Keiner glaubt an echten Frieden

Der israelische Historiker, Journalist und Schriftsteller Tom Segev sieht eine Chance auf Frieden im Nahen Osten überhaupt nur, wenn auf beiden Seiten eine Generation ohne Terror leben kann.
Von Rainer Nowak

Bruno Kreisky hatte sich gut vorbereitet. Die Bücher lagen aufgeschlagen und markiert auf seinem Arbeitstisch, als er den jungen israelischen Journalisten zum Interview empfing. Es war Mitte der 1970er Jahre, der österreichische Bundeskanzler sympathisierte offen mit den Anliegen der Palästinenser, der Zionismus, die Idee des Staates Israel, war ihm fremd.Stundenlang diskutierte Kreisky mit dem Journalisten Tom Segev, vor der Tür mussten die nächsten Gesprächspartner ewig warten. Irgendwann sagte Kreisky, dass die Juden doch kein richtiges Volk seien. Segev darauf: „Die Österreicher sind doch auch noch kein richtiges Volk.“So erzählt es Segev heute, wenn er, wie kürzlich, Wien besucht. Heute gibt Segev selbst Interviews, sein Buch wurde nun in deutscher Übersetzung publiziert. In „Es war einmal ein Palästina“ geht es um die Geschichte der Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels. Von internationalen Medien wird es bereits als geschichtliches Standardwerk gefeiert, für die New York Times zählte es 2000 zu den besten Büchern weltweit.Damals steuerten Intifada und der Terror der Selbstmordattentäter auf ihren Höhepunkt zu. Damals war Segev äußerst pessimistisch, wie er sagt. Und das ist er wohl auch noch heute, wenn er meint, dass richtiger Friede zwischen Israelis und Palästinensern gar nicht möglich sei. Immer würden Europäer und auch Amerikaner fragen: „Warum könnt ihr nicht friedlich zusammenleben?“

Segev im NU-Interview: „Es geht nicht, sie wollen nicht. Der irische und der sizilianische Bauer würden auch nicht einfach friedlich und glücklich als Nachbarn zusammenleben.“Die Kultur, die Religion, die Lebensweise – alles sei anders. Der Terror habe auf beiden Seiten die Positionen derart verhärtet, dass für Segev nur unter einer Bedingung die Chance auf Frieden besteht: „Wenn eine Generation erträglich leben kann.“ Was heißt erträglich? „Dass eine Generation ohne Terror und Angst heranwächst.“ Auch die jüngsten politischen Entwicklungen seien kein Fahrplan zum Frieden. „Es geht nicht um Frieden, es geht um Krisenmanagement.“Genau damit seien die beiden Pragmatiker Ariel Sharon und Mahmoud Abbas beschäftigt: Sharon handle wie immer, nämlich wie ein General. „Er weiß, dass er an der Gaza-Front nur verlieren kann, also bläst er zum Rückzug.“ Ein Politiker sei Sharon deswegen noch lange nicht. Segev grundsätzlich: „Noch nie hat man Terror militärisch besiegen können.“ Auch nicht die USA? „Die liefern doch seit Vietnam den Beweis.“Weiter zu Abbas: Sein Volk sei völlig zermürbt und erschöpft, der Terror habe nichts gebracht, analysiert der Historiker. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Arafat fungiere Abbas nicht als Symbol, somit sei auch der Druck geringer, glaubt Segev. Den Frieden brächten Sharon und Abbas damit nicht. Die Wurzeln dieses Konflikts reichen tief in die Zeit vor der Staatsgründung, schildert er in seinem Buch. Darin räumt er auch mit vielen tradierten Geschichtsbildern und Thesen auf, etwa mit der von Antiimperialisten gerne strapazierten Theorie, dass die Engländer an allem schuld seien. Ohne die britische Okkupation wäre ein friedliches Zusammenleben möglich, so die These. „Viel zu simpel, die Ursachen liegen woanders.“Auch die ständige israelische Heroisierung der Staatsgründung müsse überdacht werden, so heldenhaft sei diese Zeit nicht gewesen. Und dass der Holocaust sozusagen die negative Initialzündung für den Staat Israel gewesen sei, sei völlig falsch. Den Zionismus habe es schon zuvor gegeben, „Hunderttausende wollten in das Land des heutigen Israel. Durch den Holocaust gingen uns Millionen Bürger verloren, statt europäischen Juden kamen jene aus arabischen Ländern, Israel wäre heute ein ganz anderes Land“, meint Segev. Derzeit sei Israel auf dem Weg in Richtung Post-Zionismus. Den zionistischen Planstaat gebe es nicht mehr, die Individualisierung habe auch in Israel den Siegeszug angetreten. Und weltweit werden in Zukunft nicht mehr Hunderttausende Juden nach Israel übersiedeln. Im Gegensatz zu zehn, 20 Jahren früher dürfe man heute als Jude irgendwo auf der Welt auch offen sagen, dass man nicht nach Israel auswandern wolle. Und in Tel Aviv gebe es an jeder Ecke Jugendliche, die über den Zionismus nachdenken. So gesehen hat der Zionismus doch gesiegt? Segev lächelt und wirkt fast optimistisch.

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