Mit Maximus durch das Grauen

Eine Tschechin erzählt von Kindheitserlebnissen im KZ Theresienstadt. Maximus, ein Holzspielzeug, begleitet sie auf allen Wegen.
VON CORNELIA STAHL

Annika Tetzner, die eigentlich Sara Channa Eisenmann heißt, erzählt ihre ganz persönliche Geschichte, die stellvertretend für das Schicksal zahlreicher Juden steht. Die in Prag geborene Autorin wurde als Kind gemeinsam mit ihren Eltern und Familienangehörigen ins KZ Theresienstadt deportiert. In farbigen Kreidezeichnungen und Texten verarbeitete sie ihre traumatischen Erlebnisse. Aus ihrer Sicht eines Kindes, das sie damals war, erzählt sie vom Alltag während ihres Aufenthaltes im Vernichtungslager Theresienstadt. Die Zeit der Entbehrungen, der Gräuel und des Hungers spiegelt sich in drei Geschichten wider.

Der Leser bekommt Einblick in die internen Alltagsabläufe, Wohnbedingungen und soziale Familienstrukturen im Lager. Tetzner wählt dabei Themen, die zeitgenössisch sind und die Erlebniswelt der Kinder ansprechen. Da geht es etwa um die Arbeitswelt der Erwachsenen, um Lebensmittelknappheit, den erlittenen Hunger und um erlebte Solidarität unter den Internierten. Jüdische Traditionen, wie z.B. Pessach, sind Teil der Geschichten. Es geht um Gefühle des kleinen Mädchens, Gefühle der Angst, der Trauer, des Zweifels und der Geborgenheit. Der kleine Maximus, ein Holzspielzeug, begleitet das ängstliche Mädchen auf allen Wegen. Er ist Beobachter und Gesprächspartner und spendet Trost in dieser Zeit des Grauens.

Geschichten wie die des fünfjährigen Kindes, das die Autorin damals war, sind heute für uns möglicherweise schwer vorstellbar. Annika Tetzner aber schaffte es, ihre Geschichte in Worte zu fassen. Durch den Verzicht auf komplexe Satzkonstruktionen und die Verwendung eines kindlichen Sprachwortschatzes wird Kindern der Zugang zum Verstehen des komplexen Themas Holocaust ermöglicht. Unmittelbar haben die Leser die Möglichkeit, sich in die Gefühlswelt des Kindes hineinzuversetzen. Die knappen Sätze erzeugen eine Atmosphäre der Verdichtung, lösen innere Spannungen und Beklemmungen aus. Das mag im ersten Moment unangenehm sein. Annika Tetzners Verzicht auf Sprachkomplexität bewirkt jedoch, dass der Leser an der Vielschichtigkeit ihrer Erfahrungen teilhaben kann. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich ebenso in der Methodik wider: Textpassagen werden idealerweise durch eigene farbliche Zeichnungen ergänzt. Diese können separat als Einstieg in ein Gespräch mit Kindern verwendet werden. Eine sinnvolle Ergänzung zur Lektüre bietet das Glossar am Ende des Buches, welches jüdische Begriffe leicht verständlich erklärt. Die drei Geschichten, die sowohl gemeinsam als auch einzeln lesbar sind, bieten Zugang zur Thematik des Buches.

Beitrag zur Aufklärungsarbeit

Annika Tetzner ist die einzige Überlebende ihrer Familie und lebte vor ihrer Deportation in Teplice im heutigen Tschechien. Seit vielen Jahren ist sie nun bereits in Israel daheim, wo sie als Künstlerin tätig ist. Bereits 2006 setzte sie sich in dem Gedichtband Bloodflowers mit ihren Kindheitserlebnissen in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Mauthausen auseinander.

Die rote Masche schrieb Tetzner zunächst auf Tschechisch (Originaltitel: Cervena stuha), dann auf Englisch. Regelmäßig bereist die Autorin Tschechien und ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Teplice. Das nun auch auf Deutsch vorliegende Buch verdanken wir der Wiener Verlegerin der Edition Splitter, Batya Horn, und der Übersetzerin Gabriella Attems.

Die rote Masche ist nicht zuletzt ein wichtiger Beitrag zur Aufklärungsarbeit und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust an Schulen und in der Erwachsenenbildung.

 

Annika Tetzner
Die rote Masche
Ein Shoahbuch für Kinder & Erwachsene
Edition Splitter, Wien 2015
112 Seiten
15 EUR

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