IKG-Wahlen in besonderen Zeiten

Von Peter Menasse

Eine Reihe von Zeitungen haben es schon vermeldet: NU-Kommentator Martin Engelberg wird mit der Wahlbewegung „CHAJ – Jüdisches Leben“ für das Amt des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) kandidieren. Die Wahl zum Kultusrat, der aus 24 Personen besteht, findet im November dieses Jahres statt. Aus den Reihen der Räte wird in der Folge der Präsident gewählt. Der langjährige Chef der IKG, Ariel Muzicant, hat zu Beginn des Jahres 2012 sein Amt zurückgelegt und mit der Mehrheit, bestehend aus seiner Fraktion und koalierenden Gruppen, Ossi Deutsch zu seinem interimistischen Nachfolger wählen lassen.

Damit bekommt der von Muzicant gewünschte Nachfolger die Chance, sich schon einige Monate lang als Führungsperson zu etablieren und den Bonus des Präsidenten einzufahren. Diese Vorgangsweise führt jedoch dazu, dass der Wahlkampf sehr früh einsetzt, weil sich auch andere Gruppen in Position bringen wollen und werden.

Soweit jetzt abzusehen ist, werden zwar – wie es langjährige Tradition in der IKG ist – zahlreiche Gruppen zur Wahl antreten, aber vermutlich nur zwei von ihnen um den Präsidenten rittern: „Atid“, die Gruppe um den Muzicant-Schützling Ossi Deutsch und eben CHAJ mit Martin Engelberg.

Für NU ist die Kandidatur eines Kollegen aus der Redaktion eine gleichermaßen interessante wie heikle Angelegenheit. Das NU-Team, das nach rein journalistischen Grundsätzen arbeitet, wird – zu diesem Schluss sind wir in unseren Diskussionen gekommen – über die Wahlen zwar berichten, aber genau so ausgewogen, wie wenn niemand aus unseren Reihen kandidierte. Auch Martin Engelberg selbst wird in seiner Kolumne nicht über die anstehenden Wahlen schreiben. NU bleibt neutral und geht weiter den Weg des unabhängigen Journalismus. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich auch andere jüdische Medien an diesen Grundsatz halten.

Die IKG-Wahlen finden unter besonderen Umständen statt. Spätestens ein Jahr danach wird der Nationalrat neu gewählt und viele Beobachter des politischen Lebens in unserem Land sehen die FPÖ in der Folge erneut in Regierungsverantwortung kommen. Da scheint es keine Rolle zu spielen, dass über manche frühere FPÖ-Ministern nur mehr mit dem Zusatz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ geschrieben werden kann. Und offensichtlich überhaupt kein Argument scheint die Hetze gegen die islamische Religionsgemeinschaft und gegen Ausländer zu sein. Es haben so viele Menschen die Lehren aus der Vergangenheit vergessen, nicht begriffen oder nie ziehen wollen.

Ein Präsident der Kultusgemeinde wird, wenn dieses Szenario eintrifft, in einer sehr schwierigen Situation sein, die immer aufs Neue wichtige Entscheidungen mit sich bringen wird. Was heißt es für eine jüdische Gemeinde, wenn eine Partei mitregiert, die zwar um gute Kontakte zu den Juden bemüht ist, um sich zu kaschern, aber in deren zweiten Reihe immer wieder Mitglieder auftauchen, die das Verbotsgesetz abgeschafft sehen wollen? Was bei den Treffen mancher Burschenschaften über uns Juden gesagt wird, wollen wir ohnehin lieber nicht wissen.

Dann aber wird auch zu entscheiden sein, was es für die politische Kultur unseres Landes bedeutet, wenn eine Religionsgemeinschaft, auch wenn es diesmal nicht die jüdische ist, niedergemacht und verteufelt wird.

Der Keim der Judenverfolgung wurde gelegt, als die Juden nicht mehr als Individuen mit unterschiedlichen Ansichten, Einstellungen und Schicksalen gesehen wurden, sondern als „Der Jude“ wie eine amorphe, geschlossene Gruppe behandelt wurde. Jeder Fehler eines Juden wurde immer allen Juden zugeschrieben und so eine Pogromstimmung erzeugt, die Humus für Verfolgung, Vertreibung und Ermordung war.

Wenn heute Menschen islamischen Glaubens genauso verachtend behandelt werden („Daham statt Islam“), wenn FPÖ-Hinterbänkler auf aggressivste Art den Islam beschimpfen, dann stellt sich die brennende Frage, ob wir Juden schweigen dürfen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns zu Wort melden müssen. Ariel Muzicant hat das getan und musste zuletzt erkennen, dass die Juden immer wieder fast alleinstehen, wenn es gilt, die Rechtsextremen zu entlarven und zu kritisieren. Die Regierungsparteien sind großteils wie paralysiert oder wollen einen potenziellen Koalitionspartner nicht vergraulen, und die widerständige Zivilgesellschaft ist so klein, wie kaum in einem anderen demokratischen Land.

Wir brauchen also einen starken und mutigen Präsidenten der Kultusgemeinde, der nach innen menschlich agiert und nach außen die Position der Juden klar und verständlich vertritt. Eine Empfehlung, wer das sein soll, werden wir – siehe oben – in NU nicht abgeben.

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