Lašo drom, Schalom!

Viele Juden kämpfen Seite an Seite mit Roma für deren Gleichberechtigung.
VON SAMUEL MAGO (TEXT)
UND IRINA SPATARU (FOTOS)

Es gibt weltweit über 14 Millionen Roma. In Europa stellen sie die größte ethnische Minderheit, die hier seit fast einem Jahrtausend täglich Diskriminierung und Xenophobie begegnet.

Menschen, die nicht ihrer Volksgruppe angehören, werden von den Roma Gad ze genannt – nicht aber die Juden, zu denen die Ethnie stets eine enge Verbundenheit verspürt hat.

So keres Europa?! – Was machst du, Europa?! So der Titel eines zehntägigen Aktivistentreffens in der rumänischen Großstadt Cluj. Rund 300 Jugendliche aus zahlreichen Ländern haben sich hier versammelt, um auf die zunehmende Romafeindlichkeit in Europa aufmerksam zu machen. Immer mehr junge Roma erheben die Stimme und wehren sich gegen Antiziganismus, eine Art des Rassismus, die sich gegen Menschen richtet, die als „Zigeuner“ wahrgenommen werden. Doch unter den 300 Aktivisten finden sich nicht nur Roma. Wir treffen auch Juden, die sich zum Ziel gesetzt haben, für die Rechte der Volksgruppe einzustehen und ihre Diskriminierung zu bekämpfen. NU sprach mit ihnen über ihren Aktivismus und ihren Kampf um Frieden.

Copy & Paste

In einem Außenbezirk von Cluj dient ein Universitätsgebäude als Veranstaltungsort für das Aktivistentreffen. Aus dem Haus dringen die Stimmen hunderter Jugendlicher, die eine Demonstration vorbereiten. Vor dem gelben Plattenbau sitzen wir auf einer Parkbank mit zwei jungen Frauen. Eine von ihnen ist Aleksandra Jach, eine Jüdin aus einer polnischen Kleinstadt unweit von Krakau. Schnell wird klar, dass sie nicht zum ersten Mal an solch einem Event teilnimmt. Sogar ihre Bachelor-Arbeit hat sie über die Volksgruppe der Roma geschrieben: „Ich habe viele Bücher über die Minderheit gelesen und bin dabei auf ihre Traditionen gestoßen, die ich dann mit jüdischen Bräuchen verglichen habe. Vor allem bei Hochzeitsbräuchen und Totenritualen war ich verblüfft. Sie sind sich in vielem ähnlich oder fast gleich. Und wenn man sich die Geschichte der Roma und Juden nach ihrer Ankunft in Europa anschaut, ist es fast Copy & Paste.“ Sie wurden seit jeher verfolgt, gehasst und nicht akzeptiert, erklärt sie. Man hätte sie nicht in die Stadt gelassen, und sie seien immer Sündenböcke gewesen.

Am meisten ärgert Aleksandra, dass sich niemand für den Völkermord an den Roma interessiere. Bis heute sei der 2. August als Roma Genocide Remembrance Day in kaum einem Staat in Europa anerkannt worden. „Das ist verrückt. Roma sind durch dasselbe Schicksal gegangen wie wir und keiner redet darüber. Sie werden immer noch diskriminiert, delogiert und gehasst, nur weil sie Roma sind. Das größte Trauma, das beide Völker erlebten, passierte während der Nazi-Diktatur. Sie wurden in dieselben Ghettos und Konzentrationslager gesteckt. Was mit den Juden passierte, passierte meistens auch mit den Roma“, sagt Aleksandra.

Sára Szilágyi sitzt neben ihr und nickt. Die Jüdin wohnt in Budapest und arbeitet seit ihrer frühen Jugend ehrenamtlich für jüdische Organisationen. Ihre Großmutter überlebte das Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie im Krankenflügel neben einer Romni lag. „Diese Roma-Frau hat neben ihr gelitten und ist in diesem Bett gestorben. Für meine jüdische Identität ist die Lebensgeschichte meiner Oma immer schon maßgebend gewesen. Ich glaube, dass diese Geschichte einer Romni, die ihr Bett und ihr Schicksal mit meiner Großmutter teilte, meine Arbeit mit Roma sehr beeinflusst hat“, erzählt sie.

Ausschlaggebend für die Entscheidung zum Masterstudium der Minderheitenpolitik waren für Sára die Roma-Morde in Ungarn, die 2009 ganz Europa erschütterten und auch sie zum Nachdenken brachten. Letztes Jahr begann sie dann für die Roma- Organisation Phiren Amenca in Budapest zu arbeiten. Die Aktivistin organisierte die ungarische Delegation für das bisher größte Gedenken an den Roma-Genozid in Krakau-Auschwitz, wo sich im Sommer 2014 über tausend Jugendliche versammelten. Auch die European Union of Jewish Students (EUJS) nahm an der Veranstaltung teil. „Wir haben dort gemeinsam mit den Roma Schabbat gefeiert“, erinnert sie sich.

Die EUJS arbeitet häufig mit Roma- Organisationen zusammen. In Kooperation mit Phiren Amenca und dem armenischen Verein AGBU hat das jüdische Netzwerk ein Projekt mit dem Titel „Europe of Diasporas“ gestartet. Sára nahm als Vertreterin der Roma- Organisation an einem der Seminare teil. „Wir haben dort diskutiert, warum es für diese Gruppen wichtig ist zusammenzuarbeiten. Für mich war das sehr interessant, weil ich seit einigen Jahren mit jüdischen und Roma- Aktivistenkollegen ein Youthleader- Training im ungarischen Sajókaza organisiere.“ Die Trainer im Projekt sind ausschließlich Roma und Juden. Die Initiative soll Jugendliche motivieren und eine Zusammenarbeit zwischen Angehörigen beider Minderheiten fördern. Diese Kooperation sei ihr sehr wichtig, hebt die Aktivistin hervor.

„Wir sind doch Brüder…“

Beide Frauen sind sich einig, dass sie sich unter Roma sehr integriert fühlen. „Erst gestern hat ein Junge zu mir gesagt, wir sind doch Brüder, wir Roma und Juden. In Sajókaza hat ein Mädchen gemeint, dass sie zuerst dachte, ich bin eine Romni. Als sie dann erfahren hat, dass ich Jüdin bin, meinte sie, das ist doch eh fast dasselbe“, lacht sie. Die Roma würden sie behandeln, als sei sie eine von ihnen. Auch hier in Cluj-Napoca merke sie, dass sie willkommen ist.

Es sei noch nicht lange her, dass die Roma begonnen hätten, sich für ihre Rechte einzusetzen, so Aleksandra. Umso mehr bewundert Sára den Mut der jungen Aktivisten: „Ich sehe immer mehr Roma-Jugendliche, die Aktivismus betreiben, was in einer Umgebung von so einer ungemeinen Atrozität seitens der Gesellschaft und sogar der Regierung eine unglaublich große Kraft erfordert, und das respektiere ich sehr.“ Auch die Solidarität der Roma gegenüber Juden sei sehr groß. „Als ein ungarischer Politiker von der Jobbik-Partei die Registrierung der jüdischen Parlamentsabgeordneten forderte, gab es eine riesige Kundgebung auf dem Kossuth-Platz in Budapest. Als ich dort angekommen bin, waren die ersten Menschen, denen ich begegnet bin, Roma-Aktivisten, die mit ihrer Roma-Flagge dort standen und ihre Solidarität bewiesen.“

Zur selben Zeit erschien ein rassistischer Artikel des Fidesz-Politikers Zsolt Bayer, in dem er Roma quasi als Tiere darstellte, die ausgerottet gehörten. Bei diesem und vielen ähnlichen Fällen haben die Menschen geschwiegen. „Hier vermisse ich das Eingreifen jüdischer Organisationen sehr stark“, betont die Ungarin. Aleksandra nickt: „Ich denke, dass es heute so viele gebildete Roma gibt, die absolut bereit sind, für ihre Rechte einzustehen. Sie brauchen nur ein bisschen Unterstützung, und die sollten sie von uns Juden bekommen.“

Kaum ist der letzte Satz gesprochen, eilen die zwei Frauen ins gelbe Gebäude zurück. Schließlich wollen auch sie die Demonstration vorbereiten und an der Seite der Roma-Aktivisten gegen Antiziganismus kämpfen.

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