Krieg ist kein Stegreif-Spiel

Josef Geva, als General ein langjähriger Insider und Kenner der israelischen Armee, hat viele der Kriege Israels miterlebt. Der jüngste Krieg im Libanon habe die Armee zu unvorbereitet getroffen, meint Geva und spricht von einem schlechten Zeitpunkt. Weshalb die Israelis die UNO nicht lieben und warum er persönlich sich vor Ahmadinejad nicht fürchtet.
Von Danielle Spera (Text) und Gaya Karni (Fotos)

NU: Der Libanon-Krieg hat für viel Kritik gesorgt. Dabei sind die Kriegs­ziele Israels nicht erreicht worden, weder wurden die entführten israelischen Soldaten befreit, noch ist die Hisbollah entwaffnet. War es das wert?

Geva: Wenn man einen Krieg gewinnen will, muss man sich vorbereiten. Da kann man nicht Stegreif spielen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass wir uns früher auf Kriege jahrelang vorbereitet haben, denken Sie an den 6-Tage-Krieg. Da haben wir gewusst, dass der Krieg kommen wird, es gab praktisch ständige Manöver für Aktive und Reservisten. Dieses Mal haben Regierung und Militär anfänglich gar nicht begriffen, dass es ein Krieg wird. Doch die Hisbollah wurde mit ihren Angriffen immer dreister. Das hätte man sicher früher unterbinden müssen.

NU: Dieser Einsatz hatte aber einen hohen Preis.

Geva: Ein Krieg gegen eine Unter­grundbewegung wie die Hisbollah ist immer schwierig. Sie hat keine Verantwortung für ein Land oder für ein Volk, die Kämpfer wollen etwas erreichen und nehmen in Kauf, dass das Land, in dem sie agieren, zerstört wird, denken Sie an die Taliban in Afghanistan. Außerdem wird die Hisbollah vom Iran finanziert und großzügig unterstützt. Für den Iran sind die Ausgaben für die Hisbollah eine Bagatelle, 100 Millionen Dollar sind für Teheran ein Klacks. Die Kämpfer werden im Iran gut aus­gebildet, dort können sie ihre Abschüsse üben. In Israel hat man aus Spar­gründen in den vergangenen Jahren auf das Training der Reservisten verzichtet.

NU: Wie ist das möglich? Israel gilt doch als das Land mit einer der besten Armeen. Der Mythos der Unbesiegbarkeit ist jetzt ver­loren.

Geva: Wir haben uns immer eingeredet, wir seien so stark, dass man sich nicht trauen wird, uns anzugreifen. Unsere Feinde haben sich immer wieder doch getraut. Zu sagen, wir haben die beste Armee, ist nur gut für unsere Feinde, nicht für uns. Wenn man glaubt, man ist der Beste, ist es schon schlecht, da passt man dann vielleicht zu wenig auf oder übt zu wenig, Die Reservisten waren überhaupt nicht auf diesen Krieg vorbereitet. Die meisten Armeen bereiten sich auf einen Krieg mit anderen Armeen vor, nicht auf einen Guerrillakrieg. Sehen Sie doch, was der US-Armee im Irak passiert, sie waren nicht auf einen derartigen Krieg vorbereitet. Oder die russische Armee in Tschetschenien, das sind jahrelange Kämpfe gewesen, mit vielen zivilen Opfern. Wir können es uns nicht leisten, jahrelang im Libanon einen Krieg gegen Untergrundkämpfer zu führen.

NU: International hat Israel viel Kritik geerntet, wie lässt sich dieser Imageschaden wieder reparieren?

Geva: Es ist ein Imageschaden, aber das ist nicht so wichtig. Denn wir sind noch nie geliebt worden. Es wird uns vorgeworfen, dass es im Libanon auch zivile Opfer, darunter auch Kinder, gegeben hat. Das hat in den Augen der Welt ein schlechtes Licht auf Israel geworfen. Aber da wird immer vergessen, dass die Hisbollah ja mit Absicht ihre Raketen in Wohnhäusern lagert. Da gibt es Lagerräume für Raketen, die direkt neben einem Kinderzimmer liegen. Den Kämpfern ist es egal, ob diese Menschen getötet werden. Die Schiiten werden in ein paar Jahren im Libanon in der Mehrheit sein.

NU: Es kam Kritik aus der Armee, man sei nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch schlecht ausgerüstet gewesen.

Geva: Das ist meiner Meinung nach ein Blödsinn. Sie haben sich be­schwert, dass zu wenig Trinkwasser mit war. Im Libanon bekommt man in jedem Haus Trinkwasser, das ist ja kein Land der Dritten. Welt. Es ist so wie mit der Geschichte von Vater und Sohn, der Vater zeigt dem Sohn eine wunderschöne Wüstenlandschaft, während der Sohn in kurzen Hosen sich an den Kakteen die Beine verletzt. Die Armee ist kein Honiglecken. Fehler gibt es in jedem Krieg, das liegt in der Natur der Sache.

NU: Wie soll man die entführten Soldaten frei bekommen?

Geva: Wenn sie in den Händen einer Regierung, eines Staates wären, da könnte man verhandeln. Mit der Hisbollah ist es schwierig, allerdings war der Hisbollah auch der Angriff auf Beirut egal. Im Gegenteil, der Hisbollah ist es vielleicht nur recht, wenn es weniger Sunniten oder Christen im Libanon gibt. Der Preis war und wird in jedem Fall sehr hoch sein. Es gab im 13. Jh. den berühmten Rabbiner in Deutschland, Maharam von Rothenburg, der bis zu seinem Tod sieben Jahre gefangen war. Er hat seiner Gemeinde verboten, Lösegeld zu zahlen, sonst würden viele andere auch als Geiseln genommen, so steht es auch im Talmud. Soll man trotzdem zahlen? Wäre ich der Vater des Soldaten, würde ich sagen, ja, jeden Preis.

NU: Diesmal hat Israel auch zahlreiche Soldaten verloren, die bei dem Einsatz im Libanon getötet worden sind. Am letzten Kriegstag unter anderem der Sohn des Schriftstellers David Grossman, der sich stark für eine Ende der Kämpfe ausgesprochen hatte.

Geva: Jeder Krieg fordert Opfer, jetzt kann ich fragen: War der Jom-Kippur-Krieg das wert? 3.000 Tote, 7.000 Verletzte, Mein Sohn wurde im Jom- Kippur-Krieg schwer verwundet, er ist seither blind und lebt bis heute mit
großen Schmerzen. Kriege sind oft notwendig, damit es dann zum Friedensschluss kommt, wie eben mit Ägypten. Selbst den Habsburgern ist es nicht gelungen, nur mit ihrer Heiratspolitik durchzukommen.

NU: Einer Ihrer Söhne, Eli Geva, war Kommandant im ersten Libanon-Krieg und hat den Sturm auf Beirut verweigert. Was ist damals in Ihnen vorgegangen?

Geva: Mein Sohn wollte damals sinnloses Blutvergießen vermeiden und hat den Befehl verweigert. Es war seine Überzeugung, seine ganz persönliche Entscheidung, ich war nicht dagegen. Als sein Vater habe ich mich über jene Offiziere sehr geärgert, die gegen ihn gehetzt haben, und ihn in Schutz genommen. Es hat ja damals nicht einmal mehr ein Gespräch mit ihm gegeben, der Generalstabschef hat ihn auf der Stelle entlassen.

NU: Der israelische Angriff auf den UNO-Posten hat viele Fragen hinterlassen. Wie kann so etwas passieren? UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat von Vorsatz gesprochen, wie sehen Sie das?

Geva: Im ersten Libanon-Krieg gab es zahlreiche israelische Verletzte durch so genanntes „friendly fire“. Wenn man mitten im Kampf steht, fehlt oft die Logik. Alles kann passieren. Vor zehn Jahren gab es schon einmal einen Angriff auf einen UNO-Posten in Kfar Kana, wo sich hunderte Flüchtlinge eingefunden hatten. Damals wurden mehr als hundert Menschen ge­­tötet, das ist tragisch. Absicht war es sicher nicht, aber dass in Israel keine große Liebe für die UNO herrscht, ist nicht verwunderlich. Zu oft hat die UNO sich auf Seiten der Feinde Israels gestellt und sogar aktiv mitgeholfen. Andererseits verstehe ich, was passieren kann, wenn Soldaten in Regionen geschickt werden, die ihnen völlig fremd sind und weit aus ihrem Bereich. Fragen Sie mich nicht, ob meine Enkelkinder, wenn sie als Offiziere nach Darfur
ge­schickt würden, anständig bleiben könnten, mitten im täglichen mörderischen Gemetzel, oder ob sie für Geld etwas Schlechtes tun. Ich hoffe, sie würden anständige Menschen bleiben. Aber das kann man nicht von jedem Menschen sagen. Schlechte Menschen gibt es überall, es gibt auch schlechte Juden.

NU: Ist Amir Peretz ihrer Meinung nach ein guter Verteidigungsminister, er kam ja im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht aus der Armee­hierarchie.

Geva: In Frankreich ist heute eine Frau Verteidigungsminister, kann ein Zivilist ein guter Verteidigungs­minister sein? Ja und nein. Alles kann man lernen. Peretz war allerdings vor dem Libanon-Krieg erst drei Monate im Amt. Viele, die ihn heute kritisieren, waren schlechte aktive Generäle, aber sie haben auf ihre Fehler vergessen. Regierungschef Olmert hat sicher auch unterschätzt, dass es so bald zu einem Krieg kommen wird. Über den Zeitpunkt, so kurz nach der Regierungsbildung, lässt sich sicher streiten.

NU: Für den iranischeen Präsidenten Ahmadinejad war der Libanon-Krieg eine Genugtuung.

Geva: Er ist ja der Financier der Hisbollah, für ihn ist das auch kein Problem, der Iran ist ein ölreiches Land. Israel hat kein Öl, sonst hätte man uns ja auch nie erlaubt, hier einen jüdischen Staat zu errichten. Wir hatten gar nichts, kein Öl, keine Bodenschätze, ein karges Land, das wir uns fruchtbar gemacht haben.
Und selbst das vergönnen sie uns nicht.

NU: Es scheint, als ob der Iran beim Bau der Atombombe nicht gestoppt werden kann. Kann/Soll Israel etwas tun?

Geva: Israel soll nichts tun. Der Iran ist ein riesiges Land, die Anlagen, in denen am Atomprogramm gebaut wird, sind über das ganze Land verstreut. Die Gefahr ist groß, allerdings müssten die Palästinenser am meisten gegen die iranische Atombombe sein, denn wenn Israel bombardiert wird, sind auch sie davon betroffen. Ägypten oder Saudi-Arabien: Auch sie müssen daran interessiert sein, dass der Iran nicht die Atombombe bekommt. Vielleicht haben wir ein Masel und es passiert ihnen beim Basteln an der Bombe ein Unfall …
Was können wir machen? Eine Atombombe auf den Iran abwerfen? Keinesfalls. Schauen Sie, Israel ist immer bedroht, ob der Iran jetzt dazukommt oder nicht, das Leben ist gefährlich. Ich fürchte mich nicht, dazu habe ich schon zu viel erlebt.

NU: Meinen Sie Ihre Kindheit?

Geva: Mein Vater hatte einen großen Holzhandel, der von den Nazis beschlagnahmt wurde. Es ist uns aber noch gelungen, im März 1939 Öster­reich zu verlassen und nach Israel zu kommen. Wir hatten gerade genug Geld für eine ganz kleine Wohnung in Tel Aviv. Mein Bruder und ich haben uns gleich der Hagana angeschlossen, er wurde bei den Kämpfen 1948 schwer verwundet und ist später auch daran gestorben. Mein Vater hat sich in Israel schwer zu­rechtgefunden. Der Fall vom reichen Mann in Österreich zu einem fast mittellosen Emigranten war nicht leicht zu verkraften. Er hat später einen Posten als Zollbeamter bekommen. Deutschland, wo mein Vater auch Besitz hatte, hat alles zurückerstattet, Österreich gar nichts. Jetzt möchte ich eigentlich auch gar nichts mehr von Österreich, auch meine Kinder nicht. Sie haben es alle weit gebracht, es geht ihnen gut, wir brauchen von Österreich nichts. Es zeigt mir nur, dass die Menschen dort nichts gelernt haben. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob die Österreicher auf Israel böse sind, vielleicht, aber auch das ist mir nicht wichtig.

NU: Welche Erinnerungen haben Sie an Österreich?

Geva: Ich habe Österreich immer wieder besucht. Österreich ist ein schönes Land, nicht meines, aber es ist schön. Meine Erinnerungen sind, dass mein Bruder und ich oft auf dem Schulweg verprügelt worden sind. Wir haben diese Burschen gehasst. Am letzten Tag vor unserer Abreise haben wir uns Fahrradketten besorgt und als sie uns wieder verprügeln wollten, haben wir uns mit den Ketten zur Wehr setzen können. Das war uns eine Genugtuung. Uns Kindern war eigentlich nicht bewusst, in welcher Gefahr wir uns in Wien bewegt haben. Mit der Zeit haben wir begriffen, dass viele Menschen schlecht zu uns waren, aber dass sie so schlecht waren, das hätten wir nie geglaubt. Neben unserer Wohnung in der Mariannengasse war ein Delikatessengeschäft. Der Sohn der Besitzerin war bei der SS und ist im Krieg gefallen. Als wir nach dem Krieg einmal auf Besuch waren, sagte die Frau: Ihr Juden seid ja klug, ihr seid ja früher weggefahren, mein Sohn, der hat im Krieg sterben müssen …

Zur Person

Josef Geva, geboren 1924 in Wien als Josef Glasberg, flüchtete mit seiner Familie 1939 nach Israel, schloss sich 1941 der zionistischen Militärorganisation Hagana an, die später in der israelischen Armee aufging. Geva blieb auch während seiner Ingenieurausbildung und seines Studiums der Wirtschaftswissen­schaften und internationalen Beziehungen im Militär, bis er schließlich General wurde. Als israelischer Militärattaché war er in Washington stationiert, er beendete seine offizielle Karriere als stv. Leiter des Einwanderungsministeriums und ist bis heute in der Privatwirtschaft tätig. Geva hat 4 Kinder und 16 Enkelkinder, sein Sohn Eli weigerte sich als Brigadekommandant im Libanon-Krieg von 1982, Beirut einzunehmen. Eli Geva wurde aus der Armee ausgeschlossen und hat mit seinem Schritt in Israel eine breite Diskussion über Befehlsverweigerung in der Armee ausgelöst.

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