Macht der Puppen

Das deutsche Puppentheater-Ensemble „Artisanen“ inszeniert die Geschichte der Anne Frank auf eindringliche Weise als Figurenspiel. ©Artisanen

Die Theatergeschichte ist voller Beispiele: Die Puppenfigur dient nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Aufarbeitung von Traumata und subversiver Kritik am politischen System.

Von Rosa Napadenski

Von einer unmittelbaren Verarbeitung traumatischer Erlebnisse zu sprechen, würde wohl zu weit gehen, aber die Geschichte ist voller entsprechender Hinweise: Wo Menschen leiden, kommen auch Puppen in Form von Theaterstücken zum Einsatz, nicht nur an Schreckensorten wie in Konzentrationslagern, sonder oft auch in Camps für Geflüchtete und dort, wo Krieg herrscht. 

Denn Puppen sind uns vertraut und dennoch leblos genug, um sie mit unseren Sorgen, Traumata und Gefühlen zum Leben zu erwecken. Sie können in Extremsituationen das eigentlich Unsagbare, das Undarstellbare greifbarer machen. Denn im Gegensatz zu menschlichen Darstellern, die auf der Bühne in eine andere Rolle schlüpfen, sind die Puppen anonym. Weshalb sie als ideales Medium dienen, um Diktaturen und politische Geschehnisse zu kritisieren: Die Puppe ist dem Spieler oder der Spielerin hilflos ausgeliefert, weshalb sie den Kampf nach Freiheit repräsentiert.

Raum für Fantasien

Der jüdisch-britische Regisseur Peter Brook meinte in seiner Theatertheorie, dass Schauspieler und Schauspielerinnen, die auf der Bühne „nichts“ tun, ihre Gedanken sichtbar machen und somit zu einer Projektionsfläche werden würden. Dieser Idee folgend bietet die Puppe eine noch größere Projektionsfläche, weil sie keine Mimik und keine Gedanken vorgibt – und damit dem Publikum zur Aufarbeitung von Geschehnissen einen größeren Raum für dessen Fantasien ermöglicht.

Und die Zeit des Puppentheaters ist noch nicht vorbei, wie etwa Nikolaus Habjan, der wohl bekannteste Puppenspielkünstler Österreichs, beweist. Und wie das Schubert-Theater in Wien zeigt, können Puppen auch unterhalten und verzaubern.

Shlomit Tripp wiederum nutzt die Möglichkeiten des Puppentheaters, um die jüdische Kultur vor allem Kindern näherzubringen. Sie geht davon aus, dass Nichtjuden jüdische Menschen unweigerlich mit dem Holocaust in Verbindung bringen, was zu Unbehagen führt und ein negativ konnotiertes Bild schafft. In ihrem Studio stellt die aus Istanbul stammende Künstlerin ihre Puppen selbst her. „Buba“ bedeutet auf Hebräisch Puppe und „Bubele“ – was  auf Jiddisch wiederum so viel bedeutet wie kleiner Liebling.

Kasperl im Krieg

Während der NS-Zeit, der Franco-Diktatur in Spanien oder Pinochets Gewaltherrschaft in Chile verhandelte das Puppentheater politische Themen, die grotesk und überspitzt dargestellt wurden. Die verbotene und gefährliche Kritik am System geschah unterschwellig, dennoch erkannten die Nazis schon früh die subversive Kraft des Puppentheaters und zensierten oder verboten viele Stücke. Gleichzeitig nutzten sie ihrerseits den Kasperl, um bei Kindern für Antisemitismus und Krieg zu werben.

Ein bekanntes Beispiel für die Zensur ist der tschechische Marionettenspieler Josef Skupa, der nach dem Ersten Weltkrieg die Figuren Spejbl und Hurvínek kreierte, um mit ihnen Kritik an der deutschen Besatzung zu üben. 1944 wurde Skupa von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis in Dresden gebracht, aus dem er aber fliehen konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Marionettentheater Spejbl und Hurvínek wieder aufgenommen und ist bis heute bekannt.

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