schon eine Grenzüberschreitung gewesen: Bedingt durch die Wanderungen des jüdischen Volkes vermischte die Musik sich mit den jeweiligen lokalen Traditionen, ob mit rumänischer gypsy music, polnischer oder moldawischer Volksmusik oder dem amerikanischen Jazz. Schon am Hochzeitsrepertoire, das aus unterschiedlichen Tänzen besteht, kann man den Reichtum kultureller Einflüsse ablesen: die Hora, ein getragener rumänischer Tanz, ist so gut wie jedem jüdischen Hochzeitsgast bekannt; der Terkish ist von türkischer Melodik beeinflusst.

Die Wurzeln von Klezmer reichen dabei zurück zu synagogalen Gesängen, aus denen sich im Laufe des 16. Jahrhunderts eine säkulare Musiktradition entwickelte. Diese Herkunft kann man auch heute noch hören: Ensembles wie Scholem Alejchem lassen seit 1993 jüdische Raritäten erklingen und gelten als Experten für den gewissen „jüdischen Klang“, der lange Zeit als „unprofessionell“ verpönt war. Freygische Melodik, Musik aus der Bukowina, den Karpaten, aber auch die Megilla-Vertonungen des polnischjiddische Lyrikers Itzik Manger werden von diesem Ensemble rund um Isaak Loberan auf authentische Weise lebendig gehalten.

Gesungen wird im Klezmer so oder so über alles: von Trauer und Tod bis zum Lied über Liebe, Wiedersehen oder Heimweh. Sogar die Klage darüber, dass im Schtetl kein einziger anständiger Friseur zu finden ist, wird melodisch verarbeitet. Beim Zuhören, ob in Wien oder anderswo, lernt man: Vieles wird leichter, wenn man darüber lachen kann. Auch wenn es beim Klezmer oft ein mit Tränen vermischtes Lachen ist.

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