Kann man das Böse kurieren?

So viel ist klar: Der Islamismus und sein Terror haben nichts mit einer Unterdrückung und Ausbeutung der Dritten Welt durch den Westen zu tun, sind nicht Antwort auf ein Bestreben der USA, die arabische Welt zu beherrschen, nicht Reaktion auf die Gründung oder Politik des Staates Israel.
Von Martin Engelberg

Vielmehr ist der Islamismus – nach dem Faschismus und dem Bolschewismus – der dritte große Anlauf, um die Konsequenzen der Modernisierung, Säkularisierung und Liberalisierung der westlichen Gesellschaften zu beseitigen. Alle drei Bewegungen entstanden vor 100 Jahren und haben viele Ähnlichkeiten: den Mythos einer idealisierten Frühzeit, zu der eine Verbindung gesucht wird; die Animosität gegen den Westen; das Ideal eines homogenen Ganzen, das von Fremdem gesäubert werden muss, und einen Todeskult, in dessen Rahmen das Aufopfern für das Vaterland oder für die Religion als größtes Glück angesehen wird. Der notorische und jenem der Nazis fast gleiche Antisemitismus der Islamisten ist bekannt und dokumentiert. Und immer mehr Untersuchungen weisen nach, dass es nicht Armut oder Perspektivlosigkeit sind, die Selbstmordattentäter antreiben. Wieso, fragt man sich, wird dann der Islamismus in den USA und in Europa so unterschiedlich wahrgenommen? Auch dafür werden oberflächliche Begründungen angeboten: Dies wäre nur der Verdienst der mächtigen jüdischen Lobby „American Israel Public Affairs Committee“ oder Europa habe einen prozentuell viel größeren und schlecht integrierten muslimischen Bevölkerungsanteil. Tatsächlich scheint der eklatante Unterschied zwischen den Gesellschaften der USA und Europas in einem unterschiedlichen Menschenbild begründet zu sein. In Israel und den USA dominiert die Haltung, dass es beim Menschen Konstanten gibt, die sich nicht ändern: Das Potenzial zu hassen, zu töten, dass es Neid und Gier, das „Böse“ gibt und dass es nötig ist, Maßnahmen zu treffen und Institutionen zu schaffen, die Menschen davon abhalten, diese Anteile auszuagieren. Zur Vermeidung von Kriegen bedürfe es – dieser Ansicht war übrigens auch schon Freud – Einrichtungen wie der Polizei auch auf internationaler Ebene. Und, so meint man in den Vereinigten Staaten, da die UNO dafür nicht wirklich tauge, könnten nur die USA die Funktion eines Weltpolizisten wahrnehmen. Demgegenüber stellt man sich in Europa das menschliche Wesen als schön und gut vor und ist der Ansicht, dass jede Aggression nur Reaktion auf eine sich böse, falsch verhaltende Umwelt ist. Aufgabe der Gesellschaft sei es daher, genug Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Pathologien der Menschen geheilt werden könnten. Dieses Konzept sei auch auf der zwischenstaatlichen Ebene anzuwenden. Diese Diskrepanz scheint durch die unterschiedliche Lehre aus dem mörderischen Wüten der Nazis noch verstärkt worden zu sein. Während Juden und Amerikaner fürchten, dass sich so etwas wiederholen könnte, und daher meinen, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das zu verhindern, wollen die europäischen Gesellschaften das von ihnen verübte millionenfache Morden als Auswuchs einer pathologischen Entwicklung begriffen wissen, von der sie nunmehr geheilt sind. Da hilft es psychisch natürlich enorm, bei Israel – sprich den Juden – und den USA die vermeintlich gleichen Pathologien aufzudecken und dabei die Moralischen, die Guten zu spielen. Israel und die USA können sich mit dieser schwierigen Dynamik der Europäer nicht übermäßig beschäftigen. Israel weiß die USA an seiner Seite im Kampf um seine Existenz und im Kampf gegen den vom Islamismus ausgehenden Wahnsinn. Mit etwas Glück werden die Europäer davon profitieren und weiter in Frieden und Wohlstand leben, ohne dafür den nötigen Preis an Menschenleben und Finanzmitteln bezahlt zu haben.

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