Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn

Das Oberlandesgericht Wien entscheidet in nächster Instanz über den Holocaust-Leugner David Irving. Wer ist dieser Mann, der einerseits intelligent, gewandt und gebildet ist, andererseits erstaunlich dumm?
Von Eva Menasse

Der Holocaustleugner David Irving ist am 20. Februar 2006 in Wien wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz §3g zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Davor hatte er sich, auf Anraten seines Anwalts, als reuiger Sünder präsentiert, der inzwischen „die Existenz von Gaskammern in Auschwitz nicht mehr bestreite“. Das Gericht glaubte ihm seine Reue nicht, die übrigens juristisch nur strafmildernd hätte wirken können. Drei Jahre für eine „Meinungsäußerung“ – das schien nicht nur den paar Vorzeigeliberalen, die schon vor dem Prozess eine Reform des Verbotsgesetzes gefordert hatten, eine harte Strafe. Doch nur wenige Tage später gab der frisch Verurteilte seinen Richtern nachträglich Recht. In einem BBC-Interview wiederholte er, was er all die Jahre zuvor immer wieder, in beleidigender und diskriminierender Absicht allen Holocaust-Überlebenden gegenüber geäußert hatte: Wenn das Vernichtungsprogramm der Nazis wirklich so mörderisch gewesen sei, warum hätten dann trotzdem so viele Juden überlebt? Man kann nur hoffen, dass diese Äußerungen in die Überlegungen des Oberlandesgerichts einfließen, das nun in nächster Instanz über Irving entscheiden muss, nachdem er und sein Anwalt das Urteil als zu hart, der anklagende Staatsanwalt dagegen als zu milde angefochten haben. Für einen Menschen, der noch im Gerichtssaal alles tut, um seine Lage taktisch zu verbessern, sind solche Äußerungen vor dem endgültigen Abschluss des Verfahrens eine erstaunlich dumme Tat. Doch diese Dummheit passt genau zur seltsamen Psyche des David Irving. Dieser Mann ist nämlich einerseits intelligent, gewandt und gebildet – das macht ihn für die Rechtsextremistenszene so wertvoll und aus unserer Sicht so gefährlich. Man sollte ihn weder dämonisieren noch unterschätzen. Irving verfügt über ein stupendes Wissen der deutschen Zeitgeschichte, er kennt die Biographien vieler Nazigrößen wie kaum ein Zweiter, und er hat für die Forschung etliche neue Quellen aufgetan, die nun im Münchner Institut für Zeitgeschichte liegen. Es ist David Irving gewesen, der mit seinen aufwendig gestalteten Büchern den Leugnern, Verharmlosern und Revisionisten ein vermeintlich seriöses Geschichtskompendium an die Hand gegeben hat, das diese nun für alle Zukunft als eine Art Gegengeschichte ins Treffen führen werden: „Seht her, es war eigentlich alles ganz anders, und hier sind auf hunderten Seiten, in tausenden Fußnoten die Beweise dafür.“ Irvings Bücher faszinieren immer wieder junge Menschen, die dafür anfällig sind – und das sind nicht die dümmsten, denn biertrunkene Skinheads halten sich mit Geschichtsbüchern gar nicht erst auf. Deshalb, und das sei all den Kommentatoren gesagt, die sich in dem für Österreich so ungewohnten Gewande der Liberalen versuchen, trifft es gerade mit dem gepflegten, scheinbar harmlosen Gentleman David Irving durchaus einen Richtigen, wenn er nun wirklich für einige Jahre aus dem Verkehr gezogen würde. Aber trotz aller fachlichen Kompetenz stand sich Irving auch immer selbst im Weg. Er hat schon immer solche Fehler gemacht, und sie haben seinen wirklich großen Erfolg zum Glück verhindert. Er hätte, um nur ein Beispiel zu nennen, weiterhin ein umstrittener, aber trotzdem von vielen respektierter Historiker bleiben können, wenn er sich nicht 1977 zu der grotesken These verstiegen hätte, Hitler habe vom Holocaust nichts gewusst, sondern Goebbels und Co hätten die Judenvernichtung hinter Hitlers Rücken in Szene gesetzt. Erst dadurch hat sich Irving weithin unmöglich gemacht, erst diese Wendung führte schließlich im Jahr 2000 zu jenem Prozess in London, in dessen Verlauf etliche seiner Bücher mit gigantischem Aufwand bis in die Fußnoten hinein überprüft und als gerissene Fälschungen und Geschichtsklitterungen entlarvt wurden. Es gehört eben eine bestimmte Art von Persönlichkeit zu einer Karriere wie der Irvings. Es ist eine seltene Mischung von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn, die ihn überhaupt psychisch dazu befähigt hat, sich als Einzelkämpfer gegen die ganze Historikerzunft zu stellen und das bei nicht geringem Gegenwind durchzuhalten – er wurde mit Eiern beworfen, vor seinem Londoner Haus wurde demonstriert, seine Brüder wollen schon lange nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber genau diese Persönlichkeitsstruktur ist es, die ihn in entscheidenden Momenten die Contenance verlieren und jede Taktik vergessen lässt. Dann kann er einfach nicht anders als das Maul aufreißen und sagen, was er wirklich denkt. Auch in der österreichischen Politik gibt es ja solche Charaktere. Und das ist letztlich eine befriedigende Erkenntnis: Dass solche Leute, so weit sie es auch bringen mögen, sich am besten und nachhaltigsten doch selbst beschädigen. Eva Menasse Geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin bei „Profil“ in Wien. Sie wurde Redakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving in London und schrieb ein Buch darüber. Nach einem Aufenthalt in Prag arbeitete sie als Kulturkorrespondentin in Wien. Sie lebt seit 2003 in Berlin. Zuletzt erschienen: „Vienna“ (Kiepenheuer & Witsch).

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