Kaffee als Lebenselexier

Interieur des Arabia am Kohlmarkt, entworfen vom rennomierten Architekten Oswald Haerdtl im Stil italienischer Caffé-Bars ©Lucca Chmel

Das Café Arabia machte in den 1930er Jahren den Espresso in Wien modern. Doch seine jüdischen Besitzer mussten vor den Nazis fliehen. Nach dem Krieg kämpften sie für die Restituierung ihres erfolgreichen Lokals. Das Jüdische Museum Wien erzählt in der Ausstellung „Endlich Espresso! Das Café Arabia am Kohlmarkt“ nicht nur die Geschichte des Kaffeehauses, sondern auch die einer ungewöhnlichen Unternehmerpersönlichkeit.

VON MICHAEL FREUND

Als der 24-jährige Alfred Weiss 1914 zum Kriegsdienst einberufen wurde, gab er als Beruf „Kaffeebrenner“ an. Vorher schon hatte er in der väterlichen Rösterei gelernt, in der Zwischenkriegszeit baute er die Firma Arabia Kaffee-Tee-Import mit mehreren Verkaufsfilialen in Wien auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierte das Unternehmen, Weiss wurde Initiator und Mitbesitzer eines angesagten Espresso-Cafés, machte ein Palais zum Firmensitz und eröffnete Geschäfte und Cafés in mehreren Städten Österreichs. Man kann sagen – und so berichten auch Verwandte –, dass Kaffee das Lebenselixier des Unternehmers war.

In späteren Jahren wurde seine Tätigkeit denn auch von der Stadt Wien und vom Staat gewürdigt. Weiss bekam den Titel Kommerzialrat, er erhielt das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien, und 1972, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde er vom Bundespräsidenten Franz Jonas mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. Die Unterlagen zu diesen Auszeichnungen listen die Stationen seines Lebens detailliert auf („wurden diesem Großhandelsunternehmen 5 weitere Detailgeschäfte angegliedert“). Doch die Zeit zwischen 1938 und 1945 blieb ausgespart.

Dem nachzugehen, was sich in jenen Jahren zugetragen hatte, war ein Stein in jenem Mosaik, an dem Sabine Apostolo und ich beim Kuratieren der Ausstellung Endlich Espresso! gearbeitet haben. Der Untertitel lautet Das Café Arabia am Kohlmarkt, ein weiterer wichtiger Stein. Die beiden Standbeine der Schau sind einerseits dieses Café in der Wiener Innenstadt als Pionier der Espressowelle; andererseits das Leben des Unternehmers und seiner Familie inklusive der ausgesparten Jahre. Wie wir sie intern nannten: das Café und der Kaffee Arabia (und der Tee, wie noch zu lesen sein wird).

Umtriebiger Unternehmer

Bis 1938 lässt sich die Biografie des Alfred Weiss als Beispiel für die Karriere eines tüchtigen jüdischen Kaufmanns lesen. Erst der „Anschluss“ bedeutete für ihn wie für alle „rassisch“ Verfolgten eine gewaltsame Zäsur. Anders als manche resignierte Weiss aber nicht: Mit seiner Frau Lucie und den zwei Töchtern flüchtete er über Jugoslawien nach Belgien, bis auch dort, nach Kriegsbeginn, die deutsche Wehrmacht einmarschierte und sie vermutlich in Frankreich interniert wurden (die Töchter waren durch einen Kindertransport nach England gerettet worden).

Sabine Apostolo gelang es, das weitere Schicksal der Familie, das manchen Verwandten in Umrissen bekannt war, genau nachzuzeichnen. Auf Anfragen an die Archive von mehreren Lagern in Frankreich erhielt sie Dokumente mit genauen Daten, wann Alfred Weiss wo interniert war und wie er etwa trotz abschlägiger Bescheide mehrmals versuchte, seine Frau in Marseille zu besuchen. Dokumente im Staatarchiv sowie Briefe und eine Familienchronik im Besitz des Enkels Andrew Demmer – der mit seiner Teehaus-Kette gewissermaßen das unternehmerische Erbe weiterführt – ergänzen das Bild eines Mannes, der vieles voraussah und nie aufgab: Bereits 1937 besorgte er paraguayische Pässe für die Familie (daher der halb spanische Name „Ortega Weiss“, unter dem wir die Familie in der Datenbank des United States Holocaust Memorial Museum als Überlebende registriert fanden). In Rom, wo das Ehepaar Weiss von Herbst 1943 bis nach Kriegsende wohnte, zog er eine kleine Taschenmanufaktur auf und betrieb zielstrebig die Rückkehr nach Österreich.

Ab 1947 war die Familie wieder in Wien ansässig. Weiss erreichte die Restitution seiner Firma, bereits drei Jahre später beteiligte er sich an dem Projekt am Kohlmarkt. Er gab ihm nicht nur den Namen Arabia – frühes Crossmarketing! –, er beauftragte auch den renommierten Architekten Oswald Haerdtl mit einer Gestaltung im Stil italienischer Caffè-Bars. Es war nicht die erste Stätte, in der Espressokaffee aus einer Hochdruckmaschine ausgeschenkt wurde (das war die Aïda an der Wollzeile), doch erst das Arabia als mid-fifties-modernes Gesamtkunstwerk brachte mediterranes Flair in das dunkelgraue Wien und wurde zum Vorbild für viele Espressi, die den traditionellen Kaffeehäusern Konkurrenz machten. Als buchstäblicher Motor dieser Bewegung sollte eine Espressomaschine von damals, eine Gaggia classica, als Highlight ausgestellt werden. Wir fanden sie im Museum einer Rösterei in Modena.

Gemischte Gefühle

Das Projekt am Kohlmarkt fesselte Alfred Weiss allerdings nur wenige Jahre. 1953 kaufte er das Palais Auersperg, machte es zum Firmensitz und ließ es, ebenfalls von Haerdtl, um ein großes Café und einen attraktiven Wintergarten erweitern. Viele Jahre war das Palais Kulisse für Feste und politische Empfänge. Als wäre das nicht schon genug, erwarb er als Siebzigjähriger das Schloss Laudon und investierte in einen Umbau zum Luxushotel. 

Das alles klingt nach einer schönen Erfolgsstory – und war es wohl auch. Doch wir fanden und zeigen auch Belege für Anfeindungen in der Branche, die einen teilweise unverhüllt antisemitischen Charakter aufwiesen. Weiss wehrte sich mit Klagen, doch es wird ihm klar gewesen sein, dass er im Nachkriegswien mit alten Nazis und Opportunisten ebenso geschäftlich zu tun haben würde wie mit Menschen, die in der Nazizeit nur knapp dem Tod entronnen waren. Wie wir Hilde Spiel im Katalog zitieren, die nach ihrer Rückkehr resümierte, dass man es sich nicht aussuchen konnte: „Alle Grenzlinien sind verwischt.“

So wird Alfred Weiss mit gemischten Gefühlen 1955 den Titel Kommerzialrat von Bundespräsident Theodor Körner entgegengenommen haben – derselbe Körner, der sieben Jahre zuvor geschrieben hatte: „Der Wiener ist Weltbürger und daher von vornherein kein Antisemit.“


Michael Freund ist gemeinsam mit Sabine Apostolo Gastkurator der Ausstellung.

„Endlich Espresso! Das Café Arabia am Kohlmarkt“
Jüdisches Museum Wien
Bis 23. 10. 2022 

Die mobile Version verlassen