Kontrolle ohne Zensur

Mit dem Facebook Oversight gibt es seit Oktober 2020 eine Überwachungsstelle @Adobe Stock

Die EU-Kommission will Facebook, Twitter und Google strenger beaufsichtigen. Dies sieht der neue „Democratic Action Plan“ vor.

Von Otmar Lahodynsky

„Wir wollen kein Wahrheitsministerium werden“, erklärte Vera Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission, Ende 2020 bei der Vorstellung des neuen „Aktionsplans für Demokratie“. So soll die Brüsseler Behörde nicht zu einem Orwell’schen Zensuramt über soziale Medien werden, aber sie will es auch nicht wie bisher bei der Selbstregulierung von Google, Twitter und Facebook belassen. Im Kampf gegen Desinformation und Fake News setzt die Kommission darauf, den 2018 vereinbarten freiwilligen Verhaltenskodex gegen Falschinformationen durch strikte Leitlinien für Online-Plattformen zu ergänzen.

Nach Einschätzung der EU-Kommission könnte die „strategische Autonomie des audiovisuellen und Mediensektors der EU“ gefährdet sein, weil „Online-Plattformen von Betreibern außerhalb der EU große Marktanteile“ gewinnen konnten. Die digitale Autonomie Europas sei bedenklich ausgehöhlt worden, so Jourová. Ohne Gegenmaßnahmen könnte daher bald auch die Demokratie in der EU eingeschränkt und von ausländischen Big-Tech-Firmen manipuliert werden. „Demokratien und Medienfreiheit können nicht für selbstverständlich genommen werden“, so die tschechische EU-Kommissarin.

Die EU-Kommission will die Demokratie in Europa besser vor zunehmendem Druck etwa durch Extremisten oder sogenannte Fake News schützen: Europäische Qualitätsmedien sollen stärker unterstützt, Wahlen besser abgesichert und Desinformationen entschiedener bekämpft werden. Die EU-Kommission will hier bei Terroraufrufen und Hasspostings ansetzen. So sollen Online-Plattformen verpflichtet werden, Terror- und Gewaltaufrufe innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Auch bei Hassaufrufen gegen Minderheiten oder antisemitischen Inhalten sollen soziale Medien künftig mehr Verantwortung für Inhalte, die auf ihren Plattformen gepostet werden, übernehmen.

Bei Facebook wurde im Oktober 2020 mit dem Facebook Oversight Board eine eigene Überwachungsstelle eingerichtet, die über Beschwerden über Löschungen von Postings entscheidet. Im Jänner 2021 wurden die ersten Entscheidungen zu fünf der 150.000 Fälle veröffentlicht, in denen seit Bestehen des Oversight Board Beschwerde erhoben worden war. Die Entscheidungen betrafen Beiträge, die Facebook im vergangenen Jahr entfernt hat, wobei das Oversight Board jene Fälle priorisierte, die „das Potenzial haben, viele Nutzer auf der ganzen Welt zu betreffen, von entscheidender Bedeutung für den öffentlichen Diskurs sind oder wichtige Fragen zu den Richtlinien von Facebook aufwerfen.“ In vier von fünf geprüften Fällen sei die Löschung der Inhalte gerechtfertigt gewesen, so das Gremium.

Kampf der Trolle

Die chinesische Plattform TikTok, die mit ihren kurzen Videoclips besonders bei Jugendlichen beliebt ist, war durch zahlreiche antisemitische Beiträge von Usern aufgefallen. Der Jüdische Weltkongress (WJC) hatte Gegenmaßnahmen gefordert (siehe NU 3/2020). Die pakistanische NGO „Media matters“ hat auf eine Vielzahl von Hassvideos gegen Minderheiten auf der indischen Halbinsel hingewiesen.

Die EU-Kommission will künftig innereuropäische Wahlkämpfe vor ausländischer Einflussnahme schützen. Jourová nannte vor allem Trollfabriken in Russland und China. So hatten russische Trolle versucht, die letzten Präsidentenwahlen in Frankreich durch falsche Informationen über Emmanuel Macron zu beeinflussen. Es gibt auch deutliche Hinweise auf ausländischen Einfluss bei der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien. Weiters soll das sogenannte „Mikrotargeting“, also die gezielte Beeinflussung von Personengruppen vor Wahlentscheidungen, untersagt werden. Diese Methode hatte das britische Unternehmen Cambridge Analytica jahrelang angewandt, auch im Vorfeld der US-Präsidentenwahlen 2016 und der Brexit-Abstimmung in Großbritannien.

Zum besseren Schutz von Wahlen will die Kommission noch heuer Gesetze zur Parteienfinanzierung sowie strenge Auflagen für politische Werbung vorschlagen. Journalisten, die vor allem in der Pandemie immer mehr gezielten Drohungen ausgesetzt sind, sollen besser geschützt werden. Die Behörde will dazu noch heuer Empfehlungen vorlegen.

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