Kritik der IKG? Ja! Gerade jetzt!

Ein Streitgespräch zwischen Rafael Schwarz* und Martin Engelberg anlässlich seines Kommentars in „NU“ (Juni 2003) und Standard („Streit um Kultusgemeinde: Auch eine Frage des Stils“) vom 18. Juli 2003
Von Martin Engelberg

Sehr geehrter Herr Mag. Engelberg,

Kritik an der Gemeindeführung: O.K., warum nicht! Aber in aller Öffentlichkeit? Zum jetzigen Zeitpunkt? Ist das nötig? Ich bin sehr enttäuscht. Hätte ich von einem so intelligenten Menschen nicht erwartet! Wir haben genug Feinde auch so!

Mit freundlichen Grüßen,

Mag. Rafael Schwarz

 

Lieber Rafael,

vorneweg: Es liegt mir näher mit dir per du zu sein – und wenn es nur deswegen ist, weil wir im selben Schil dawenen**. Es ehrt mich, dass du mich für einen intelligenten Menschen hältst, ich hatte denselben Eindruck auch von dir – dann lass uns doch einmal ein bisschen Argumente austauschen: Ich denke, dass mein Kommentar eine ganze Reihe von Gedanken, Behauptungen, Feststellungen usw. beinhaltete. Diese waren zum Teil schwerwiegend. Dann finde ich es bemerkenswert, dass du mir einzig und allein vorwirfst, mit meiner Kritik an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Du bist mir nicht böse, wenn ich also – vielleicht ganz Psychoanalytiker – das Gefühl habe, dass du mir vielleicht in der Sache selber durchaus Recht gibst? Dein Argument ist verkürzt so: Kritik an der Gemeindeführung – in der (österreichischen/nichtjüdischen) Öffentlichkeit – macht mehr Feinde.

Witzig: Ich hatte immer sehr ausführlich argumentiert, dass wir Antisemiten nicht durch unser Verhalten ändern können. So weise ich auch die Argumentation zurück, Ari würde durch sein Verhalten Antisemitismus „erzeugen“, denn diesen Vorwurf hören wir ja immer wieder. Warum sollte dann aber mein Verhalten Antisemitismus erzeugen? Zum richtigen Zeitpunkt: Wann, wenn nicht jetzt, denn die Situation wird eher schlechter werden als besser. Ich meine, dass Aris Auftreten in der Öffentlichkeit marktschreierisch und ohne Gespür ist. Dass seine und die Position der IKG nicht integer ist, also oft auf falschen oder halbwahren Behauptungen beruht und dass diese Tatsache immer offensichtlicher und durchschaubarer wird. Wenn ihm nicht bald Einhalt geboten wird, führt dies bald zu einer Aufsplitterung der Gemeinde.

Mit besten Grüßen,

Martin Engelberg

 

Lieber Martin,

gerne bin ich mit dir auch per du, sah es aber vorerst als ein Gebot der Höflichkeit, dich mit SIE anzusprechen. Aber das „Schil“-Argument überzeugt! Ich gebe dir Recht, dass es in meinem E-Mail primär um die Tatsache ging, dass du deinen Artikel in einer österreichischen Tageszeitung abgedruckt und dich nicht z. B. in der letzten Kultusratssitzung, bei der du ja anwesend warst, zu Wort gemeldet hast! Ich habe deinem Schweigen entnommen, dass du nicht wirklich konträrer Meinung bist. Hingegen bin ich vollkommen deiner Meinung, dass wir deshalb nicht schweigen dürfen, weil wir dadurch Antisemiten produzieren könnten! Diese Meinung vertrete ich auch immer im Bekanntenkreis oder im „Forum gegen Antisemitismus“, wo ich tätig bin. Jene, die sich jetzt „plötzlich“ als Antisemiten zu erkennen geben, waren es bisher auch (vielleicht aber nur in ihrem Unterbewusstsein!). Wir wissen doch alle über „latenten Antisemitismus“ in unserem Land Bescheid! Aber: Wir schwächen uns nur selber, wenn wir unseren internen Konflikt in die Öffentlichkeit tragen! Wir schwächen uns dann, wenn wir uns selber in den Rücken fallen, obwohl wir schon mit dem Rücken zur Wand stehen! Um es ganz einfach zu sagen: Man muss nicht immer in allen Themen mit der Gemeindeführung einer Meinung sein, aber geben wir unseren Feinden nicht die Genugtuung, dass wir uns selber streiten und dass wir nicht einmal in so schweren Zeiten an einem Strang ziehen können! Und auch wenn einige deiner Argumente im Ansatz (meiner Meinung nach) richtig sind, sollte man unsere Feinde nicht zusätzlich mit solchen Argumenten füttern! Abgesehen davon glaube ich, dass Aris Auftreten gerechtfertigt ist. Nach jahrelangen nicht erfolgreichen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, musste ein anderer Weg gewählt werden. Der Erfolg beweist es. Die IKG hat voriges Jahr zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Vereinbarung über 18,2 Millionen Euro mit den Bundesländern abgeschlossen. An dem Tag, als dein Artikel im Standard erschien, wurde bei Gesprächen mit Bundesministerin Gehrer und Landeshauptfrau Klasnic die Hälfte der Summe von der Rechtssicherheit abgekoppelt und als sofortige Zahlung an die IKG beschlossen. Noch nie zuvor hatte die IKG so viel Geld bekommen – Schindel bringt es in seinem „profil“-Kommentar auf den Punkt.

Liebe Grüße,

Rafael

 

Lieber Rafael,

zur Kultusratssitzung: Meinst du wirklich, dass ich vom Publikum aus im Kultusvorstand mitdiskutieren sollte? Abgesehen von der Geschäftsordnung sind doch mehr als 24 Mitglieder für eine sachliche Diskussion schon viel zu viel. Aber ich fürchte, dass sich nicht einmal die Mitglieder des Kultusvorstandes wirklich einbringen konnten – leider auch du nicht -, siehe z. B. Deine sehr authentische, emotionale und anständige Wortmeldung in Sachen Sicherheit der Chabad-Schule, die – denke ich – doch auf eine unglaublich eiskalte Art und Weise abgetan wurde. Wer kann schon einen Gedanken formulieren, ohne dass einem spätestens nach dem ersten Halbsatz Ari ins Wort fällt oder man im Falle einer übereinstimmenden Meinung mit ihm „im Duett singen muss“ (Zitat Alex Friedmann)? Nein, Rafael, nichts in dieser Sitzung des Kultusvorstandes war dazu angetan, einen wirklichen, ehrlichen, sachlichen Meinungsaustausch zu ermöglichen. Zur Kritik in der Öffentlichkeit: Das Argument „gerade in Zeiten wie diesen“ erinnert mich an folgendes Erlebnis: Bei der Rekrutierung für das „Forum gegen Antisemitismus“ hatten wir Ende der siebziger Jahre einen Brief verwendet, der die jüdischen Jugendlichen mobilisieren sollte, „gerade in Zeiten wie diesen“. Dabei fanden wir eine Vorlage, die wunderbar passte – sie stammte, wie ich später herausfand, aus der Mitte der sechziger Jahre. So weit ich weiß, wurde dieser Brief auch noch Ende der achtziger Jahre verwendet. Was ich damit sagen will: Wir Juden hier in Österreich standen, stehen und werden immer mit dem Rücken zur Wand stehen. Daran wird sich (im Großen und Ganzen) nichts ändern. Auch an den zwei anderen Argumenten des NU-Editorials aus dem Jahr 2000 hat sich nichts geändert: „Gerade in einer Zeit, wo wir uns mit Politikern konfrontiert sehen, die nach Fakten und Argumenten suchen, die sie gegen die Kultusgemeinde verwenden können, müssen wir handeln. Beschäftigen wir uns nicht selbst mit dem Aufzeigen von Missständen, deren Aufarbeitung und Beseitigung, so machen es die anderen, Journalisten und/oder Politiker. Aber zu einem Zeitpunkt und in einem Zusammenhang ihrer Wahl und nicht unserer. Das hielten wir für wesentlich unangenehmer und gefährlicher als vermeintliche Nachteile und Risken einer Aufdeckung und offenen Diskussion in unserer Zeitung … Viel größerer Schaden würde uns drohen, wenn wir uns wirklich dazu verleiten ließen – mit dem Hinweis auf äußere Feinde -, grundlegende demokratische und moralische Standards zu vernachlässigen, uns hinter einer Führerfigur zu versammeln, deren Agieren, so falsch es auch erscheinen möge, zu dulden und Kritik zu unterdrücken.“ Zur Restitution: Glaubst du wirklich, dass Ari den Typus des aufrechten, mutigen, selbstbewussten Juden erfunden hat und der Einzige weit und breit ist? Dass alle anderen nur ängstliche, gebrochene Ghettojuden sind, die sich nichts trauen? Gebietet es nicht schon alleine der Respekt gegenüber Aris Vorgängern wie Grosz, Hacker etc., deren Einsatz für die jüdische Sache zu würdigen, und anzuerkennen, dass wohl zu jener Zeit eben nur das möglich war, was sie zu erreichen vermochten? Die Restitutionsdiskussion hatte ursprünglich mit einer ganz bestimmten, sogar weltpolitischen Konstellation zu tun: Dass nach der Einigung mit den Schweizer Banken, der Lösung der Zwangsarbeiter-Frage in Deutschland im Jahr 1997/1998 einfach die Zeit für die Restitutionsdiskussion in Österreich gekommen war. Dass der Präsident der USA mit Stuart Eizenstat einen Sonderbeauftragten mit der ganzen Macht der USA eingesetzt hatte, um diese Angelegenheit Land für Land abzuhandeln. Dass schon 1995/1996 immer wieder die Rede davon war, dass bald Österreich drankommen würde, nachdem die Schweiz „erledigt“ werden würde. Aber: Ja, es war Ari, der diesen Ball nach seiner Wahl 1998 sofort aufnahm und auf seine, für ihn so charakteristische Art und Weise spielte. Ich nannte das immer wieder kanadisches Eishockey: fest den Puck nach vorne dreschen und dann nachlaufen – irgendwas wird schon gehen. Ohne Rücksichtt ob schön, elegant, aber vor allem ohne Strategie, Überlegung, Taktik, Gespür für die Situation. Heute müssen wir uns die Frage stellen, ob das so gut war und ob die Strategie von Ari, nicht nur in der Restitutionsfrage, gescheitert ist.

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