Michael Degen 1932-2022

@ Udo Grimberg, Creative Commons by-sa-3.0 de

Trauer um einen großen Künstler und Zeitzeugen

Von Gabriele Flossmann

Michael Degen hat im Laufe seines langen Lebens alles gespielt. Ob Shakespeare, Molière oder Brecht, an ersten Häusern in Berlin, Salzburg, Wien, München oder auch Hamburg, unter Regiestars wie Peter Zadek (Ghetto), George Tabori und Ingmar Bergman. Doch der Schauspieler, der – wie er es einmal formulierte – vier Kinder zu ernähren hatte, trat häufig auch in Zuschauerhits auf. Von Diese Drombuschs an der Seite von Witta Pohl in den 80ern und 90ern, Derrick und Klinik unter Palmen bis zu Traumschiff und Rosamunde Pilcher-Verfilmungen. Den Anfang genommen hatte seine Bekanntheit bei einem breiten TV-Publikum, als er 1979 den Bendix Grünlich in Franz Peter Wirths Die Buddenbrooks spielte. Bis zuletzt war er der Star der Donna Leon-Krimiserie, in der er jahrelang den eitlen Vice-Questore Patta mit gehöriger Selbstironie ausstattete. Mit der NS-Vergangenheit setzte sich Michael Degen unter anderem in Egon Monks Die Geschwister Oppermann (1983) und in Michael Kehlmanns Geheime Reichssache (1987) auseinander, in der er Adolf Hitler darstellte.

Deutsch-israelischer Doppelstaatsbürger

Michael Degen, geboren 1932 in Chemnitz als Sohn jüdischer Eltern, wuchs in Berlin-Tiergarten auf. Um seinen älteren Bruder Adolf vor den Nationalsozialisten zu schützen, schickten ihn die Eltern 1939 über Dänemark und Schweden nach Palästina. Im selben Jahr deportierte die Gestapo seinen Vater. Michael Degen und seine Mutter tauchten mit falschen Identitäten unter und überlebten den Zweiten Weltkrieg nur mithilfe eines Berliner Ehepaares, das Mutter und Sohn in einer Laubenkolonie versteckte. 1949 emigrierte Michael Degen nach Israel, diente dort bei den Streitkräften und trat an den Kammerspielen von Tel Aviv in neuhebräischer Sprache auf. „Was mich 1951 zur Rückkehr bewegt hat, war mein Beruf“, erklärte er später in Interviews. Er habe „große Sehnsucht“ verspürt, „wieder in deutscher Sprache auf der Bühne zu stehen“. Bald wirkte er in Brechts Berliner Ensemble im Ost-Teil der Stadt. Nach Israel kehrte der wunderbare Schauspieler jedoch immer wieder für Dreharbeiten und Gastrollen zurück, er blieb zeitlebens deutscher und israelischer Doppelstaatsbürger.

Attraktiver Gentleman

Berühmtheit erlangte Degen auch als Autor oft autobiografisch inspirierter Bücher wie Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin (1999). In dieser 2006 von Jo Baier verfilmten Geschichte erzählte er von Ereignissen, die ihn sein Leben lang nicht loslassen sollten: Dass sein Vater Jakob, ein Sprachenprofessor und Kaufmann, zwar aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen wieder freikam, aber kurz nach seiner Freilassung an den Folgen der Folterungen im KZ starb. Auch den Menschen, denen er und seine Mutter das Überleben verdankten, setzte er in dem Buch ein literarisches Denkmal. Jahrzehnte später, 1986, musste er erleben, dass Neonazis seine Hamburger Wohnung verwüsteten und ihn mit dem Umbringen bedrohten, weil er gegen ein Treffen von SS-Veteranen protestiert hatte: „Dass junge deutsche Juden wieder um ihr Leben fürchten müssen, dass Antisemitismus und Rassismus nicht zu tilgen sind, lässt mich mit ohnmächtiger Wut zurück.“

Als Schauspieler sei stets in Gefahr, durch seine Einfühlung in viele Rollenfiguren das Empfinden für die eigene Persönlichkeit zu verlieren, sagte Michael Degen einmal in einem Interview. In Erinnerung bleiben wird er als stets sympathisch bescheiden auftretender Künstler mit der Ausstrahlung eines attraktiven Gentlemans.

Am 31. Januar 2022 hatte Michael Degen seinen 90. Geburtstag gefeiert. Kurz vor der Pandemie hatte er sich noch ein Wohnmobil gekauft, mit dem er nach Kroatien und zuletzt nach Italien gereist war. Anfang April starb der Grandseigneur des deutschsprachigen Films. Der deutsche Bundesverband Schauspiel will Michael Degen posthum mit einem Ehrenpreis auszeichnen.

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