Interview mit Peter Lantos

Von Phillip Steger

NU: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben und warum jetzt?

Peter Lantos: Ich wollte über unsere Erlebnisse immer schon schreiben, aber nie als eine Art Exorzismus, um Dämonen der Vergangenheit zu bannen, denn diese habe ich nicht. Ich wollte als Wissenschaftler vorgehen und verschiedene Phasen meiner Kindheit untersuchen. Es ist außerdem so, dass wir nach dem Krieg nie darüber gesprochen haben. Erst als ich erwachsen wurde, habe ich meine Mutter zu befragen begonnen. Damals habe ich verstanden, dass alles, was geschehen ist, für immer mein Leben beeinflussen würde. Aber mir ist es auch sehr wichtig gewesen, dem Leser zu zeigen, dass ich dennoch ein wunderbares, erfolgreiches und intensives Leben hatte.

NU: Sie waren damals sehr jung. Würden Sie dennoch sagen, dass die Zeit 1944–1945 von der Deportation bis ins KZ Bergen-Belsen Ihr gesamtes Leben geformt hat?

Peter Lantos: In gewisser Weise sicherlich, denn es bleibt für immer bei einem. Allein die Verluste an Familienangehörigen. Das ist, was wirklich schmerzt. Nicht Häuser oder Gemälde oder Teppiche, sondern Menschen. Denn sie sind unwiederbringlich. Ich will aber keinesfalls behaupten, dass ich eine schreckliche Kindheit hatte, sondern ich hatte schreckliche Erlebnisse in einer Kindheit, die aus mehr bestand. Was ich in Bergen-Belsen erlebte, hat mich nie zu Rachegelüsten verführt.

NU: Das fällt auch beim Lesen Ihres Buchs auf, dass Sie vollkommen frei von jedem Hass zu sein scheinen.

Peter Lantos: Das erste Land, das ich als Erwachsener besuchen durfte, war die damalige DDR, und ich habe dort sehr nette Menschen getroffen. Ich war 20 oder 21 Jahre alt. Wenn ich völlig ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich schon gerne gefragt hätte: „Was hat dein Vater oder Großvater während des Kriegs getan?“ Aber ich habe es nie getan.

NU: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie sich 1944 die Mitbürger in Makó „enthusiastisch“ der Verfolgung der Juden hingeben.

Peter Lantos: Manche haben sich tatsächlich selbst übertroffen in negativer Hinsicht. Es gab aber auch Familien, die jüdische Mitbürger versteckt haben. Man darf auch nicht vergessen, dass die Rote Armee praktisch vor der Tür stand, als die Deportation der Juden begann. Die Bestrebung, die Juden zu vernichten, war so dominierend, dass man alles darauf konzentriert hat, anstatt die Energien in den Kampf an der Front zu stecken. Das ist schon bemerkenswert.

NU: Wie war dann die Rückkehr für Ihre Mutter und Sie? Leicht hat man es Ihnen ja nicht gerade gemacht.

Peter Lantos: Es war ziemlich hart. Wir wollten das Familienunter­nehmen wieder beginnen, das kam aber alles zu einem Ende unter den Kommunisten. Und dann waren wir auf einmal Klassenfeinde, das war auch nicht gerade hilfreich.

NU: Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Sie wurden in Ungarn geboren, leben seit 1968 in London und sind Jude. Was ist Ihre Identität?

Peter Lantos: Alles zusammen. Jude sein heißt, 3.000 Jahre Geschichte mit sich herumzutragen. In Ungarn geboren zu werden, gab mir meine Sprache, Erziehung und Kultur. Und in London habe ich ein Zuhause gefunden.

NU: Warum haben Sie nun begonnen, Hebräisch zu lernen?

Peter Lantos: Ich habe nie eine Bar-Mizwa gehabt und bevor ich 70 Jahre werde, möchte ich das nachholen. Bisher war ich ja ein „Zwei-Tage-im-Jahr-Jude“: Pessach und Jom Kippur sind die einzigen Festtage, die ich einhalte. Aber je älter ich werde, umso mehr ändert sich das.
Peter Lantos’ Buch hat in Groß­britannien nicht nur hervorragende Kritiken in führenden Zeitungen geerntet, sondern erlebt bereits die zweite Auflage. Seit der Veröffentlichung ist Lantos ein gefragter Redner in Schulen, Seminaren und Diskussionsrunden. Über eine ungarische Ausgabe wird verhandelt. Auch deutschsprachigen Lesern sollte sein Buch nicht vorenthalten bleiben.

(Peter Lantos, Parallel Lines, Arcadia Books, London 2006, 246 Seiten)

Die mobile Version verlassen