Nazifizierung des Arbeitsmarkts

Ein Teilbericht der Historikerkommission zeigt, wie tausende jüdische Österreicher nach dem NS-Anschluss aus ihren Jobs gedrängt wurden. Dies und der Entzug der einst hart erarbeiteten Berufsberechtigungen wurden großteils nie entschädigt.
Von Rainer Nowak

Über Nacht verloren sie ihre Jobs, plötzlich erhielten sie kein Gehalt mehr. Nicht etwa weil die Situation des Unternehmens es verlangte. Sie verloren ihren Arbeitsplatz wegen ihrer Religion, ihrer Rassenzugehörigkeit oder ihrer politischen Meinung. In den Wochen und Monaten nach dem so genannten Anschluss Österreichs an NS-Deutschland passierte genau dies. Tausende Juden und – weniger zahlreich – politisch Verfolgte verloren ihre Jobs, ihre Büros, ihre Geschäfte. Plötzlich waren auch hart erarbeitete und teils teuer bezahlte Berufsberechtigungen wertlos geworden – die Nazis „arisierten“ auch den Arbeitsmarkt mit Brutalität und Konsequenz. Diesen bisher in der Aufarbeitung der NS-Zeit weitgehend unbeachteten Aspekt hat die Österreichische Historikerkommission aufgegriffen – und einen Einzelbericht vorgelegt, der dieses Kapitel der NS-Verfolgung erstmals umfassend beleuchtet. Dass die Nazis den Arbeitsmarkt „einbräunten”, wirkt auf den ersten Blick wenig erstaunlich – ist die Ausschaltung bestehender Eliten und das Einsetzen von eigenen Gefolgsleuten doch die erste Pflichtübung in einer Diktatur. Doch das Berufsleben war für die Nazis weit mehr als nur ein Feld für die Verfolgung Andersdenkender: „Der Arbeits- und Berufsmarkt war durch die drastischen, rapiden und umfassenden Neuordnungen tatsächlich in sehr kurzer Zeit nach dem Grundprinzip der Volksgemeinschaft organisiert worden: Er stellt sich als Raum völkischer Berufsarbeit unter dem Monopol des völkischen Schaffens sowie von Blut und Ehre dar“ (Bericht). Adolf Hitler argumentierte dies auch in der ihm eigenen abstrusen Rassen-Logik: Nur Arier könnten wirklich zupacken, seien wirklich verlässlich. Doch in Wirklichkeit ging es in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ vielen vor allem um eins: um die eigene Karriere. Tausende Juden verloren ihre Jobs, tausende Nicht-Juden rückten nach. Bereits am 15. März mussten Österreichs Beamte ihren Eid auf Hitler ablegen: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze achten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Und ein paar Wochen mussten dann alle Rechtsanwälte und Notare schwören: „Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, die Treue halten und die Pflichten eines deutschen Rechtsanwaltes (beziehungsweise Notars) gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Das neue Recht kam vom „Führer“ selbst. Am 31. Mai wurde bereits eine Verordnung verabschiedet, wonach jüdische Beamte großteils sofort in den Ruhestand geschickt werden und Berufsanfänger ausscheiden müssten. Dass bei Beamten, Rechtsanwälten und Freiberuflern die Arisierung zügig angegangen wurde, beweist eine interne Nachricht vom August 1938 aus dem Innenministerium: „Bei den Beamten und den freien Berufen – mit Ausnahme der Ziviltechniker – ist die Durchführung der Bestimmungen der Rassengesetzgebung wenn nicht vollendet, so doch im Lauf.“ Zahlenmäßig am härtesten traf es Angestellte (und natürlich Unternehmer) im Handel: Von rund 48.000 Erwerbstätigen in der Branche (1938) hatten 1939 nur noch ein paar hundert ihren Arbeitsplatz. Der Bericht zeigt vor allem, wie eilig es die neuen Machthaber hatten. Keine sieben Tage nachdem die NS-Truppen in Wien einmarschiert waren, entließ der Wiener Stadtschulrat via Verordnung jüdische Lehrer. Bereits am 22. März wurde der erste Entwurf für ein Berufsverbot für jüdische Beamte ausformuliert. Kurz danach tauchten in den Kammern und Standesgremien kommissarische NS-Leiter auf, ließen sich genaue Listen der jüdischen Mitglieder erstellen. Bereits am 11. April wurden an der Universität Wien 252 Lehrende hinausgeworfen. In den Monaten danach begannen die organisierten Arisierungen, bereits im Mai wurden etwa jüdische Apotheken von den neuen Herren geraubt, die Apotheker erhielten nichts für ihre Apotheken-Konzessionen. Schon im Juni begannen die Nazis auch eine andere, bis heute nie erfasste Schädigung von jüdischen Bürgern: Die Bestimmungen über die Musikaufführungsrechte wurden radikal geändert, sodass jüdische Komponisten leer ausgingen. Ebenfalls noch im Juni gibt der Bund Österreichischer Industrieller an alle so genannten Betriebsführer „Richtlinien für den Abbau des nichtarischen Personals in der Privatwirtschaft“ heraus. Sehr viele Unternehmer kommen der Empfehlung nach und entlassen bereits mit Stichtag 30. Juni jüdische Mitarbeiter oder „jüdisch versippte Arbeitnehmer“, wie es im NS-Jargon hieß. Mit 1. Juli verlieren bereits alle jüdische Ärzte ihre Kassenzulassung. Im September werden die Approbationen jüdischer Ärzte kurzerhand gelöscht. Erlaubt wird einigen Ärzten die Behandlung jüdischer Patienten – allerdings nur unter der Bezeichnung „Krankenbehandler“. Ähnliches widerfährt wenig später jüdischen Anwälten, sie alle (vorerst mit Ausnahme von Frontkämpfern und lange Ansässigen) verlieren ihre Berufserlaubnis. Für jüdische Klienten dürfen einige vorerst weiterarbeiten, als so genannte jüdische Konsulenten. Im Jänner verfallen dann die – wertvollen – Konzessionen und die Berufserlaubnis von jüdischen Veterinärmedizinern, Zahnärzten und Apothekern. In sehr vielen Fällen erhielten die Betroffenen und ihre Familien dafür keine Entschädigung. Bei den Anwälten in Wien hatte es vor der Volksabstimmung über den bereits vollzogenen Anschluss zuvor noch ein etwas vorsichtigeres Vorgehen von oben gegeben. Da von 2.527 Rechtsanwälten in Wien, Niederösterreich und im Burgenland rund 1.280 Juden oder „Mischlinge“ (NS-Jargon) waren, hätte ein völliges Berufsverbot bedeutet, dass in Wien nur 650 als arisch eingestufte Anwälte verblieben wären. Dies kann der Grund sein, dass in dieser Zeit jüdische Veteranen des Ersten Weltkriegs und altansässige jüdische Anwälte vom Berufsverbot vorerst ausgenommen wurden, der Neuzuzug von arischen Anwälten aus Restösterreich musste erst organisiert werden. Im Juni waren dann nur noch 29 jüdische Anwälte in Wien tätig. Und so mancher Anwalt aus der Provinz hatte einen lukrativen neuen Job. Bei der Präsentation des Berichts der Historikerkommission wies Präsident Clemens Jabloner ausdrücklich auf die bis heute nicht entschädigten geraubten Konzessionen von Apothekern und Notaren hin. Dass es für die Unterbrechung, oft auch Beendigung von Karrieren und den plötzlichen Gehaltsverlust nie eine umfassende Entschädigungslösung gab, sagte er zwar nicht ausdrücklich, dies wird bei der Lektüre des Berichts über die Arisierung der Arbeitswelt nur allzu deutlich bewusst.

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