Im Vorzimmer stapeln sich Göbbels-Bücher

Die Journalistin Eva Menasse schildert im Gespräch mit Rosa Grünwald ihre Eindrücke vom Gerichtsprozeß gegen Holocaust-Leugner David Irving.
Von Eva Menasse

Sie haben den Prozess drei Monate lang mitverfolgt, wie haben Sie David Irving erlebt?

David Irving ist ein redegewandter, manchmal durchaus charmanter Mann, der jedoch bei genauer Beobachtung sehr abrupte Stimmungswechsel zeigt. Man könnte vielleicht sagen: Ein Borderliner. Er ist bestimmt stark paranoid, hat deutliche Zeichen von Größenwahn, allerdings wehre ich mich immer gegen die Versuche, Menschen wie ihn in Bausch und Bogen als „verrückt“ zu bezeichnen. Damit macht man es sich zu leicht. Ich glaube, wir müssen akzeptieren, daß solche Persönlichkeiten einfach vorkommen im „normalen“ Spektrum menschlicher Charaktere. Das ist das Gefährliche daran, und genau deshalb müssen wir uns dem stellen.

Sie beschreiben in ihrem Buch auch ein Treffen mit Irving in seinem Haus, welche Eindrücke sind ihnen in Erinnerung geblieben?

Irving ist ein geschickter Taktiker. Wenn er sich vor Gericht hart und kämpferisch gab, dann war er zu Hause leut- und redselig. Er wollte, dass man sich wohlfühlt, damit er einen umso besser von „seinen Wahrheiten“ überzeugen konnte. Das Setting ist dabei das allernormalste, das man sich vorstellen kann: Während einem seine entzückende kleine Tochter ihre Disneyhefte zeigt, kocht einem seine hübsche Frau Tee. Dass irgend etwas nicht stimmt, bemerkt man allerdings an den hüfthoch im Vorzimmer gestapelten Bücher, auf denen Goebbels abgebildet ist. Irving ist ja sein eigener Verleger, seine Wohnung ist auch das Lager für seine Bücher.

Die Aussagen David Irvings sind bedrückend, aufwühlend, abstoßend und schockierend. Man kann sich kaum vorstellen, wie es sein muß, sich diese Ungeheuerlichkeiten 3 Monate lang anhören zu müssen…

Manchmal hat es mir schon sehr gegraust. Ich glaube, man sieht es an den Reportage-Texten, die ja ziemlich unverändert in das Buch aufgenommen wurden: Manchmal konnte ich damit gut umgehen, ruhig bleiben, analysieren, manchmal war es so schlimm, dass meine Berichte aggressiv und fast zynisch wurden. Aber das war genau die Herausforderung für mich: Wie man so etwas bewältigt, als Berichterstatterin.

Dieser Prozess war doch wohl kein einfaches Verfahren, wie jedes andere auch. Es stand doch tatsächlich der Holocaust vor Gericht, denn es wurde darüber diskutiert.

Das ist eine Frage, die bis heute von den Beobachtern heftig diskutiert wird. Die offizielle Version des Gerichts und der prozessführenden Parteien ist: Es ging ausschließlich um Irvings Reputation als Historiker. Es mußte nachgewiesen werden, dass er absichtlich Fakten fälscht oder verzerrt, sodass sie seinem politischen Extremismus entsprechen: Hitler hat nichts gewußt, es sind viel weniger Juden umgebracht worden, als behauptet, es gab keine Gaskammern, usw. Ich glaube jedoch, der Prozess hat seine selbstgesetzten Grenzen oft genug überschritten. Nehmen wir Auschwitz und die Gaskammern: Darüber hat Irving nie geschrieben. Also konnte nicht, wie in den anderen Fällen, der Gutachter hergehen und seine Bücher analysieren und die Fußnoten auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Nein, hier ging es ums Ganze, um die Geschichte pur. Der Niederländer van Pelt hat anhand von Skizzen, Plänen und Aussagen Überlebender die Funktionsweise der Gaskammern erklärt und Irving hatte Zeit und Muße, dieses Gutachten anzufechten. Also finde ich es gerechtfertigt, vom „Holocaust vor Gericht“ zu sprechen, auch wenn das nie hätte passieren dürfen.

Der Prozess hat einerseits unter Berufung auf die Meinungsfreiheit stattgefunden, andererseits gab und gibt es viele Stimmen, die warnen, man müsse doch auch die Wirkung bedenken, die die wochenlangen Auftritte Irvings´ zur Folge haben, vor allem hatte er viel Publizität.

Nein, der Prozess hat nicht in bezug auf die Meinungsfreiheit stattgefunden, das ist ein häufiger, aber umso fatalerer Fehler. Dieser Prozess hat einzig und allein stattgefunden, weil Irving auf Verleumdung geklagt hat. Dass ein Holocaust-Leugner vor Gericht beweisen will, dass er mit Recht ein Holocaust-Leugner ist, ist nur unter englischem Recht möglich.

Wenn der Prozess möglich ist, ist die Publizität bei einem solchen Thema eine unaufhaltsame Folge. Ich glaube, das ist insgesamt eine müßige Frage. Ich sehe es lieber so: Verschiedene Rechtssysteme lassen verschiedene Möglichkeiten zu. Und verschiedene Möglichkeiten erlauben im Vergleich immer einen Erkenntniszugewinn.

Konkret: In Österreich und Deutschland und vielen anderen Ländern ist Irvings Treiben verboten, er darf nicht einmal einreisen und damit stört man seine Kreise schon gewaltig. In Amerika darf er sagen, was er will, ohne dass gleich die Polizei kommt, aber eine mündige Zivilgesellschaft wehrt sich ziemlich schlagkräftig. Wo er auftritt, gibt es Gegendemos und Proteste. In England ist man ganz gelassen und läßt ihn sogar einen solchen Prozess führen. Alle diese Strategien haben ihre Ursache in der jeweiligen historischen Verfasstheit der Zivilgesellschaften. Das erscheint mir logisch und wünschenswert. Ein bisschen traurig ist nur, dass man bei uns immer den Staat braucht.

Was konnte der Prozeß ihrer Meinung nach bewirken, wenn David Irving nach seiner vernichtenden Niederlage sagt, er lasse sich nicht einschüchtern und werde weiterhin schreiben, was er für wahre Geschichte halte?

Man verlangt vom Prozess zu viel, wenn man glaubt, er könnte etwas bewirken. Er hat stattgefunden, weil Irving ein Recht auf ihn hatte. Mundtot machen wird man einen Menschen wie ihn nie können, umso wichtiger ist es, daß nun auch wissenschaftlich seine Verzerrungen und seinen perfiden Strategien nachgeprüft und enttarnt sind.

Irving hat in Österreich Einreiseverbot. Macht eine derartige Maßnahme in Zeiten des Internet, wo Irving ohnedies viele erreichen kann, noch Sinn?

Ich bin davon überzeugt. Es macht doch einen großen Unterschied, ob in für rechten Extremismus anfälligen Gesellschaften, wie etwa in Ostdeutschland, Leute auf diese Weise an verbotene Bücher kommen, oder ob sich da einer bei ihren Aufmärschen hinstellt und sie anheizt. Nach so einem Anheizen gehen die vielleicht her und schlagen ein paar Obdachlose tot. Für Irvings großvolumige Nazi-Biographien braucht man schon Zeit und Muße im stillen Kämmerlein.

Ein britischer Historiker meinte, Irving werde nur eine exzentrische Nebenfigur der Geschichte bleiben, teilen sie diese Meinung?

Ja, was denn sonst? Er schreit ja gerade deshalb so laut und aggressiv, weil er sich gegen die Tatsachen, die auf dem Tisch liegen, einfach nicht durchsetzen kann. Solche einzelnen, die die Geschichte umschreiben wollen, wird es immer geben, man muß sie nicht fürchten, aber man sollte ein wachsames Auge auf sie haben.

 

Die Journalistin Eva Menasse verfolgte für die deutsche Tageszeitung FAZ zwischen Jänner bis April 2000 den Prozeß gegen David Irving in London. Aus ihren Beobachtungen im Gerichtssaal sowie zwei ausführlichen Interviews mit Irving entstanden zahlreiche Artikel, sowie das Buch „Der Holocaust vor Gericht – der Prozess um David Irving“, Hamburg 2000.

Erst Ende Juli 2001 wurde Irvings letzte Berufung abgeschmettert und der Prozeß endgültig beendet. Das wird für Irving – der ja als Kläger den Prozeß eingeleitet hat – vermutlich den finanziellen Ruin bedeuten, denn die gegnerische Seite wird zumindest auf einen Teil der Gerichtskosten klagen.

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