NU, worüber verlieren wir denn diesmal unser vorletztes Wort?

Ronni Sinai und Nathan Spasić fragen sich, warum sie entweder schon so lange oder noch immer bei NU dabei sind.

Ronni: Oj weh, lauter Jubiläen! In der NU-Sommer-Ausgabe 100 Jahre Salzburger Festspiele, 100 Jahre Verfassung, 75 Jahre Zweite Republik, 25 Jahre EU-Mitgliedschaft. Und jetzt wird auch noch NU … 20 Jahre alt. Ich hatte letztes Jahr mein 60-jähriges Jubiläum, wer hat damals noch einen Juden mehr gebraucht. Nu sag, mein Lieber, und wer hat vor zwanzig Jahren eigentlich noch a jüdische Zeitung mehr mit Gechochmezze gebraucht?

Nathan: Ronni, es braucht einfach eine qualitative jüdische Zeitschrift wie das NU. Wir schreiben unsere Geschichten nicht aus der Sicht der ewigen Opfer. Wir sind vorwärtsgewandt, ohne geschichtsvergessen zu sein. Von Berichten über jüdisches Leben und jüdische Kultur bis hin zu Berichten über aktuelle Geschehnisse – NU bietet eine andere Perspektive. Auch, und vor allem, weil wir keine Zeitschrift dezidiert von und für Juden sind. Ich finde, dass gerade die Vielfalt unserer Autoren uns zu einem so spannenden Projekt macht.

Ronni: Aber wir sind Opfer von Abonnenten, die NU lesen, aber dafür nicht zahlen wollen. Oder antisemitischer Firmen, die partout keine Inserate schalten bei einem so wichtigen Medium. Und weil du unsere Autoren lobpreist: Manche glauben, nur weil sie einen Tinnef bezahlt kriegen, können sie alles schreiben. Über zweifelhafte beste Freundschaften von österreichischen mit israelischen Politikern und deren Machtgelüste oder bekackte Nahost-Friedenspläne. Na, und die Kultur? Gefallen tun den Leuten eh nur Artikel, in denen sie erfahren, wo sie gut und günstig essen können, ob koscher oder auch nicht. Wenn sie NU überhaupt lesen.

Nathan: Du hörst dich ganz schön frustriert an, Ronni. Aber einen Hauch Wahrheit versprühst du schon. Vor allem wenn du von diesen antisemitischen Firmen sprichst, die keine Inserate schalten. Oder noch schlimmer, die Saboteure unter unseren Abonnenten, die uns trotz mehrfachen Zahlungsaufforderungen in den Ruin führen wollen. Oj weh! Langsam bringst du mich um meinen Optimismus. Aber trotz allem: Die Leute wissen dank uns nicht nur, wo sie gut essen können, sondern seit unserer vorletzten Ausgabe auch, wo sie koschere Sexshops finden. So ganz nutzlos können wir also nicht sein, oder, Ronni?

Ronni: Nu, das kann ich gelten lassen. Auch als revolutionäres Blatt gegen die Autokratie des jeweiligen Präsidenten der Kultusgemeinde hat NU seit seiner ersten Stunde ganze Arbeit geleistet und kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich mit selbiger anzulegen. Von dieser Linksausrichtung – wenn man so will – ist allerdings nicht viel übrig geblieben, hat sich doch einer unserer Gründerväter politisch weit aus dem Fenster gelehnt, um als aktiver Politiker (und vom NU-Herausgeber zum einfachen Autor herabgestiegen) den mit der Nationalratswahl 2017 begründeten Rechtsruck zu verteidigen. Du erinnerst dich: Er schrieb damals, er sei nicht der Aufpasser der FPÖ. Genau diesen hätten die Blauen aber wohl gebraucht – hätt nur nix genützt. Mittlerweile könnte er ja auf die Grünen aufpassen. Und womit kann NU sonst noch so aufwarten, Nathan?

Nathan: Allerdings! Die Rolle des Aufpassers hat so gesehen das Ibiza-Video übernommen. Um die Grünen mache ich mir in dieser Hinsicht weniger Sorgen. Doch es wird sich noch weisen. Bisher hat keine Koalition mit der Kurz-ÖVP länger als zwei Jahre gehalten. Nu, aber zurück zu deiner Frage. Abgesehen von der historisch gewachsenen Rebellion gegen die IKG führten wir unter anderem Gespräche mit der Nobelpreisträgerin Ada Yonath, unterhielten uns mit großen Künstlern wie Arik Brauer und besuchten Carl Djerassi, den Erfinder der Antibabypille, in seiner Wohnung im dritten Bezirk. Das sind nur Fragmente aus zwanzig Jahren unseres Bestehens. Ich wage zu behaupten, dass NU eines der wenigen Magazine in Österreich ist, welches auf so ein Archiv zurückblicken kann. Es mag ein wenig pathetisch klingen, doch gerade die Widersprüche, seien sie weltanschaulicher oder kultureller Natur, machen NU seit einundachtzig Ausgaben zu dem, was es ist. Findest du nicht?

Ronni: Ja, kaum eine Künstlerin oder ein Prominenter, auch wenn sie oder er auch nur irgendwo einen jüdischen Urgroßvater hatte, konnte einem Interview durch NU entkommen. Akribisch wurde deren Verbindung zum Judentum aufgearbeitet. Von Maschek über Erwin Steinhauer bis Pamela Rendi-Wagner, die Richtung stimmte immer. Auch Österreichs Spitzenjournalisten Christian Rainer im Interview und Rainer Nowak als Co-Autor für unsere Vorlage des „Vorletzten Wortes“, das damals „Dajgezzen und Chochmezzen“ hieß, waren mit von der Partie. Sogar der linke Israelkritiker André Heller durfte mit uns unterwegs sein. Nathan, wie bist du eigentlich zu unserem Team gestoßen, und wie war deine erste Berührung mit NU, du bist ja auch noch nicht so lange dabei?

Nathan: Es scheint, als hätte dich meine Heiterkeit ein wenig angesteckt. Gut so! Wie ich zu NU gekommen bin? Unsere Chefredakteurin, Andrea, hat mich vor knapp zwei Jahren zur Redaktionssitzung eingeladen. Zunächst habe ich nur fotografiert, doch recht bald wurde mir deutlich gemacht, dass ich auch schreiben sollte. Seitdem bin ich dabei und auch sehr dankbar dafür. Es fühlt sich wie eine halbe Ewigkeit an. Und dazu trägt sicherlich der respektvolle und ermutigende Umgang innerhalb der Redaktion bei. Ronni, wie war es eigentlich bei dir? Was hat dich zu NU geführt?

Ronni: Der Tennissport.

Nathan: Nu, geht es etwas genauer?

Ronni: Danielle, die Herausgeberin, und ihren Mann Martin, Gründungsherausgeber, lernte ich 2011 anlässlich der Makkabiade in Wien kennen. Martin wurde mein Tennispartner, seither verbindet mich eine Freundschaft mit den beiden. Nach einigen verlorenen Doppelpartien mit Martin musste ich Buße tun und für NU arbeiten. Im Gegensatz zu anderen jüdischen Medien, die mir bisweilen bei Einschlafschwierigkeiten gute Dienste leisten, las ich NU schon vor dieser Zeit. Und ich meine damit nicht nur Durchblättern. Ich wäre nicht Raunzer genug, würde ich an dieser Stelle nicht anmerken, dass man NU lesen muss, denn von den paar Schwarzweiß-Bildern kann man nicht satt werden. Na gut, seit einigen Ausgaben treiben wir es eh bunter.

Nathan: Nu, abgesehen von den paar Schwarzweiß-Bildern gibt es unser erhellendes Gespräch auf der vorletzten Seite. Ich frage mich, halten wir das die nächsten 20 Jahre durch? An Gesprächsthemen mangelt es jedenfalls nicht.

Ronni: Ok, mein Lieber, wenn das dein letztes Wort gewesen sein soll, so ist es nun dein Vorletztes. Mazel tow – bis hundertzwanzig … Ausgaben!

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