Neuerscheinungen zum Selberlesen und Verschenken

Die Spira - Eine Biographie ©Falter Verlag

Eine kluge Frau, ein spannendes Land, ein großartiger Schauspieler, ein kritischer Geist: vier Buchempfehlungen.

Alltagsgeschichten

Auf das Buch Die Spira war ich gespannt, haben sich doch unsere Wege oft gekreuzt: Spiras und mein Vater waren beide Weggefährten in der KPÖ. Die Spira und ich wurden über Jahre hinweg immer wieder wegen unserer Namensähnlichkeit verwechselt, sie erhielt im ORF meine Post und ich oft die ihre. Und schließlich durfte ich auf Toni Spiras Anregung eine Ausstellung über ihren Verwandten, den großartigen Karikaturisten Bil Spira, im Jüdischen Museum Wien durchführen.
Elizabeth T.(oni) Spira ist in Österreich als Filmemacherin bekannt. Mit ihrer ORF-Sendereihe Alltagsgeschichten und später mit ihrer Idee, Heiratsvermittlung ins Fernsehen zu verlegen, hat sie sich in die TV-Geschichte eingeschrieben. Was die meisten Menschen aber nicht kannten, ist die Herkunft von T(oni) Spira. Die Autorin des Buches, Falter-Redakteurin Stefanie Panzenböck, hat jedenfalls großen Wert daraufgelegt, die Familiengeschichte zu porträtieren. So beginnt das Buch Ende des 19. Jahrhunderts mit Angehörigen einiger Generationen vor Toni Spiras Geburt, die von Böhmen und Mähren nach Wien zogen und hier Kommunisten wurden. Auf Ausbildung und Bildung der Mädchen wurde immer großer Wert gelegt. Panzenböck beschreibt die Verwandten, deren Kampf im Spanischen Bürgerkrieg, die Internierung des Vaters in Gurs in Frankreich und letztendlich die Flucht nach Großbritannien, wo Leopold Spira und Eva Zerner, die aus Wien geflüchtet war, heirateten. Dort kam Elizabeth Toni Spira 1942 zur Welt.

1946 kehrte die Familie nach Wien zurück. Das Judentum spielte keine Rolle, wohl aber der Antisemitismus, der den Rückkehrern entgegenschlug. Das kulturelle und politische Leben in der KPÖ wird im Buch ausführlich beschrieben, wie auch das Verhältnis von Toni Spira zu ihrem Vater, aber auch die Beziehung zwischen Toni und ihrer Adoptivtochter Hannah. Familie, Freunde, Arbeitskolleginnen und -kollegen kommen zu Wort, vor allem, als  es im letzten Drittel des Buches ausführlich um die Fernsehsendungen Spiras geht und ihre Fähigkeit, Menschen zur Selbstdarstellung zu bringen.
Die Spira ist viel mehr als eine Biografie, denn die Lektüre bietet Einblick in ein wenig bekanntes Kapitel österreichischer Nachkriegsgeschichte. (Danielle Spera)

Stefanie Panzenböck
Die Spira – Eine Biografie
Falter Verlag
256 S., EUR 24,90


Beziehungsgeschichten

Über kein Land der Welt wird so viel berichtet, so viel geredet, bzw. diskutiert wie über Israel. Ein Land, das nicht einmal so groß ist wie Niederösterreich und über das die meisten Menschen den historischen Hintergrund, die politischen Zusammenhänge oder die gesellschaftlichen Verhältnisse vielleicht gerade einmal rudimentär kennen, wenn überhaupt. Der Unternehmer, frühere NU-Herausgeber und Gründer von Mena-Watch Erwin Javor hat gemeinsam mit dem Journalisten Stefan Kaltenbrunner 15 renommierte Autorinnen und Autoren gebeten, ihr Bild von Israel zu skizzieren und damit das Land aus einer neuen, ganz persönlichen Perspektive betrachtbar zu machen. Julya Rabinowich nennt Israel „einen sicheren Hafen“. Doron Rabinovici schreibt über „sein Israel“, Robert Schindel von „der dritten Liebe“, Esther Schapira bezeichnet Israel als „ihr anderes Vaterland“, Danielle Spera beschreibt ihre Beziehung als „eine Idee von Heimkommen“. Harry Bergmann, der in Israel geboren wurde, berichtet von dem Schock der Entwurzelung, als seine Eltern mit ihm nach Wien übersiedelten. Ben Segenreich beschreibt die vielen verschiedenen Eindrücke von Israel auch in seiner Arbeit als Korrespondent. Charles Lewinsky sucht nach Antworten und der in Berlin lebende arabische Israeli Ahmad Mansour hat erst in Deutschland Israel so richtig verstanden. Das Buch Israel. Was geht mich das an? bietet ganz unterschiedliche Einblicke auf die einzige Demokratie im Nahen Osten. Das Verhältnis der verschiedenen Autorinnen und Autoren zum Staat Israel ist divers, aber doch sind sich alle darüber einig, dass Israel im Notfall die einzige Garantie für ein Überleben von Jüdinnen und Juden darstellt. (Nini Schand)

Erwin Javor, Stefan Kaltenbrunner (Hg.)
Israel. Was geht mich das an?
Edition Mena-Watch
250 S., EUR 26,–


Identitätsgeschichten

Es war einmal vor langer, langer Zeit. Da entdeckten junge Menschen mit wenig Geld, aber großem Fernweh die Welt und kehrten mit Zipfelchen fremder Kulturen nach Hause zurück. In den Wohnungen der Love-and-Peace-Blumenkinder erzählten Jalabas, Kimonos, Chamsas, asiatische Kegelhüte, Buddhafiguren, Traumfänger, Wasserpfeifen, Bumerangs sowie die exotischen Namen der Nachwüchse von diesen Reisen. Heute? Sagt man kulturelle Aneignung dazu, wenn Angehörige der sogenannten weißen Dominanzkultur sich mit Dreadlocks, Bindis, Saris, Kaftanen und Kimonos schmücken, nicht-schwarze Musiker einen auf Hip-Hop und Gangstarap machen oder westliche Modeschöpfer afrikanisch gemusterte Stoffe vernähen. Es scheint, als würde die Woke Society genau jene (Re-)Ethnisierung verwirklichen, von der Alt- und Neo-Nazis so sehnsüchtig träum(t)en. Der Traum von einer von unterschiedlichen Individuen bewohnten, möglichst grenzenlosen Welt, in der nicht mehr Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Nationalität bestimmend sind, ist offenbar ausgeträumt.

Doch wer das kritisiert, landet schneller im rechten Abstelleck, als er links abbiegen kann. Der Schriftsteller, Essayist und Kulturwissenschaftler Richard Schuberth ist links. Und wagt es dennoch. In Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung beschäftigt er sich mit Cancel Culture, Wokeness, Political Correctness, Critical Whiteness Movement, Safe Spaces, Trigger- Warnungen, Cultural Appropriation, #Metoo, Ethnisierung, gegenderter Sprache, also den vielen Facetten der Identitätsdebatten und der Fragmentierung der Gesellschaft in kleine und kleinste Zusammengehörigkeitsgruppierungen. „Die Rede von der Identität gehört zu den größten Unsinnigkeiten, die aus den wissenschaftlichen Laboratorien des 20. Jahrhunderts entwischen konnten. Im strikt philosophischen Sinn lässt sich absolute Identität erst durch den Tod herstellen“, schreibt Schuberth, der sich selbstironisch als „intellektuellen Rüpel“ bezeichnet. Noch nie sei man so oft daran erinnert worden, dass die Menschheit aus Männchen und Weibchen bestehe: „Und keine textliche Aussage kann interessant genug sein, um vom Wesentlichen abzulenken: dass die Welt schön brav in Animus und Anima geteilt bleiben soll. […] Das Binnenversal funktioniert wie der Handel mit Schadstoffzertifikaten: sich mit Gender Correctness Gender Discrimination im Arbeitsverhältnis zu erkaufen.“ Schuberth liefert Argumente jenseits billiger Polemik. Er argumentiert, analysiert, wägt ab, holt zu historischen Rekursen aus. Er denkt nach, bevor er schreibt: mit Humor, Wortwitz, sprachlicher Brillanz.

Abgesehen von einigen wenigen schwurbelakademischen Klugschreibereien ist die Sammlung aus Essays, Kolumnen für Zeitschriften und Hörfunk sowie Fotocomics das derzeit formidabelste und klügste „identitätspolitische Lesebuch“. Dringend empfohlen zum Selberlesen und Weiterschenken! (Andrea Schurian)

Richard Schuberth
Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung.
Das identitätspolitische Lesebuch
Drava Verlag, 452 S., EUR 21,–


Freundschaftsgeschichten

„Da, wo die Schauspielerei aufhört, beginnt das Schreiben. Da, wo das Schreiben aufhört, beginnt die Malerei, und da, wo die Malerei aufhört, beginnt die Musik“, skizziert Armin Müller-Stahl seinen Zugang, seine persönliche Melange zwischen den Künsten. „Die Musik und die Malerei haben verwandte Seelen, sie helfen sich gegenseitig, Grenzen zu überschreiten. Die Farben sind wie die Tasten auf dem Klavier.“ Liest man diese Zeilen, vermeint man fast, die sonore Stimme des Universalisten zu vernehmen, der mit Feingefühl, Verve und Leidenschaft für Frieden, Empathie und Toleranz plädiert. Müller-Stahl erinnert in seiner aktuellen Arbeit an Jüdische Freunde. Die in den letzten Jahren entstandenen Gemälde zeigen Porträts, Weggefährten und Schicksale. Der große Humanist schreibt beispielsweise über seine erste Begegnung mit Yehudi Menuhin in Berlin 1947. Der Musiker, der als einer der Ersten, trotz Holocaust, die Hand zur Versöhnung reichte, meinte damals: „Freiheit ist nicht Freiheit zu tun, was man will; sie ist die Verantwortung, das zu tun, was man tun muss.“ Musiker, Schauspieler, Dramatiker und Philosophen finden sich denn auch in der Porträtserie, die der 1930 geborene, engagierte Pazifist in den letzten Jahren geschaffen hat. Es sind fein nuancierte Charakterstudien, denen man begegnet, stets auf der Suche nach der Seele der Porträtie

Armin Müller-Stahl
Jüdische Freunde. Schicksale, Weggefährten, Porträts
Hatje-Cantz-Verlag, 2022
160 S., EUR 38,-

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