Mein ältester Sohn wollte nie, dass ich den Davidstern trage

Danielle Spera sprach mit der Wiener Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann über ihre Mutter, die Jüdin war, und über die Rolle der Religion in der Politik und in ihrem Leben.
Von Danielle Spera

Sie wurden im Februar 1946 geboren. Über Ihren Vater ist alles hinlänglich bekannt, über Ihre Mutter eigentlich kaum etwas – wer war Ihre Mutter?

Meine Mutter stammte aus einer jüdischen Familie, ihr Vater war Rechtsanwalt. Schon als junges Mädchen hat sie erkannt, wie schlecht es vielen Menschen geht und hat sich den Sozialdemokraten angeschlossen. Ihre Eltern waren nicht übertrieben begeistert, sie waren liberal bürgerlich und völlig unpolitisch, sie haben zwar die Haushälterin gut behandelt, aber mit dem Proletariat an sich wenig anzufangen gewusst. In der Sozialdemokratie hat sie dann meinen Vater kennen gelernt.

Hat Religion in der Familie ihrer Mutter eine Rolle gespielt?

Ihre Gro ß e l t e rn sind noch streng religiös gewesen und hatten streng koscher gelebt. Die Eltern meiner Mutter waren sich des Judentums bewusst, aber nicht religiös. Sie haben die Taufe abgelehnt, sie haben es abgelehnt sich an Christen anzubiedern, aber sie hatten auch keine Berührungsängste.

Gab es in der Beziehung ihrer Eltern Diskussionen über das Thema Religion?

Sie hat sich geweigert, meinen Vater in der Kirche zu heiraten. Sie sagte, sie wolle nicht unter dem Kreuz heiraten, sie verlange nicht von ihm, dass er in den Tempel geht, sie würde aber auch nicht in die Kirche gehen. Das hat mein Vater auch akzeptiert. Religion war bei ihnen kein Thema. Sie waren nicht gläubig, meine Mutter ist später aus der IKG ausgetreten. Jedenfalls hat sie den Yom Kippur immer gehalten. Sie war absolut nicht koscher, aber sie ist ausgerastet, wenn man in ihr Milchgeschirr etwas Fleischiges hineingeben wollte. Selbst bei der Katze gab es eine milchige und eine fleischige Schüssel.

Wie hat ihre Mutter den Krieg überlebt?

Im März 1938 wollte man meinen Vater zwingen, sich scheiden zu lassen. Mit der Drohung, er dürfte sonst nicht mehr als Lehrer arbeiten. Da hat mein Vater die Schule verlassen. Meine Mutter hatte alle Beschränkungen, sie musste nur keinen Stern tragen. Was schon ein großer Vorteil war. In diesen Jahren haben meine Eltern einen Kartenspielpartner meines Vaters, Dr. Paul Briel, dem die Gestapo auf den Fersen war, solange bei sich versteckt, bis er ausreisen konnte. Mein Vater hat ihr verboten auf die Straße zu gehen, weil er Angst hatte, dass ihr etwas passiert. Später im Luftschutzkeller ist sie immer beobachtet worden, man hat gesagt, die Jüdin freut sich, wenn die Bomben fallen und sie hat sich wirklich gefreut. Dann sind die Eltern untergetaucht. In jungen Jahren hat man meine Eltern immer gefragt, sagt´s, wer von euch beiden ist eigentlich Jude, weil mein Vater hat gern nächtelang Karten gespielt im Kaffeehaus und meine Mutter war immer an der frischen Luft. Ihre Freundinnen haben immer gesagt Du und Deine Gojm naches.

Sind Sie dann im Bewusstsein aufgewachsen, dass sie Jüdin sind?

Eigentlich lange nicht. Mein Vater war dafür, dass ich eine Religion bekomme, Religion sei ein Stück Kulturgeschichte. Ich wurde getauft, eigentlich, obwohl es meiner Mutter nicht recht war – sogar sehr gegen ihre Überzeugung. Als der Pfarrer das Kreuzzeichen über mich geschlagen hat, habe ich in hohem Bogen gespieben, meine Mutter hat gesagt, ein Zeichen von „oben“. Ein Judenkind tauft man eben nicht. Sie hat mir natürlich über die Konzentrationslager erzählt, aber wirklich realisiert, dass sie Jüdin ist, habe ich nicht, ich wusste, sie war konfessionslos, später hat sie mir aber erzählt, sie sei Jüdin. Ich habe mir einen Davidstern gewünscht, und sie hat ihn mir geschenkt. Sie hat gesagt: dein Vater ist schon viel toleranter als ich, ich hätte nie ertragen, dass du ein Kreuz trägst.

Wie haben Sie sich gefühlt, eher als Jüdin oder als Christin?

Durch den Einfluss meiner Mutter mehr als Jüdin. Ich habe bemerkt, dass sie orthodoxen Juden nachgegangen ist, weil sie den Klang hören wollte. Das ist die Sprache meiner Kindheit, ich vermisse sie so sehr, hat sie gesagt. Sie hat einmal vier Jahre in Klagenfurt gelebt, und mir immer gesagt, wie schrecklich es gewesen sei, in einer Stadt ohne Juden leben zu müssen. Sie hat aber dann immer gleich gesagt, sag es aber nie zum Papa und den Freunden, sie sollen nicht das Gefühl haben, dass sie mir zu minder sind oder dass ich etwas vermisse.

Und die Feiertage, Tradition, ist das in ihre r Familie hochgehalten worden?

Überhaupt nicht. Die christlichen Feiertage wurden als Feste ohne Inhalt gefeiert. Ich habe jahrelang auch nicht kapiert, dass der Weihnachtsbaum irgendetwas mit Christi Geburt zu tun hat. Meine Mutter hatte sich in der Nazizeit geschworen, wenn sie ihre Mutter noch einmal wieder sieht, dann tritt sie auch wieder der Kultusgemeinde bei. Sie ist dann aber nicht beigetreten, dann hatte sie Krebs, und da hat sie wieder mit dem lieben Gott gehandelt und hat gesagt, wenn er sie meine Matura noch erleben lässt, dann wird sie wieder Jüdin. Und sie hat dann meine Matura erlebt. Mein Vater war damals Parteivorsitzender, Präsident der Internationale und Vizekanzler. Sie hat zu ihm gesagt, du ich hab diesen Schwur getan, wie stehst du dazu? Und da hat er gesagt, ich habe eine Jüdin geheiratet, ich lege dir nichts in den Weg. Er hat aber gesagt, was du bist, ist gut, ich habe dich geschützt, aber ich möchte nicht, dass unser Kind Mitglied der Kultusgemeinde wird. Sie hat mir den Schwur abgenommen mit 18. Sie hat gesagt, dass sei der Wunsch meines Vater und sie hat gesagt, du kannst Jüdin sein in deinem Wesen, aber du darfst nicht in die Gemeinde eintreten. Mein Vater wollte, dass sein Kind in Sicherheit lebt.

Welchen Stellenwert hat das Judentum heute für sie?

Schon einen wichtigen, es ist irgendwie Identität für mich. Meine Mutter hat auch immer ihre große jüdische Familie vermisst und ihre vielen Freunde. Mein Vater hat gemerkt wie groß ihre Sehnsucht ist, denn meine Mutter war eher sehr zurückhaltend und distanziert, und wenn sie unter Juden war, war sie laut und lustig. Mein Vater war ein großer Freund Israels. Er hat eine sehr israelfreundliche Politik in der SPÖ und in der Sozialistischen Internationale gemacht. Golda Meir schrieb in einem Brief an meinen Vater, auf dich können wir uns immer verlassen.

Wie ging man in ihrer Familie mit der Stimmung innerhalb der SPÖ gegenüber Juden um? Schließlich bemühte man sich nicht sehr um die Rückkehr von jüdischen Emigranten.

Mein Vater hat immer wieder versucht den Freunden zuzureden, nach Österreich zurückzukommen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Situation nach dem Krieg nicht rosig war, es gab wenig Wohnungen, kaum etwas zu essen. Zurückgekommen sind meist die Kinderlosen, wer Kinder hatte, wollte nicht zurück.

Immerhin gab es ja auch einen sozialdemokratischen Minister, der in Sachen Restitution die „Sache in die Länge ziehen“ wollte.

Mein Vater war bei diesem Ausspruch sicher nicht dabei. Meine Mutter war prinzipiell sehr böse darüber, dass man die Nazis rasch wieder in die Gesellschaft einbezogen hat, das war ein Streitpunkt zwischen meinen Eltern. Meine Mutter hat gesagt, bevor nicht der letzte Jude entschädigt sei, habe kein Nazi etwas zu bekommen. Mein Vater war der Meinung, man könne diese Menschen nicht ausgrenzen, man müsse versuchen, ihre Denkungsweise zu ändern. Aber er hat immer sehr scharf auf Antisemitismus reagiert. Meine Mutter hat es nicht ausgeschlossen, dass Juden wieder verfolgt werden. Als ich meinen ersten Sohn David nennen wollte, hat sie mich angefleht, meinen Kindern keine jüdischen Namen zu geben. Meine Enkel sollen nicht zugrunde gehen, nur weil ihre Großmutter Jüdin ist, hat sie gesagt.

Wie haben es ihre Eltern aufgenommen, dass dann in der ersten SPÖ-Alleinregierung gleich vier Nazis vertreten waren?

Meine Mutter war verbittert. Mein Vater war milder, er soll es zwar innerparteilich kritisiert haben, vor mir hat er nichts erwähnt, damit ich nicht in meinem jugendlichen Überschwang etwas nach außen trage. Da war er vorsichtig. Ich glaube, Kreisky wollte zeigen, dass man ihn nicht in jüdische Klischees hineinpressen kann. Er wollte seine große Objektivität zeigen. Vielleicht gab es deshalb auch keinen offenen Antisemitismus in Österreich. Meine Eltern haben manchmal antisemitische Briefe bekommen. Damals ist folgender Witz kursiert: Was ist der Unterschied zwischen Kreisky und Pittermann? Kein großer: Der eine ist ein halbfetter Volljude und der andere ist ein vollfetter Halbjude.

War es innerhalb der Partei ein Thema, das die Frau des Vorsitzenden Jüdin war?

Meine Mutter ist fast nie in der Öffentlichkeit erschienen, weil sie gesagt hat, ihr Gesicht könne der Partei nur schaden. Meinen Vater hat das immer gestört, er wollte sie auf offiziellen Photos mit draufhaben. Meine Mutter hat gesagt, es wäre besser, du hättest eine blonde Frau, mir sieht man eben meine Herkunft an. Sie war wirklich bildschön, ein bildschönes jüdisches Mädel. Und in das hat er sich eben auch verliebt. Innerhalb der Pa rtei war es kein Thema.

Das Verhältnis zwischen der SPÖ und Juden in der 2. Republik war nicht unbelastet.

Während mein Vater verantwortlich war, war es relativ friktionsfrei. Er hatte ein gutes Ve rhältnis zur Kultusgemeinde und ein bekannt gutes Ve rhältnis zu Israel. Die Auseinandersetzung Kre isky – Wiesenthal war ein anderes Kapitel und hatte einen ganz anderen Hintergrund, der in der Auseinandersetzung mit der ÖVP zu suchen ist.

Glauben Sie, dass sich das heute verändert hat?

Nein, ich glaube, es ist den meisten nicht bewusst. Nicht nur innerhalb der Partei, überall. Antisemiten kann man überall begegnen, vielleicht noch am wenigsten muss man sagen bei den Grünen, die sich mental sehr unter Kontrolle haben

Auch nach der Erklärung Franz Vranitzkys über die Mitschuld Österreichs, oder Alfred Gusenbauers Hinweis auf die braunen Flecken in der Partei?

Antizionismus ist nur ein euphemistisches Wort für Antisemitismus. Alles was ich gegen Juden nicht sagen kann, kann ich gegen Israel sagen. Die SPÖ ist nicht frei von solchen Regungen, und dagegen muss man arbeiten. Oft wird in meiner Gegenwart Kritik an Israel geübt, ich frage dann immer, warum sagst du das gerade mir.

Sie müssen als Politikerin mit FPÖ-Politikern Kontakt halten, wie geht es ihnen damit?

Ich beschränke die Kontakte auf ein absolutes Minimum. Meine Mutter hat mir schon als kleines Kind verboten, mit Nazis oder der „Nazibrut“, wie sie es genannt hat, zu spielen oder mich zu unterhalten.

Nach all dem, was die SPÖ an Aufklärung versucht hat zu leisten, kommt ein Bundeskanzler und wärmt die Opfertheorie wieder auf. Ist das nicht ein Freibrief zum Verdrängen?

Natürlich ist es das. Davon hat Österreich immer gelebt. Das war typisch, damit konnte man sagen, alle anderen sind schuld. Natürlich sind die Deutschen einmarschiert, aber hier hat man gejubelt. Und manchen tut es auch heute noch leid.

Sie haben drei Söhne, wie haben sie sie erzogen?

Sie haben sich von der Religion total entfernt, und ich glaube, sie haben ein bisschen Angst. Mein ältester Sohn wollte nie, dass ich den Davidstern trage, er hatte immer Angst, dass mir etwas passiert, in der U-Bahn hat er gesagt, zieh dir doch den Schal vor. Ich habe es nicht sehr gefördert, dass sie sich mit dem Judentum beschäftigen, ich dachte, sie sollen selbst die Entscheidung treffen. Ich habe gesagt, der Wunsch eurer Großmutter war, dass ich euch nicht taufen lasse. Ihr sollt euch selbst entscheiden.

Finden sie es nicht irgendwie schade, dass damit die Wurzeln verloren gehen?

Ja schon, allerdings haben meine Eltern diese Linie vorgegeben. Meine Mutter wollte immer nach Israel reisen, das war ihr aber aus gesundheitlichen Gründen nie möglich. Sie wollte unter jüdischer Erde bestattet werden, ich habe in ihre Urne dann Erde aus Israel gegeben und einen Davidstern. Statt Kränzen wurden in Israel Bäume für sie gepflanzt. In einer Diskussion über den Namen für meinen Sohn habe ich meiner Schwiegermutter einmal gesagt, dass man nach der jüdischen Tradition ein Kind nicht nach einem lebenden Verwandten benennen darf, da sagte sie, sie sind doch keine Juden. Hab ich gesagt, das ist ein Irrtum, wir sind Juden, und so empfinde ich das auch heute.

 

zur Person

Primaria Dr. Elisabeth Pittermann ist Fachärztin für Innere Medizin. Seit Dezember 1994 gehört die Tochter des früheren SPÖ-Part e ivorsitzenden und Vizekanzlers Bruno Pittermann dem Nationalrat an. Seit Dezember 2000 ist sie Stadträtin für Gesundheit in Wien.

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