Karl Lueger lässt grüßen

Im Wiener Wahlkampf spielt nicht nur Antiislamismus, sondern auch Antisemitismus eine Rolle. Die SPÖ ist nicht unschuldig daran. Für Heinz-Christian Strache ist die Gaza-Flotilla-Solidaritätsaktion der Sozialdemokraten jedenfalls ein gefundenes Fressen.
Von Nina Horaczek und Barbara Tóth

Heute erinnern sich hochrangige Wiener Sozialdemokraten nur mehr ungern an die überstürzte Aktion. „Hätte der Gemeinderat zwei Tage später getagt, wäre es sicher nicht zu dieser Resolution gekommen“, meint etwa ein führender Wahlkampfmanager. Der Gemeinderat tagte aber ausgerechnet am 31. Mai, an jenem Montagmorgen, an dem, kurz nach vier Uhr früh, das unter der Flagge der Komoren fahrende Schiff „Mavi Marmara“ mit Hilfsgüter für den Gazastreifen von einem Spezialkommando der israelischen Marine geentert wurde. Die Fakten waren wenige Stunden später unklar, die internationale Empörung groß, und der Wiener Gemeinderat, angeleitet vom roten Gemeinderat Omar Al-Rawi, beschloss einstimmig jene Resolution, über die heute niemand mehr so recht sprechen möchte. „Mit Schock und Entsetzen hat die Welt heute die Nachrichten erhalten über das Vorgehen der israelischen Marine gegen den humanitären Einsatz einer internationalen Hilfsflotte für die Bevölkerung im Gazastreifen mit mindestens zehn Toten und mehreren Verletzten“, textete Al-Rawi, der als roter Verbindungsmann zur muslimischen Wählerschaft gilt. „Der Wiener Gemeinderat verurteilt das brutale Vorgehen gegen die friedliche Hilfsflotte – noch dazu in internationalen Gewässern – auf das Schärfste.“

Es ist nicht nur ungewöhnlich, dass ein regionales Politikforum eine Resolution dieser Größenordnung beschließt, bemerkenswert sind auch das Tempo und die Achtlosigkeit, mit denen die Erklärung abgefertigt wurde. Die Mehrzahl der Abgeordneten vergaß in der tagesaktuellen Empörung eine der Grundlagen der Politik: Handle erst, wenn du gesicherte Fakten zur Hand hast. „Das lief einfach aus dem Ruder“, meint ein Beobachter rückblickend.

Für viele kritische Beobachter ist die Aktion aber mehr als nur ein peinlicher Geschäftsordnungsunfall, sondern Beweis dafür, dass Antisemitismus oder zumindest Antizionismus in der heutigen SPÖ immer noch einen Platz hat. Auch aus wahltaktischen Gründen. „Um die Stimmen von 200.000 in Wien lebenden Muslimen abzukassieren, macht Michael Häupl einen auf Karl Lueger light“, urteilte der Journalist Christian Ortner kurze Zeit später, die Muslime würden schließlich in „einem Milieu (leben), dem Antisemitismus nicht gänzlich unbekannt ist.“

Der Vorwurf des linken Antisemitismus trifft die SPÖ bei weitem nicht zum ersten Mal. Der Generalsekretär der Gesellschaft Österreichisch-Arabischer Beziehungen, Fritz Edlinger, Bruder des ehemaligen Finanzminister Rudolf Edlinger, hörte ihn laufend. „Es gibt eine lange internationale Debatte, wo hört legitime Israelkritik auf und wo fängt Antisemitismus an. Da spiele ich in Österreich eine gewisse Rolle. Bestimmte jüdische Journalisten verbreiten halt seit Jahren die These, der Herr Edlinger ist ein typisches Beispiel eines linken Antisemiten. Das tut mir mit meiner SPÖ-Vergangenheit zwar sehr weh, aber so ist es halt.“ Auch der ehemalige Landtagspräsident Johann Hatzl musste sich Antisemitismus vorwerfen lassen, nachdem er im Jahr 2002 Israels Ministerpräsidenten Ariel Sharon einen „Staatsterroristen“ an der Spitze einer „Schandregierung“ genannt hatte. Damals verteidigte ihn Karl Blecha, Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes und der Gesellschaft für Österreichisch Arabische Beziehungen. Im Jahr zuvor hatte er bei einer Palästina Veranstaltung in Wien Israel einen „Unrechtsstaat der Rassendiskriminierung“, die Intifada eine „großartige Reaktion eines Volkes“ genannt, Wortbrüche seien überhaupt „eine zionistische Tradition“.

Historiker beschäftigten sich mit der Frage, ob es in der österreichischen Linken eine Tradition des Antisemitismus gibt, seit langem. Die Zeithistorikerin Margit Reiter kommt in ihrer Studie „Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah“ zum Schluss, dass es so etwas wie einen „Antisemitismus ohne Antisemiten“ gibt, weil die Sozialisten, aber auch die KPÖ und die linke Studentenbewegung, bloß eine „marxistisch-ökonomistische“ Faschismus-Analyse angestellt hätten. Diese habe die Gegnerschaft zum Antisemitismus als selbstverständlich vorausgesetzt, aber Israel keine „Sonderrolle“ in der Geschichte zuerkannt – was nach Auschwitz aber notwendig gewesen wäre. Die Linke in Österreich war eben, anders als ihre Genossen in Deutschland, bis in die 1980er-Jahre dem Selbstverständnis als kollektives Opfer verhaftet. Für deutsche Linke ist Israel im Sinne einer „Verlängerung der Geschichte“ stets die „stellvertretende Instanz für die überlebenden NS-Opfer“, für österreichische Linke nicht unbedingt. „Linker Antisemitismus“ kommt also oft in Gestalt von „Anti-Zionismus“ daher. „Wenn aus einem ehemaligen Täterland argumentiert wird, tut man das mit bestimmtem historischem Gepäck. Für diesen Zusammenhang mangelt es manchen Linken an Sensibilität“, meint Reiter.

Das ist auch der ideologische Rahmen, in dem die rote Fraktion im Wiener Gemeinderat agierte. „Dass viele Abgeordnete in einer Phase sozialisiert wurden, als Bruno Kreisky enge Kontakte zur arabischen Welt hielt und der Verband sozialistischer Studenten eine eigene Palästina-Gruppe, kommt natürlich auch dazu“, meint ein Beobachter. Für einen, den die SPÖ wohl kaum im Sinne hatte, ist die Gaza-Flotilla-Solidaritätsaktion der Sozialdemokraten jedenfalls ein gefundenes Fressen im Wiener Gemeinderatswahlkampf: für Heinz-Christian Strache.

Zuerst unterzeichnete der freiheitliche Klub im Wiener Rathaus die Resolution einstimmig. Dann kritisierte Strache, der nicht nur Bundesparteichef sondern auch Wiener FPÖ-Chef und Spitzenkandidat der Wiener Gemeinderatswahl ist, lautstark vermeintlich antisemitische Umtriebe in der SPÖ. So gebe es laut Strache „viele Kandidaten auf den Listen der SPÖ, die wiederholt bei Veranstaltungen antisemitisch und islamistisch gegen Israel gehetzt“ hätten. Strache forderte den roten Gemeinderat Omar Al-Rawi aufgrund dessen „unglaublicher Entgleisungen“ auf zurückzutreten und nannte die SPÖ eine „Islamistenpartei“. Hintergrund dieses Vorwurfes ist die Tatsache, dass Al-Rawi vergangenen Juni Co-Organisator einer Demonstration war, die die israelische Militäraktion kritisierte und auf der es zu offen antisemitischen Ausfällen kam.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beschäftigt das Thema Israel schon seit vielen Jahren. So erzählte der frühere FPÖ-Chef Jörg Haider in einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod, als er noch FPÖ-Parteivorsitzender war, hätte Strache ihn bedrängt, doch mit ihm an einer Delegation nach Israel teilzunehmen. „Wenn uns die Juden akzeptieren, da haben wir dann kein Problem“, habe Strache zu ihm gesagt. Haider weigerte sich damals, nach Israel zu reisen – wohl auch, weil er wusste, dort nicht erwünscht zu sein. Also fuhr Strache im Jahr 2002, damals noch einfacher Wiener Gemeinderat, ohne Haider. Organisiert wurde die Reise von David Lasar, einem Wiener Juden, der für die FPÖ im Gemeinderat sitzt. Lasar erfüllt für Strache eine ähnliche Funktion, wie dies der frühere FPÖ Europaparlamentarier und Jude Peter Sichrovsky in den Neunzigerjahren für Jörg Haider tat.

Nach dieser Israel-Reise, die im Jahr 2002 medial kaum wahrgenommen wurde, erzählte Strache gerne vor Journalisten, dass er als erster freiheitliche Politiker „zu einem offiziellen Staatsbesuch in Israel“ eingeladen gewesen sei – bis ihn der ORF-Moderator Armin Wolf in einem ORF-Sommergespräch aufklärte, dass erstens nur der Bundespräsident befugt ist, offizielle Staatsbesuche zu machen, und Strache zweitens von keinem einzigen hochrangigen Repräsentanten des Staates Israel zu einem Besuch eingeladen worden war. Stattdessen hatte Lasar organisiert, dass ein völlig unbedeutender Ausstellungsmacher Strache zu einer Salvatore-Dalí-Ausstellung einlud, die zufällig in der Residenz des damaligen israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav gezeigt wurde. Aber immerhin stellte Strache klar, „Israel hat wie jedes Volk ein Recht auf einen eigenen Staat.“

Die Hetze gegen Juden und gegen Israel überlässt der FPÖ-Chef nämlich jenen Parteifreunden, die in der zweiten Reihe stehen. Dem Wiener Gemeinderat und Straches Waffenbruder Johann Gudenus zum Beispiel. Gudenus, der im Wiener Wahlkampf auf Platz zwei gleich hinter Strache kandidiert und nach der Wahl neuer freiheitlicher Stadtrat werden soll, sprach als Vorsitzender der Freiheitlichen Jugend gerne vom „israelischen Staatsterrorismus“. Gerhard Kurzmann, Spitzenkandidat der Freiheitlichen bei den Landtagswahlen in der Steiermark, meinte wiederum, der „Judenstaat“ müsse endlich begreifen, „dass sich die zivilisierte Staatengemeinschaft von Staatsterroristen nicht länger auf der Nase herumtanzen“ lasse. Und er meinte auch, würde er in Österreich an der Macht sein, hätte er die diplomatischen Beziehungen zu Israel längst stillgelegt. Weil das noch nicht reicht, ist Kurzmann, immerhin acht Jahre nach Zusammenbruch des Nationalsozialismus geboren, bis heute stolzes Mitglied der Kameradschaft IV, dem Traditionsverband der Waffen-SS-Veteranen.

Auch Martin Graf, FPÖ-Politiker, Dritter Nationalratspräsident und Mitglied der berüchtigten Burschenschaft Olympia, hat kein Problem damit, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, als „Ziehvater des antifaschistischen Linksterrorismus“ zu diffamieren. Grafs Bundesbruder Harald Stefan, freiheitlicher Nationalratsabgeordneter und neben Johann Gudenus einer der engsten Vertrauten von FPÖ-Chef Strache, erklärte wiederum, er „mache einen Sekt auf, wenn der israelische Botschafter nicht mehr in Wien ist“. Später korrigierte Stefan, die Sektflasche werde nur geköpft, wenn die FPÖ bei einer Wahl so stark werde, dass sie in die Regierung gehen könne. Aber sollte der israelische Botschafter wirklich Österreich verlassen, wenn die FPÖ unter Strache in eine Regierung komme, so würde ihn das auch nicht stören. Die Olympia, bei der die beiden Herren aktiv sind, weigert sich übrigens bis heute, Juden aufzunehmen. Und hier schließt sich der Kreis wieder: Denn auf der Bude der Olympia war auch Strache immer wieder gerne gesehener Gast.

SPÖ und FPÖ bemühen sich in Wahlkampf um den Wiener Gemeinderat nach Kräften, ein Duell um die Führung der Stadt zu inszenieren. Für beide Parteien scheint aber zu gelten, was NU-Chefredakteur Peter Menasse dem roten Muslimenvertreter Al-Rawi in einem Streitgespräch in der Wiener Zeitung bereits vorgeworfen hatte: „Wenn am 10. Oktober in Wien Gemeinderatswahlen sind, dann vergleichen sämtliche Parteien die Zahl der potenziellen türkisch-stämmigen Wähler mit der Zahl möglicher jüdischer Wähler. Da ziehen die Juden klar den Kürzeren und deshalb sind im Gemeinderat alle, ausnahmslos alle Parteien aufgestanden.“ Al-Rawi ist anderer Meinung: „Ich sehe an dieser Resolution auch heute nichts Falsches.“

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