Kommentar: Deutschland, Israel und die anderen

Von Eldad Beck

Als ich vor mehr als einem Jahr Österreich verließ und nach Berlin übersiedelte, sagte ein israelischer Diplomat, der in beiden Ländern gedient hatte, zu mir: „Was die Haltung gegenüber Juden und Israel betrifft, ist Deutschland im Vergleich zu Österreich ein Paradies.“

Ich brauchte nur kurz um festzustellen, dass das nicht der Fall ist. Es gibt zwar in Deutschland wunderbare Leute, die sich für Israel interessieren und solche, die sich mit Israel solidarisch fühlen. Aber es gibt auch viele, die sachliche Analyse mit billiger, unseriöser und propagandistischer Kritik verwechseln. Und immer häufiger hört man die Meinung, man wolle nicht mehr wegen dieser „alten Geschichte“, nämlich dem Holocaust, gequält werden. Gleichzeitig nehmen aber viele Deutsche für sich in Anspruch, zu Israel eine Meinung zu haben und diese kundzutun.

Die antiisraelische Berichterstattung vieler deutscher Medien trägt ihren Teil zu dieser Nichtinformation bei: Oft scheint es, als versuchten große Teile der deutschen Presse, weniger über die Lage in dieser Region der Welt zu berichten, als vielmehr in der Sache über Recht und Unrecht zu entscheiden. Journalisten verhalten sich nicht als objektive Berichterstatter, sondern als Richter: Sie urteilen durch die Wahl ihrer Worte, ihrer Titel, ihrer Fotos und durch die Themen, über die sie schreiben. Man engagiert sich, man zeigt sich solidarisch mit einer Seite, man lässt oft seine Emotionen sprechen.

Der Grund dafür ist das Schuldgefühl vieler Deutscher gegenüber den Juden und die Meinung, die Europäer hätten den Juden Israel geschenkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es tatsächlich in Europa ein Gefühl von Schuld, das auch der Realität entsprach. Heute interpretiert man es so, dass man den Juden Israel quasi als kollektive „Entschädigung“ geschenkt hat, und leitet daraus das Recht ab, sich in die Angelegenheiten Israels einzumischen und die Israelis moralisch zu belehren.

Hier hat sich nach dem 11. September eine Tendenz verstärkt, die allerdings schon nach Beginn der zweiten Intifada spürbar wurde: Israel wird zur Ursache aller Probleme mit dem radikalen Islamismus gemacht. Was nicht nur sachlich falsch ist, sondern gefährliche Rückschlüsse zulässt: Erstens, die Juden sind mal wieder an allem schuld, zweitens: Wenn Israel das eigentliche Problem ist, so ist man nicht weit davon entfernt, Israel das Existenzrecht abzusprechen.

Zwischen dem, was sich heute als Antisemitismus und Israelfeindschaft manifestiert, und dem plötzlichen Proislamismus der deutschen Öffentlichkeit gibt es einen direkten Zusammenhang: Der radikale Islamismus ist ein Neofaschismus, der den Platz des panarabischen Nationalismus eingenommen hat und von verschiedenen faschistischen Traditionen aus Europa beeinflusst wird – das zeigt unter anderem der vehemente Antijudaismus. Anstatt das zu begreifen, will man die Islamisten „verstehen“. Das hat damit zu tun, dass man deren Sichtweise teilt, für alles die Juden verantwortlich zu machen. Diese Position wird damit legitimiert, dass Kritik an Israel kein Antisemitismus sei, weil sie sich nicht gegen die Juden, sondern eben gegen Israel richtet.

Wenn man heute als Deutscher oder Österreicher in arabische und islamische Länder reist, wird man oft zum Zeichen der Verbundenheit mit pronazistischen Bemerkungen begrüßt. Dieses Phänomen ist wohl bekannt, aber die deutsche Presse berichtet kaum darüber. Genauso wenig berichtet man über die große antijüdische Welle, welche die arabische und moslemische Welt überschwemmt. Und fast niemand in Europa tut was dagegen.

Dabei wäre es sehr einfach, wollte man sich abgrenzen: Deutschland könnte gegen Länder, in denen in der Presse Antisemitismus verbreitet wird, Sanktionen verhängen. Stattdessen wurde etwa in Berlin erst in letzter Minute die Eröffnung eines Hisbollah-Büros vereitelt – mit Begrüßung durch das Auswärtige Amt. Vor diesem Hintergrund wirkt es heuchlerisch, gegen die Siedler im Westjordanland und Gaza-Streifen zu hetzen, weil diese so „rassistisch“ seien.

Ich bin verwundert, dass in der deutschen Öffentlichkeit immer die gleichen sechs oder sieben Israelis auftreten, die eine bestimmte politische Linie vertreten, die in Israel vielleicht ein oder zwei Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sie das aussprechen, was bestimmte Deutsche sich noch nicht zu sagen erlauben.

Ich bin der Friedensbewegung in gewisser Weise dankbar, denn sie hat bewiesen, wie wenig sich Deutschland in den letzten sechzig Jahren verändert hat: Die letzten Monate haben mir gezeigt, wie einfach die deutsche Öffentlichkeit manipuliert werden kann. Das Agieren ohne Nachdenken, die Begeisterung für simple Ideen, ohne selbstkritisch zu sein, haben mich schockiert. Ich habe erlebt, wie Leute Angst hatten, sich israelfreundlich oder für den Krieg zu äußern, weil die allgemeine Meinung so vehement dagegen ist. Dieses Phänomen ist ein Grund, sich Sorgen zu machen.

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