Mehr als nur die zweite Geige

Der leere Hintergrund als Projektionsfläche: „Porträt Ernst Koessler“, 1910. © Museum Ortner, Wien, Foto: Kunsthandel Giese & Schweiger

Maler, Musikkenner, Freund von Schiele, Feind von Kokoschka: Das Leopold Museum widmet Max Oppenheimer im Herbst eine umfangreiche Werkschau.

Von Nicole Scheyerer

Die Augen verschattet, das Gesicht in gelb-grünem Teint und dennoch eine attraktive Figur: Im Jahr 1910 verewigte Egon Schiele seinen Freund Max Oppenheimer als Dandy wie aus dem Bilderbuch. Das Porträt zeigt den jungen Künstler mit einer knochigen Hand vor der Brust, sein Anzug wird zur schwarzen Fläche. Besonders fasziniert der abgründige Blick des Lebemanns.

Ganz anders dagegen das Bildnis, das Oppenheimer zur selben Zeit von Schiele anfertigte. Das Ölbild zeigt den fünf Jahre jüngeren Kollegen abweisend, fast mürrisch, die Hände wie ein neurotisches Bollwerk verschlungen vor sich. Während bei Schiele noch die Eleganz des Jugendstils dominiert, zielt Oppenheimer auf psychologischen Tiefgang. Beide streben nach Expressivität, jedoch mit ganz unterschiedlichen Mitteln.

Fast dreißig Jahre liegt die letzte Wiener Retrospektive zu Max Oppenheimer zurück. Damals brachte der Kunsthistoriker Tobias Natter, spezialisiert auf die Epoche „Wien um 1900“, dessen weitverstreute Werke im Jüdischen Museum Wien zusammen. Nachdem der jüdische Künstler 1938 fliehen musste, zerstörten und konfiszierten die Nazis die Bilder in seiner Wohnung. Oppenheimer starb 1954 in New York und geriet in Vergessenheit. Nun widmet das Leopold Museum dem „Expressionisten erster Stunde“ eine große Werkschau.

Porträtist der Künstler

Oppenheimer wurde 1885 in ein assimiliertes Wiener Elternhaus geboren. Sein Vater war Redakteur der Neuen Freien Presse und Mitherausgeber der Blätter für Theater, Musik und Kunst. Bereits mit 15 Jahren begann der Journalistensohn an der Akademie der bildenden Künste zu studieren. Anschließend wechselte er an die Prager Kunstakademie, wo er vom deutschen Impressionismus beeinflusste Landschaftsbilder schuf. Der junge Maler nahm ab 1906 immer wieder an Ausstellungen der Secession teil.

Als Heinrich Mann für eine Lesung in Prag weilt, bekommt Oppenheimer die Chance, den deutschen Schriftsteller zu malen. Zurück in Wien, macht er sich als Porträtist der Künstler- und Intellektuellenszene, mit der er von klein auf vertraut ist, einen Namen. Geistesgrößen wie Karl Kraus, Stefan Zweig, Arthur Schnitzler und Sigmund Freud sitzen für ihn Modell. Oppenheimer stellt die Personen vor leerem Hintergrund dar, ebenso wie in seinem Selbstporträt, das 1908 in der Wiener Kunstschau präsentiert wird.

Während Oppenheimer Schiele als Freund gewinnt, kippt die anfängliche Sympathie für Kokoschka bald ins Gegenteil. Der Liebhaber von Alma Mahler wittert in dem jüngeren Kollegen einen Konkurrenten. OK, wie Kokoschka seine Bilder markiert, wirft dem mit MOPP signierenden Kollegen bald vor, seinen Malstil abzukupfern. Als Oppenheimer 1911 in der Münchner Galerie Thannhauser seine erste Soloschau hat, wird das Ausstellungsplakat zum Streitapfel.

Der Blutende nennt Oppenheimer seine dramatische Darstellung eines nackten Mannes mit einer rot klaffenden Wunde in der Brust. Der homosexuelle Künstler benutzt eine Lithografie des Gemäldes als Plakatsujet für die Schau, worauf ihm Kokoschka vorwirft, bei dem Bild handle es sich um ein Plagiat. Und zwar hätte er Kokoschkas Selbstporträt mit Wunde kopiert, das 1910 die Expressionisten-Zeitschrift Der Sturm zierte.

Angesichts solcher Attacken ist es kein Wunder, dass sich Oppenheimer von der Wiener Szene abwendet. In Berlin stellt er im Salon des Kunsthändlers Paul Cassirer aus und darf die Ehefrau des Galeristen, Tilla Durieux, porträtieren, eine unter Künstlern als Modell gefragte Schauspielerin. Das Bild befindet sich heute im Besitz des Leopold Museums. In dem zersplitterten Faltenwurf von Durieux‘ Kleid schlägt sich bereits das Interesse am Kubismus durch. Wiewohl von gedeckter Farbigkeit, fesselt das Dreiviertelbild durch den verlorenen Ausdruck der Dargestellten.

Radikal und zudem homoerotisch aufgeladen, inszeniert Oppenheimer 1913 Die Geißelung. Wie in einem Reigen kreisen darin nackte Peiniger um ihr Opfer. Der Bildaufbau zeigt auch den Einfluss von Altmeister El Greco. Ein vergleichbares Kompositionsschema hatte der Künstler bereits in Operation angewendet, wo er Chirurgen spiralförmig um einen offenen Leib anordnet. Am Futurismus geschult, bringt Oppenheimer Dynamik in seine Gruppenbilder und einen Rhythmus, der seinem späteren Lieblingsmotiv, der Musik, entspricht.

Im Jahr 1915 übersiedelt der Künstler nach Zürich, wo er neben eigenen Ausstellungen das dadaistische Cabaret Voltaire mitbegründet. Der passionierte Geiger möchte Malerei und Musik verbinden. Seine Stillleben mit Violinen kommen gut an. Noch in Wien 1926 beginnt er mit seinem monumentalen Hauptwerk Gustav Mahler dirigiert die Wiener Philharmoniker, das er erst im amerikanischen Exil 1952 beenden kann.

Anlässlich des 150. Geburtstags von Mahler 2010 präsentierte das Belvedere das Großgemälde zusammen mit anderen Instrumenten- und Musikerbildern des vertriebenen Künstlers. „Die Verbindung von Musik und Malerei sollte für Oppenheimer zu einem überlebenswichtigen Heilmittel in der Fremde werden“, hieß es zu der damaligen Ausstellung. Nach seinem Tod 1954 gerät Maximilian Mopp, wie er sich in den USA nannte, in Vergessenheit. Höchste Zeit, einen frischen Blick auf den Künstler zu werfen, der viel mehr als nur die zweite Geige spielte.

Die Hände als neurotisches Bollwerk: „Porträt Egon Schiele“, 1912 © Wien Museum, Foto: Wien Museum/Birgit und Peter Kainz

„Max Oppenheimer. Expressionist der ersten Stunde“,
Leopold Museum, ab 6. Oktober

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