Kein Frühling für Hitler

Maurizio Cattelans berühmte Plastik „Him“ sorgte im Dezember 2012 im früheren Warschauer Ghetto für große Aufregung: Die Statue zeigt Adolf Hitler im grauen Straßenanzug, die Hände zum Gebet gefaltet. @Tamasz Gzell / EPA / Picturedesk.com

Maurizio Cattelans Kunstwerk „Him“ ist wahrlich kein Glasperlenspiel, sondern ein Dienst am Gedächtnis der Menschen: So sieht ER aus. Aber selbstverständlich wird auch die Kunst mit dem, was an Hitler ein unlösbares Problem bleibt, nicht fertig.

VON FRANZ SCHUH

 Mit Adolf Hitler existiert unter anderem auch ein unlösbares Problem: Einerseits war Hitler ein völlig bedeutungsloser Mensch, gezeichnet vom Massenschicksal seiner Zeit. Andererseits war er neben Stalin und unter Zuhilfenahme der deutschen Schwerindustrie der größte Massenmörder aller Zeiten. Dennoch ist es unverständlich, dass in einem der Kulturfilme des ZDF über Hitler dessen Untergang im Bunker so kommentiert wurde: Jetzt, im Bunker, sei er darauf reduziert, was er eben sei, nämlich völlig bedeutungslos. Wie kann ein Mensch mit dieser Schuld bedeutungslos (gewesen) sein?

Hitler erbte den Titel „Führer“ vom Duce. Mit ihm teilte Hitler diese Art der verbindlichen Herkunft. Er war, um es mit dem Hasswort der heutigen Rechten zu sagen, der typische „autoritäre Charakter“, mit dem Unterschied, dass nach ihm so ein Charakter kaum noch attraktiv war und so gut es ging verschleiert werden musste. Der Schlüssel zu diesem Hitler ist eine Passage einer Rede, in der er seine destruktive Machtobsession selbst einsichtig machte: „Die Gegner werfen uns Nationalsozialisten vor und mir insbesondere, dass wir intolerante, unverträgliche Menschen seien. Wir wollten, sagen sie, mit anderen Parteien nicht arbeiten. Ich kann hier nur eines erklären: Die Herren haben recht. Wir sind intolerant. Ich habe mir ein Ziel gestellt, nämlich die 30 Parteien aus Deutschland hinauszufegen.“

Hitler war also kein Demokrat, und es ist schön, es immer wieder nachzuweisen. Ian Kershaw hat das Problem, das bleibt, pointiert formuliert, dass nämlich nicht einsichtig würde, „wie das rapide Absinken des komplexen und hochentwickelten deutschen Staates auf die Ebene ungeheurer Unmenschlichkeit“ passieren konnte. Jede Leserin, jeder Leser der Letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus oder von Der brave Soldat Schwejk von Jaroslav Hašek kennt einen Teil der Antwort. Die k.u.k. Armee zum Beispiel hat die Ebene der Unmenschlichkeit bereits zukunftsweisend erreicht. Joseph Roths Werk ist in vielem eine Klage über den Verlust der humanitären Möglichkeiten des Habsburgerreiches. Schlimmer noch: Unter jeder Art von Zivilisation schlägt auch ein „Heart of Darkness“, die totale Verrohung und die Destruktion jeder Beschränkung durch alles Menschliche. Diese Herzschläge treten spontan auf, können aber sehr gut organisiert werden. Dass Karl Kraus selbst in seinem Kampf gegen jüdische Feinde einem antisemitischen Schema verfiel, ist ein geistig-sittliches Desaster.

Es ist ein seltsam schreckliches Terrain mit charakteristischen Differenzen: Die Konzentrationslager unterscheiden sich vom Gulag: Der Gulag war die totale Verheerung, der bodenlose Gesichtsverlust aller Menschlichkeit. Das Konzentrationslager hingegen ermöglichte dieses unglaubliche Oszillieren zwischen mörderischem Tagwerk und nett verbrachter Freizeit. Der gute Vater Himmler!

Leichter zu widerlegen ist die kursierende These, zuletzt auch vorgetragen von Michel Houellebecq, dem Gottseibeiuns aller provokativen Banalität: Niemand hätte die „Rückkehr des Religiösen“ vorausahnen können. Wer dies leugne, der lüge, sagte er in einem FAZ-Interview. Abgesehen vom stets aktuellen Begriff der „politischen Religion“, abgesehen auch von der „politisierenden Religion“, die fundamentalistisch den Austrofaschismus kennzeichnete, unterschlägt die genossene Ahnungslosigkeit den Anteil der Religiosität am Nationalsozialismus: Victor Klemperer nannte das „Selbstvergottung“ und zitiert in Die Sprache des Dritten Reiches als Beispiel Hermann Göring: „Wir alle, vom einfachen SA-Mann bis zum Ministerpräsidenten, sind von Adolf Hitler und durch Adolf Hitler.“ Dass die christlichen Kirchen so etwas auf sich sitzen ließen, beweist ihre völlige Nutzlosigkeit in lebensrelevanten Konflikten. Klemperer nennt auch das folgende Beispiel, es betrifft die Österreicherinnen und Österreicher: „In den Wahlaufrufen zur Bestätigung des Österreich-Anschlusses […] heißt es, Hitler sei das ‚Werk der Vorsehung‘ und dann im alttestamentarischen Stil: ‚die Hand muss verdorren, die Nein schreibt.‘“ Goebbels wünschte Hitler („Unser Hitler“) zum Geburtstag „eine gesegnete Hand“. Na gut, da hat er immer noch die andere frei.

Die Religion war stets da, an ihre Wiederkunft müssen nur die glauben, die den Mythos von der entzauberten Welt für die Realität halten. Mich trifft diese Problemlage in einem heiklen Punkt: Ich war lange der Meinung, das ist alles reiner Zynismus, Manipulationsmaterial für die Massen. Sicher war Göring, der Kunstdieb im europäischen Ausmaß, ein Zyniker. Aber ich bin mir nicht mehr sicher. Die haben vielleicht wirklich daran geglaubt. Religiös aufmunitioniert haben sie die eigene Nichtigkeit verdrängen können. Auch eine Mischung aus Zynismus und religiöser Erhabenheit (nichts Neues unter der Sonne) ist denkbar. 

Politisch ist es allerdings fraglich, ob sich ohne die reichen Erfahrungen der religiösen Tradition zur Massenhypnose das „Gläubig sein“ hätte durchsetzen lassen, und ohne „Gläubig sein“, ohne „festen Glauben“ hätte der Nationalsozialismus nicht funktioniert. Man braucht nicht zu verstehen, was der Führer will, man braucht es nur zu glauben und muss ihm folgen. Die Erlöserfigur ist allzu deutlich ausgeborgt und über Jahrhunderte eingeübt.

Aber das ist nur das eine, das andere hat Walter Benjamin mit seiner Formel „Ästhetisierung der Politik“ benannt. Die Erhabenheit durch Kunst, wie die Filme der Leni Riefenstahl es vor Augen führen. Ihre expressionistische Eindruckskunst ist der Faschismus pur, also der von jeglicher Alltäglichkeit gereinigte Glaube an den Führer und an „die Bewegung“. Der Film über den Nürnberger Parteitag zeigt eine Verschmelzung von Artefakt und realem Geschehen, das eine geht ununterscheidbar in das andere über. Hier wird der Glaube zur sinnenhaften Sensation und die Lügen der Riefenstahl und ihrer Entourage über das Unpolitische, über ihre Distanz zu Hitler, über das rein Artistische ihrer Intentionen kann sie ihrer Großmutter erzählen, was sie allerdings ohnedies ständig tat.

Die Reihen fest geschlossen, der Führer herausgehoben und zugleich einig mit seinem Volk. Der Führer in strammer Haltung, die Augen starr, der Blick in eine nur ihm zugängliche Ewigkeit gerichtet. Daran sieht man, wie sehr es Hitler darum ging, „Haltung“ anzunehmen. Der Geheimdienst unterschied sinnigerweise zwischen „Haltung“ und „Stimmung“: Die Stimmung kann ruhig ein wenig schlecht sein, Hauptsache die Haltung stimmt.

Die künstlerische Darstellung kann an diese Haltung anknüpfen, und das ist es, was durch die Skulpturen Maurizio Cattelans passiert. Die Haltung wird vom Künstler umgedreht, von der Souveränität in die Demut, und eine kritische Frage wäre, ob man damit nicht die Unmenschlichkeit schlichtet, indem man Hitler in den Genuss der Demut kommen lässt. 

Aber da ist sie wieder, die kleine Figur, Nobody im All. Eine der Hitler-Skulpturen zeigt den Prominenten unerkennbar von der Rückseite, erst von vorne sieht man erschrocken, wer das ist. Der Glaube, die großzügige Geste, die die Welt im Griff haben möchte, ist einer vereinsamten Verlorenheit gewichen. Allein der Blick ist ungebrochen hart und starr, ein Sinnbild der Empathielosigkeit.

Gegenstand der Kunst war das Schöne, aber die Künstlerinnen und Künstler mussten lernen, dass die Ästhetik über das weit hinausgehen kann, um das Sichtbare festzuhalten, und was man sieht, ist hässlich. Einer, dessen Taten „nicht schön“ waren, kann wie Hitler nur hässlich sein. Das Hölzerne, das das Gesicht ausmacht, die eingefallenen Wangen – ein Untoter, zu dem Hitler allmählich auch im Lauf seines Lebens wurde – haben ihre Abschreckungswirkung auch in der Skulptur behalten. Die Haltung des Aktionisten Hitlers, der sich immer entschlossen präsentiert und der „brennenden Hass auf den Feind“ empfiehlt, verfremdet Cattelan, der Hitler wieder kleinkriegt. Hitler wird zum andächtig Knieenden, zum „Kniarer“, wie im Wiener Jargon der ewig Unterwürfige heißt. Wer sich Führer nennt und nennen lässt, erteilt damit den Befehl, sich ihm zu ergeben. Es gilt Hannah Arendts ewig falsch zitierter Rechtsspruch, der – genau genommen – aus einer Kant-Interpretation resultiert: „Jeder ist Gesetzgeber. Kein Mensch hat bei Kant das Recht zu gehorchen.“

Him heißt Maurizio Cattelans Kunstwerk, und es ist wahrlich kein Glasperlenspiel, sondern ein Dienst am Gedächtnis der Menschen: So sieht ER aus, einer der Feinde des Menschengeschlechts. Aber selbstverständlich wird auch die Kunst mit dem, was an Hitler ein unlösbares Problem bleibt, nicht fertig. Unlösbar, selbst wenn man im Staat den Spießgesellen einer Verbrecherbande ausmacht. Im Grunde sind Cattelans Skulpturen Voodoo für die Ungläubigen: Man baut sich eine Puppe und arbeitet an ihr ab, was man durch das reale Vorbild erlitten hat. Aber was soll die Kunst tun? Stillhalten? Vergeblichkeiten dieser Art sind ihre gesellschaftliche „Funktion“, sie ist das Salzamt für Unlösbares. W. H. Auden dichtete: „Sing of human unsuccess/in a rapture of distress.“ (Hingerissen von der Not/singe, was alle uns bedroht.)

Oder man dreht einen Film. Frühling für Hitler ist ein Film von Mel Brooks, einem der Großmeister des Witzes, mit manchmal allzu großer Nähe zum Trash. Frühling für Hitler ist im Film ein Musical über die abgetakelte, lächerliche Hitler-Manie, dessen Erfolg einzig allein darin besteht, n i c h t aufgeführt zu werden. Im Falle einer Aufführung müsste der Impresario die Sponsorengelder zurückzahlen, und wovon soll er dann in Saus und Braus weiterleben?

Der Versuch, das Ungeheure durch Lachen auszulöschen, hat eine lange Tradition. Der Nationalsozialismus hat gewiss lächerliche Züge. Eine der Hitlerwendungen lautet ja auch, seinen Gegnern werde das Lachen schon vergehen. Die Lächerlichkeit kommt vom Pathos, das sich widersprüchlich zu den kleingeistigen Figuren verhält, die es pflegen. Ein „Zniacht“ wie Hitler verlangt (als sei das ganz seine Sache) von der Jugend, sie möge „flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“ sein. Unbegreiflich, dass so eine offenkundige Selbstwiderlegung nicht massenhaftes Gelächter auslöste, sondern hypnotisierte Begeisterung.

Aber auch Lachen, das immerhin momentanes Überspielen ermöglicht, hilft in the long run nicht. Schon Chaplins Dictator scheiterte: netter Versuch, könnte man sagen. Also Schluss mit lustig. Ich nehme mir eine Assoziation heraus, die auf den ersten Blick unangemessen erscheint: den Berghof. Der Berghof war jener Ort bei Berchtesgaden, an dem Hitler ein wenig lustwandelte, die Bonzen unterhielt, regierte und die Kriegschancen erwägte. Ein anderer Ort, ebenfalls Berghof genannt, ist Thomas Manns Zauberberg. Im Kapitel „Die große Gereiztheit“ heißt es: „Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge. Erbitterter Streit, zügelloses Hin-und Hergeschrei […] Man erblasste und bebte.“ Auf dem Zauberberg ist eine Elite der Dekadenz, die Lungenkranken, zur Heilung eingekehrt. Sie wälzen dann allerhand Probleme und verursachen selber welche. Wenn im Hin und Her der unlösbaren Streitfragen die Orientierung verloren geht, dann wird’s am Ende gefährlich.

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