Make l’ve n’t war

Thomas H. Huxley, Wegbereiter des Agnostizismus, hatte keine Angst vorm Fliegen

Ist Gottes Wille bloß eine Ausrede der Gläubigen, um ihr Ding zu machen? Ronni Sinai und Nathan Spasić, Ketzer und Agnostiker, über das Gemeinsame von Religionen, King Charles und Rock ’n’ Roll.

Nathan: Ronni, wenn ich über unser Schwerpunktthema nachdenke, stellt sich schnell die Frage: Welche Religion wäre dir am liebsten?

Ronni: Die haben sie noch nicht erfunden. Mit so etwas wie „spirituellem Agnostizismus“ könnte ich mich anfreunden. Sozusagen an das Göttliche in mir zu glauben. Ich möchte mich lieben und ertragen, wie ich bin, nämlich meschugge. Wie sieht es damit bei dir unverdorbenem Jingele aus?

Nathan: Ich muss – und ich gestehe, es fällt mir schwer – dir zustimmen. Wobei mir der Agnostizismus bisher am sympathischsten ist. Gut, man kann natürlich behaupten, dass das keine Religion ist. Wobei ich es manchmal schon sehr beeindruckend finde, in einer Kirche zu stehen oder dem Gesang des Rabbis zu lauschen. Auch der muslimische Ritus hat etwas. Das mag vielleicht hippiemäßig klingen.

Ronni: Apropos Hippie: Die 1968er hatten auch ihre Religion. „sex, drugs and rock ’n’ roll “ oder „Make love not war“ hieß es damals. Oder war es eine Kultur? Oder Sekte? Die Begrifflichkeiten verwirren mich sowieso. Jedenfalls haben die leider meistens eines gemeinsam: das Ausgrenzende. Die Andersgläubigen sind die Ungläubigen und Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Sogar innerhalb von vermeintlichen Religionsgemeinschaften gibt es ja erbitterte Kämpfe. Man denke nur an den Islam. Schiiten, Sunniten, das Kalifat, Jesiden … Wer kennt sich da noch aus? Oder sollten wir Juden da vor der eigenen Türe kehren?

Nathan: Also ich denke, das Judentum ist relativ friedlich. Zumindest gibt es keinen gewalttätigen Disput zwischen Aschkenasen und Sepharden. Und wenn, dann ist man sich höchstens bei Fragen guter Küche oder des Talmuds uneinig. Diese Scharmützel sind aber nichts gegen den Schlachtzug des Katholizismus gegen die Lutheraner. Dich schätze ich eher als Ketzer ein, oder täusche ich mich?

Ronni: Ja, Ketzer aus Leidenschaft! Hauptsache dagegen sein. Schuld sind die Ungläubigen, nein, was red ich, in meinem Fall die Gläubigen. Wie oft in der Menschheitsgeschichte wurde der Glaube des Menschen an Götter manipulativ missbraucht. Das todsichere Rezept zur Machterhaltung war stets das Argument, es sei doch alles G’ttes Wille, ER ist es, der dich bestraft, wenn du ungehorsam bist. Das Alte Testament ist auch eine Geschichte eines strafenden Gottes.

Nathan: Nu, manche haben die Strafe verdient. Der strafende G’tt ist natürlich das Produkt einer gesetzlosen Gesellschaft. Dass dieses Konzept heutzutage überholt ist, merkt man ja anhand von Ländern wie dem Iran oder Saudi-Arabien. Aber auch andere Staaten im vermeintlich aufgeklärten Westen tun sich schwer mit der Trennung zwischen Religion und Staat. Stichworte sind Phrasen wie „God save America“ oder in Klassenzimmern hängende Kreuze.

Ronni: Der Aufruf „God save the Queen“ wurde schließlich 96 Jahre lang erhört. Manchmal nützt es ja was. Ob King Charles diese Gnade auch zuteil wird, weiß nur – tja, du ahnst es… Aber das ist eine andere Geschichte. Du hattest den Talmud erwähnt. Ich hab ihn ja nicht studiert, Gott möge es mir verzeihen, aber es dürften sich einige Absurditäten darin finden, ohne lange suchen zu müssen. Sag mal, Nathan, wie soll denn übrigens die Bezeichnung des Herrn überhaupt in unserem Gespräch abgedruckt werden? Mit oder ohne „o“?

Nathan: Ich bevorzuge es ohne den Buchstaben. Weißt du, ich bin auch jemand, der im Flugzeug betet. Weil man weiß nie. Und das, obwohl ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit abzustürzen und abzukratzen gegen null geht. Gleichermaßen sinnlos ist es vermutlich, erst kurz vor einem potenziellen Absturz g’ttesfürchtig zu werden. Wie siehst du es? „O“ oder Apostroph?

Ronni: Was mich betrifft, wäre es scheinheilig, das „o“ auszulassen. Mein Lieber, ich verspreche dir, du bist einer von den Guten und wirst nicht abstürzen, ob du IHN mit oder ohne „o“ schreibst. Was den Talmud betrifft, weichst du mir dauernd aus.

Nathan: Du hast recht, ich weiche aus. Für eine Vorlesung reicht es nicht, doch natürlich muss man das Alte Testament und seine „Absurditäten“ im historischen Kontext betrachten. Eine kurze Google-Recherche ergibt folgendes: „Und als Mose unterwegs in der Herberge war, kam ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten“ (2. Mose 4,24). Was sagt man dazu?

Ronni: Da bin selbst ich sprachlos. In 2. Mose 31,15 steht bekanntlich geschrieben: „Sechs Tage soll man arbeiten, aber am siebenten Tag ist Sabbat, ein heiliger Ruhetag für den HERRN. Wer eine Arbeit tut am Sabbattag, soll des Todes sterben.“ Oj weh, wie viele Leben hab ich da schon verbraucht.

Nathan: Du bist nun mal ein Lebemann, wie es scheint. „Make love not war“ hast du ja eingangs erwähnt. Nu, lieber Ronni, dich rettet nicht einmal das Beten im Flugzeug.

Die mobile Version verlassen