Natürlich ist niemand ganz objektiv.

Interreligiöse Bezirksforen sollen Konflikte zwischen Religionsgruppen lösen. Ein Gespräch mit der Initiatorin Eleonore Lappin über die Kleinarbeit beim Vorurteile-Abbauen, ungeahnte Koalitionen und spontanes Um-den-Hals-Fallen.
Von Katja Sindemann

NU: Frau Lappin, wie sind Sie zur Teilnahme am Interreligiösen Bezirksforum gekommen?

Lappin: Mein erstes Engagement fand in der Plattform für Interreligiöse Begegnung (PFIRB) statt, die der evangelische Pfarrer Erwin Neumann 2001 ins Leben gerufen hatte. Der Grund dafür ist, dass es nicht mehr um den interreligiösen Dialog, sondern um das interreligiöse Handeln geht. Religion hat heute eine soziale und politische Dimension bekommen. Hier sollten wir agieren. Auf theologischer Ebene ist der Dialog inzwischen so weit, dass man sich weitgehend einigen kann, trotzdem bleiben die Spannungen an der Basis. Diese konkrete Basisarbeit ist das Schöne, Spannende und Wichtige an den Bezirksforen.

Ein möglicher Streitpunkt könnte das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen sein. Ist das so?

Weniger. Es ist interessant, dass die Muslime, die ins Bezirksforum kommen, eher an der Teilnahme von Juden interessiert sind. Sie wissen, dass Dialog etwas bringen kann. Sie sehen, dass Juden in ihren Forderungen immer legitimierter werden. Daher ist es für sie wichtig, dass sie auch mit den Juden können. Den Antisemitismusvorwurf weisen sie zurück. Doch da ich immer wieder vom islamischen Antisemitismus vor mich hin murmele, findet langsam ein Umdenken statt. Die Muslime wollen sogar vom Judentum lernen. Mouddar Khouja, Sekretär von Anas Schakfeh (Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft), war oft mit Avshalom Hodik (früherer Amtsdirektor der IKG) unterwegs in Fragen Schächtverbot. Er hat mir gesagt, wie hilfreich es sei, wenn ihm Herr Hodik erklärt, welche Vorurteile dabei mitschwingen. Vorurteile, die Juden altbekannt sind und die nun auf die Muslime übertragen werden. Gerade das Schächtverbot ist ein Uraltinstrument der religiösen Diskriminierung und Schlechtmachung. Andrea Saleh (Frauenbeauftragte der Islamischen Religionsgemeinde Wien) erzählt mir entrüstet von den Vorurteilen gegenüber muslimischen Frauen und ist ganz erstaunt, wenn ich ihr sage, was ich über die jüdische Seite höre. Das ist insofern deeskalierend, weil die Muslime von ihrem Opfermythos wegkommen. Sie sehen, dass nicht nur sie mit Vorurteilen und Problemen konfrontiert werden.

Welche Möglichkeiten haben Sie im Bezirksforum, solche Konflikte zu deeskalieren oder zu lösen?

Es ist spannend, den innermuslimischen Pluralismus kennenzulernen. Die Aleviten sind sehr progressiv und im Islam umstritten, so wie die liberalen Juden. Andererseits haben wir die Schiiten. Und als dritte Gruppe die Bosnier, die einen europäischen Islam vertreten. Eines Tages hatte der schiitische Imam im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit eine Einschränkung der Pressefreiheit gefordert. Als ich gesagt habe: „Das geht nicht, wir leben in Österreich in einer Demokratie“, wären mir die Bosnier fast um den Hals gefallen. Man sieht gerade in den Bezirksforen die Vielfalt der Meinungen. Und natürlich die ethnische Vielfalt.

Können Sie ein Problem benennen, bei dem Sie konkret versuchen zu helfen?

Indem die religiösen Institutionen ihre Probleme besprechen können, fühlen sie sich ernst genommen und anerkannt. Wir planen, ins Altersheim am Loquaiplatz zu gehen. Um uns älteren Menschen, die sich durch die ethnische Vielfalt gefährdet fühlen, vorzustellen. Ich möchte es fast als Charmeoffensive bezeichnen.

Wo stoßen Sie an Ihre Grenzen?

Das einzige Problem ist eine mangelnde Kontinuität. Die Führung in den Institutionen wechselt. Mit den neuen Leitern ändert sich auch die Gesprächswilligkeit. Ich möchte nicht sagen, dass die Leute nicht mehr dialogbereit sind. Sie haben vielleicht keine Zeit. Oder wollen sich nicht die Zeit nehmen. Manchmal haben wir im Bezirksforum eine sehr gute Dynamik. Und dann wieder wird’s mühsam, weil die Institutionen fernbleiben. Pfarrer Neumann ist beharrlich, sie wieder heranzulocken. Seine Geduld und Hingabe sind bewundernswert.

Wie ist das Echo in der jüdischen Gemeinschaft?

Das Echo ist nicht sehr groß. Wir waren in den letzten Jahren bei der „Langen Nacht der Kirchen“ aktiv. Aber die ist immer am Freitag. Da muss ich Pfarrer Neumann beschwören, den Oberrabbiner nicht einzuladen. Eine religiöse Selbstdarstellung, die auf dem Bruch eines wichtigen religiösen Gesetzes beruht, ist ein Problem. Andererseits kann man nicht verlangen, dass sie die „Lange Nacht der Kirchen“ verlegen. Da merke ich eine große Nachfrage an jüdischen Dialogpartnern. Ich bin einmal hingegangen, das nächste Jahr nicht mehr. Aber ich suchte eine Ersatzperson. Gerade in den Bezirksforen ist es wichtig zu erklären, warum Juden wann nicht kommen können. Es ist allerdings auf jüdischer Seite keine große Bereitschaft da, sich in solchen Foren zu engagieren. Wenn man sich als Jude, als Jüdin geben will, macht man es im jüdischen Kreis und geht nicht nach außen. Auch ist es nicht angenehm, sich immer wieder Vorurteilen zu stellen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich hatte eine Führung einer katholischen Frauengruppe bei Or Chadasch. Kurz zuvor lief im Fernsehen ein Film über die Unterdrückung orthodoxer Frauen, welcher von Aussteigerinnen aus der Orthodoxie gemacht worden war. Die Damen waren in hellster Erregung, wie schlecht es den armen jüdischen Frauen geht. Ich hatte das Gefühl, da brach etwas auf. Dinge, die sie sich bisher nicht zu sagen getrauten, wurden durch den Film hochgeschwemmt. Es war nicht sehr angenehm, darauf zu antworten. Erstens: Der Film war von Frauen gemacht, die ausgestiegen und entsprechend verbittert sind. Zweitens: Ja, es gibt arrangierte Ehen und Frauen, die sich unter Zwang fühlen. Aber: Viele machen es freiwillig. Viele sind daran gewöhnt. Für viele bietet es Sicherheit. Man muss sich diesen Vorurteilen stellen. Dann kann man mit den Leuten reden. Ich denke mir: „So ein Glück, dass die Leute zu mir gekommen sind. Dass sich die Vorurteile nicht verfestigten. Dass sie Dampf ablassen konnten.“ Diese Damen kommen vielleicht ein Jahr später wieder und sind reizend. Mit diesen Problemen haben viele zu tun, die sich im interreligiösen Dialog engagieren.

Sehen Sie im Lauf der Jahrzehnte eine Verbesserung?

Ich sehe eine Entkrampfung. Es gibt heute ein größeres Wissen und Interesse. Wirklich neu ist das verstärkte muslimische Interesse am Dialog und Judentum. Da ist noch viel Arbeit zu tun, aber es ist gut, dass es da ist. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir in Österreich glücklich sein müssen, dass wir eine sehr moderate muslimische Vertretung haben. Wenn ich mir anschaue, was sich in Großbritannien abspielt, haben wir hier unglaubliches Glück mit unseren Muslimen. Wenn diese Interesse am Dialog zeigen, ist das eine Chance, die genutzt werden muss. Das halte ich auch für eine Sicherheitsfrage für uns Juden.

Wenn Sie sich etwas für Ihre Arbeit wünschen dürften, was wäre das?

Ich hätte gerne mehr jüdische Unterstützung. Es ergeben sich immer wieder neue Aspekte und Fragen. Es wäre gut, wenn man mehr Gedankenaustausch, Feedback hätte. Und mehr Leute, die sich engagieren.

Wie ist in der Israelitischen Kultusgemeinde die Resonanz auf Ihre Arbeit?

Noch weniger! Für das Bezirksforum bin ich die Vertretung von Or Chadasch. Für mich persönlich ist es wichtig, auch Mitglied der Kultusgemeinde zu sein. Daher weiß ich, wie der Mainstream reagiert. Wenn ich mich äußere, bemühe ich mich, mich im Sinne des Mainstreams zu äußern. Wenn es zu Besuchen kommt, lernen die Leute Or Chadasch kennen, also das liberale Judentum. Wenn sie das orthodoxe Judentum kennenlernen wollen, schicke ich sie zu den Synagogenführungen in der Seitenstettengasse. Und es gibt Dinge, wo ich an den Oberrabbiner Eisenberg verweise. Ich laviere ein bisschen. Ich möchte ja nicht das liberale Judentum vertreten, sondern das Judentum in Wien. Das halte ich für eine gewisse Verantwortung. Natürlich: Niemand ist ganz objektiv.


ZUR PERSON:
Eleonore Lappin

Eleonore Lappin, 1951 in Wien geboren, studierte deutsche, englische und vergleichende Literaturwissenschaften in den USA und Israel. Sie unterrichtete an den Universitäten Tel Aviv, Jerusalem, Graz und Innsbruck. Seit 1989 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der Juden in Österreich, hat u. a. Bücher und Artikel zur Verfolgung österreichischer und ungarischer Juden in der NS-Zeit publiziert. Sie ist Gründungsmitglied und Vizepräsidentin der jüdischen Gemeinde Or Chadasch.

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