No Happy End

Vor siebzig Jahren patentiert und heute überall in der digitalen Welt: Helene Maimann über die bahnbrechende Idee von „Lady Bluetooth“ Hedy Lamarr.
Von Helene Maimann

Erfinden kann man nirgends lernen. Es gibt unter den Erfindern geniale Tüftler ebenso wie kühle Wissenschaftler und versponnene Künstler. Man braucht dazu Phantasie und einen Blick für das Wesentliche. Und die Fähigkeit zu dem, was man Geistesblitz nennt. Eine der großen Erfinderinnen des vergangenen Jahrhunderts war Hedy Lamarr.

Heute sind Frauen in allen Forschungslabors der Welt tätig. Aber noch immer wird Erfinden als männliche Domäne gesehen. Daniel Düsentrieb ist eine männliche Ente, und die hübsche Daisy Duck hat null Ahnung, wie die Welt funktioniert und warum.

Eine Erfinderin, die zugleich ein Filmstar war, wurde nicht ernst genommen. Das war das große Pech der Hedy Lamarr. Sie galt in den dreißiger Jahren als „schönste Frau der Welt“, nach ihrem Ebenbild zeichnete Walt Disney sein Schneewittchen. Sie scheiterte letzten Endes an ihrer leuchtenden Schönheit, hinter der sich eine ebensolche Intelligenz verbarg, und an ihrer Angst, diese Schönheit zu verlieren. An den Militärs, die ihre Idee in die Schublade legten. Und daran, dass sie keine große Schauspielerin war, aber eine Erfinderin, die erst am Ende ihres Lebens anerkannt wurde.

Der Skandalfilm „Ekstase“
Als Hedwig Eva Maria Kiesler geboren wird, im Herbst 1914, dauert der Erste Weltkrieg erst wenige Monate. Die alte Welt bricht auseinander, aber davon merkt sie nichts. Ihre Eltern sind assimilierte Juden, der Vater, Emil Kiesler, ist Direktor der Wiener Creditanstalt Bankverein, die Mutter Gertrude Lichtwitz Konzertpianistin. In ihrem Döblinger Haus verkehrt die kulturelle Elite. Hedy wächst privilegiert auf wie wenige andere Kinder. Emil Kiesler ist vernarrt in seine bildhübsche und selbstbewusste Tochter. Überallhin nimmt er sie mit und erklärt ihr die Welt, vor allem ihre technischen Zusammenhänge, „von der Druckerpresse bis zur Straßenbahn“, wie Hedy später erzählt.

Sie wird auf die besten Schulen geschickt, aber dort hält es sie nicht lange. Sie will unbedingt zum Film und ein großer Star werden, in Hollywood. Mit sechzehn bricht sie die Schule ab und wird Scriptgirl bei der Sascha Film in Sievering. Ihre Eltern geben zögernd nach, sie wissen, dass sie gegen dieses eigensinnige Mädchen keine Chance haben. Bald kommen die ersten Rollen, und 1932 spielt sie in dem Film Ekstase, einer tschechischen Produktion, die erste Nacktszene der Filmgeschichte. Und nebenbei auch gleich den ersten Orgasmus.

Es gibt einen weltweiten Skandal. Der Film wird auf der Biennale von Venedig gezeigt, gegen den Protest von Papst Pius XI. Die USA stellen ihn unter Zensur. Die Eltern sind schockiert. Die noch minderjährige Hedy ist ein Star, besser gesagt: ein Sexstar. Ekstase wird sie bis ans Ende ihrer Tage verfolgen.

Dann begeht sie einen kapitalen Fehler. 1933 heiratet sie Fritz Mandl, zwielichtiger Parvenü, Waffenproduzent und Chef der Hirtenberger Patronenfabrik. Mandl, Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, blendet die junge Frau mit seiner Energie, seiner Macht und seinem Reichtum und überredet sie, zu konvertieren, bevor er sie in der Karlskirche zur Frau nimmt. Dann kauft er sämtliche Kopien von Ekstase auf, die zu haben sind, verbietet Hedy jede weitere Filmerei und sperrt sie im Stadthaus am Schwarzenbergplatz und in der feudalen Villa Fegenberg in Schwarzau am Gebirge regelrecht ein.

Dort treffen sich Waffenschieber aus halb Europa, denn Mandl pflegt enge Kontakte zu Mussolini und der ungarischen Horthy- Diktatur. Außerdem finanziert er die austrofaschistische Heimwehr und liefert gleichzeitig Waffen an die Nazis. Bei den Diners mit deutschen Geschäftspartnern und Ingenieuren wird viel über Waffentechnik gesprochen. Eines ihrer Probleme ist: Wie kann man UBoot- Torpedos so steuern, dass sie an ihr Ziel gelangen, ohne vorher unschädlich gemacht zu werden? Eine entscheidende Frage für jeden Seekrieg. Keiner kümmert sich um Hedy, die als Gastgeberin daneben sitzt. Aber sie spitzt die Ohren. Und hört, dass Torpedos mit Hilfe von Frequenzauswahl über Funk gesteuert werden könnten. Das interessiert sie. Ende 1936, bei der Hirtenberger Weihnachtsgala, lernt sie Hellmuth Walter kennen, einen der führenden deutschen Waffenexperten. Er ist erstaunt, als sie ihn über den Stand der Torpedosteuerung befragt, und erfreut, der schönen jungen Frau Auskunft geben zu können. Es ist ja die Frau Mandl, der er hier militärische Geheimnisse anvertraut.

Eintritt ins MGM-Studio
Ein halbes Jahr später packt sie ihre Sachen. Die endlosen Kämpfe mit ihrem Ehemann über seine Kontrollwut und ihr leeres Luxusleben haben die Ehe längst an die Wand gefahren. Hedy ist 22 und macht sich auf nach Amerika, nach Hollywood, mit einem Zwischenstopp in London. Dort lernt sie Louis B. Mayer kennen, den Chef der MGMStudios, der zufällig auch gerade da ist. „Ich habe Ihren Film Ekstase gesehen“, sagt er. „Zeigen Sie ihn niemandem in Hollywood. Niemals. Den Hintern einer Frau darf nur ihr Ehemann sehen, aber nie das Publikum.“ Er gibt ihr einen Vertrag und einen neuen Namen: Lamarr.

Der Rest ist, was Hollywood anlangt, Filmgeschichte. Sie dreht einen Film nach dem anderen. Sie wird ein Superstar durch ihr blendendes Aussehen, ihre Mittelscheitel-Frisur, die sofort in Mode kommt, ihre tollen Hüte, ihre Eleganz. Aber den ganz großen Durchbruch schafft sie nicht. Sie spielt passable Rollen, doch meistens ist sie Dekoration für berühmte Herren: Clark Gable. Spencer Tracy. Robert Taylor. Charles Boyer. Das hängt nicht nur mit den Drehbüchern zusammen. Ihr Talent liegt ganz woanders.

Sie ist voll mit ihrer Karriere beschäftigt, als Hitler fast ganz Europa unterwirft. Im Sommer 1940 beginnen die Luftschlacht um England und der U-Bootkrieg, den die Wehrmacht gegen britische Schiffe führt. Hunderte Schiffe liegen bereits auf dem Grund des Atlantik, darunter einige Flüchtlingsschiffe. Hedy, mit technischem Verstand ausgerüstet und eine begabte Bastlerin, kann sich gut an die Gespräche im Haus Mandl erinnern. Gibt es eine Möglichkeit, Torpedos gegen die deutschen U-Boote so zu steuern, dass sie nicht abgefangen werden können? Sie hat eine Idee, aber wer kann sie umsetzen? Da lernt sie George Antheil kennen.

Antheil, damals gerade vierzig Jahre alt, ist der Top-Avantgardist unter den Komponisten seiner Zeit. Sein faszinierendes Ballet Mécanique ist für sechzehn automatische Klaviere, Xylophone und Schlagzeug gesetzt, ergänzt durch elektrische Klingeln, Flugzeugpropeller und eine Sirene. Antheil versteht etwas von Lochstreifen und kann seine Maschinen in synchronem Ablauf spielen lassen. Hedy präsentiert ihm ihre Idee, ein Gerät zur Funkfernsteuerung von Torpedos zu entwickeln: Das Funksignal soll in raschen, selbsttätig wechselnden Folgen von unterschiedlichen Frequenzen übermittelt werden. Dadurch kann der Gegner das Leitsignal weder abhören noch stören.

Eine Diva erfindet das Frequenzsprungverfahren
Entscheidend für ihre Idee ist, die Sender- und Empfängerseite zu synchronisieren. Diese Technik steuert Antheil bei: Das Prinzip der Steuerung durch Lochstreifen ließe sich auch auf Torpedos anwenden. So entsteht der Entwurf für ein Lenksystem mit 88 Frequenzen, entsprechend den 88 Tasten eines Klaviers. Wenn Sender und Empfänger gleiche Lochstreifen benutzen, sind gleichzeitige Frequenzwechsel möglich. Hedy nennt ihr Projekt „Frequency Hopping“, Frequenzsprungverfahren. Im Juni 1941 reichen sie und Antheil ein Patent beim U.S. Patent Office ein, das ihnen im August 1942 unter der Nummer US2.292.387 gewährt wird. Dann überlassen sie es der Marine. Die sagt dankeschön und hält es vierzig Jahre unter Verschluss.

Der Grund dafür ist bis heute unklar. Wahrscheinlich hält die Navy das Patent für die spinnerte Idee einer Diva, der ein ziemlich anrüchiger Film nachgesagt wurde, und eines exzentrischen Komponisten. Es musste auf elektronische Zeiten warten. Im Herbst 1962, während der Kuba-Krise, kommt es das erste Mal zum Einsatz: Der rasche synchrone Wechsel des Sprechfunkverkehrs auf immer neue Frequenzen macht Nachrichten abhörsicher. Dann dauert es weitere zwanzig Jahre, bis es zivil genutzt wird. Hedys Frequency Hopping steckt heute in jedem GSM-Handy, in allen Formen der drahtlosen Kommunikation wie Bluetooth und WLAN.

Hedy Lamarrs Leben stürzt in seiner zweiten Hälfte ab. Ihre Erfindung Das Diagramm des Frequency Hopping, unterzeichnet von Hedy Kiesler und George Antheil. scheint vergessen, und niemand ermuntert sie, ihr Talent weiter zu entwickeln. Sechs Ehen scheitern. Sie schafft 1949 noch einmal einen großen Kinoerfolg mit Cecil B. De-Milles Samson und Delilah, einem monumentalen Bibelspektakel. Und dann geht es mit ihrer Karriere zu Ende. Sie verliert den Boden unter ihren Füßen. Sie tritt in öden TVShows auf, in denen ihr gelangweilter Blick ebenso irritiert wie ihr maskenhaftes Gesicht. Ihre größte Sorge ist ihre Schönheit, und sie tut alles, um sie zu bewahren, unterzieht sich einem Facelift nach dem anderen, mit katastrophalem Ergebnis. Am Ende ist sie ein schreckliches Zerrbild ihrer selbst. Ihr letztes Jahrzehnt verbringt sie vor Gericht, zweimal wegen Ladendiebstahls und weil sie jeden verklagt, der unerlaubt ein Foto von ihr verwendet.

Im Jänner 2000 stirbt sie allein in ihrem Einzimmer-Apartment in Orlando, Florida. Aber drei Jahre zuvor ist sie endlich anerkannt worden: Mit 82 Jahren erhält sie den Pioneer Award der Electronic Frontier Foundation, den Milstar Award der US Air Force und die österreichische Kaplan-Medaille. „Wurde auch Zeit“, kommentiert sie. Heute gibt es mehrere Hedy-Lamarr-Preise und -Vorlesungen, und der 9. November, ihr Geburtstag, wird als „Tag der Erfinder“ begangen.

Der Wiener Filmjournalist Peter Hayek dreht in den frühen siebziger Jahren ein tieftrauriges Interview mit ihr. „Ich hab Sehnsucht nach Wien“, sagt sie da, „nach all den schönen Sachen, die ich als Kind gesehen habe, die Oper, die Spanische Reitschule, Schönbrunn … Meine Heimat ist Wien und Österreich, nie Amerika …“ Im Sommer 2005 gehen ihre Kinder Anthony und Denise die Himmelstraße in Döbling hinauf und verstreuen Hedys Asche im Wienerwald.

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