„Ich versuche, jedem Tag seine Krone aufzusetzen“

Der weltweit bekannte Filmproduzent und sechsfache Oscarpreisträger Arthur Cohn hat Religion, Familie und Beruf in seinem dynamischen und facettenreichen Leben vereinbart. Im exklusiven NU-Interview spricht er über seine jüdischen Wurzeln, Werte, die ihn geprägt haben, seine Freundschaft mit Simon Wiesenthal, Israel und die neusten Filmprojekte.
Von Ida Labudovic

Es gibt Filme, deren Szenen einem für immer in Erinnerung bleiben. Einige, die berühren, Denkwürdiges hinterlassen oder Freude in unser Leben bringen. Arthur Cohn ist ein Mann, der viele solche eindrucksvollen Filme geschaffen hat. Wegen seiner anziehenden Persönlichkeit und seinem Charme ist er Gast bei wichtigen Events in Europa und Amerika. Sein tiefes Verständnis für Menschen hat ihm viele Ehrungen gebracht. Für NU enthüllt er, was ihn durch das Leben geführt hat und wie er seine Träume verwirklicht hat.

NU: Was bedeutet Ihnen die Religion? Wie sind Sie aufgewachsen?

Cohn: Ich bin traditionell jüdisch aufgewachsen. Mein Großvater, nach dem ich benannt bin, Dr. Arthur Cohn, war der erste Rabbiner in Basel. Er war auch einer der wenigen orthodoxen Rabbiner, die den Zionismus unterstützten, weshalb Theodor Herzl den ersten Zionistenkongress 1897 ausgerechnet in Basel veranstaltet hat. Religion bedeutet für mich Tradition sowie geistige und moralische Werte. Ich war und bin stets versucht, meinen Kindern das Prinzip mitzugeben, dass Religion nie auf Kosten der Menschlichkeit kommen darf.

Sie haben einmal gesagt: „Jeder von uns bekommt von den Eltern Wurzeln und Flügel“. Wie haben Sie diese Geschenke Ihrer Eltern genutzt?

Meine Eltern haben mir Wurzeln und Flügel gegeben: Wurzeln sind meine Erziehung, die Respektierung der Tradition und das Pflegen moralischer Werte. Flügel sind meine Karriere, meine Visionen. Viele Menschen bleiben auf ihren Wurzeln sitzen und benutzen ihre Flügel nie. Dann gibt es andere Menschen, die ausfliegen, dabei aber ihre Wurzeln vergessen. Ich war in meinem Leben stets bemüht, meine Wurzeln und meine Flügel zu kombinieren, und niemals eines für das andere zu opfern.

Und einmal haben Sie eine Geschichte über Ihren Vater, der ein bekannter Rechtsanwalt war, und die Integrität erzählt. Würden Sie diese für uns wiederholen?

Sehr gerne. Mein Vater, Dr. Marcus Cohn, war ein angesehener und vorbildlich integrer Anwalt. Eines Tages kam ein Klient zu ihm, ein reicher Bankier aus Berlin, und erzählte ihm seinen Fall. Mein Vater hörte zu und sagte schließlich, er sei keinesfalls bereit, den Mann zu verteidigen, da seiner Ansicht nach die andere Partei Recht habe. Daraufhin sprang der Herr auf, umarmte meinen Vater und schrie: „Sie sind mein Mann!“ Er hatte den Fall verkehrt erzählt, um meines Vaters ehrliche Meinung zu hören … Ich frage mich manchmal, wie viele Anwälte heute den moralischen Standard meines Vaters hätten?

Was hat Sie im Leben am meisten geprägt?

Mein Vater hat mich den Grundsatz gelehrt: „Eine Enttäuschung genügt.“ Dies hört sich zwar ein bisschen erbarmungslos an, hat sich für mich jedoch im Filmgeschäft mehr als bewährt. Wenn ich von einer Person auf der professionellen – und erst recht auf der persönlichen – Ebene einmal enttäuscht werde, so besteht kein Grund, dieser Person noch einmal mein Vertrauen zu schenken, um dann erneut enttäuscht zu werden. Meine Mutter Rose Galewski, die in Berlin aufgewachsen war, schrieb Gedichte, darunter für das legendäre Schweizer Cabaret Cornichon, welches durch seine mutigen Anti- Nazi-Stücke Berühmtheit erlangte. In ihrem wunderbaren Gedicht „Licht und Schatten“ schreibt sie: „Nur wer zutiefst im Schatten gleitet, findet zutiefst ins Licht zurück.“ Wenn ich einmal unproduktive, schwierige Phasen zu überstehen habe, muss ich immer an dieses Gedicht denken. Und tatsächlich – das Licht am Ende des dunklen Tunnels lässt meistens nicht lange auf sich warten.

Wie beurteilen Sie im Vergleich das Leben in der Schweiz, wo Sie aufgewachsen sind, mit dem Leben in Israel, wo Ihr Herz ist, und in Amerika, wo Sie Ihre meisten Werke geschaffen haben?

In Basel fühle ich mich daheim. Hier bin ich geboren und aufgewachsen, hier habe ich mein Büro, hier konzipiere und entwickle ich meine Projekte. In Basel habe ich auch meine nötige Ruhe, das stille Leben hier ist ein angenehmer Gegenpol zur Hektik von Hollywood. Auf der anderen Seite ist Los Angeles auf der beruflichen Ebene für mich ein Muss. Hier wohnen und arbeiten die besten und professionellsten Köpfe im Filmbusiness. Ich glaube nicht, dass eine seriöse internationale Filmkarriere Los Angeles bzw. Hollywood ignorieren kann. Was die Menschen betrifft: Allgemein betrachtet fehlt den Amerikanern wahrscheinlich die Komplexität und die Diskretion der Schweizer, andererseits ist ihre Kommunikation viel direkter und unkomplizierter. Auch werden in Kalifornien Menschen, die überdurchschnittliche Leistungen vollbringen, nicht skeptisch betrachtet, sondern für ihre künstlerischen Errungenschaften neidlos gewürdigt. Dieses Gefühl habe ich in der Schweiz nicht immer gehabt, Basel ausgenommen.
Was Israel betrifft: Mit Israel fühle ich mich emotional verbunden. Meine drei Kinder leben in Israel. Ich mag die Offenheit und die Intelligenz der Israelis. Außerdem gibt es keine Stadt der Welt wie Jerusalem mit seiner verzaubernden Mystik.

Bei der Verleihung des „Guardians of Zion“-Preises haben Sie gesagt: „We all are Guardians of Zion“. Was haben Sie damit gemeint?

Ich war schon immer am Staat Israel interessiert und über seine Existenz besorgt. Ich habe drei Bücher geschrieben, die sich allesamt mit Israel befassen, zwei auf politischer, eines auf gesellschaftlicher Ebene. Ich glaube, jeder jüdische Mensch sowie jeder Freiheit liebende und demokratisches Gedankengut fördernde Mensch in der Welt hat die Pflicht, für den Staat Israel einzustehen, und dies besonders in einer Zeit, in welcher totalitäre, antizionistische Regimes der einzigen Demokratie im Nahen Osten ihr Existenzrecht absprechen.

Was war Ihr erstes Erlebnis im Zusammenhang mit Film, an welches Sie sich erinnern können?

Ich kann mich sehr gut an meinen ersten Film erinnern, den ich im Kino gesehen habe. Es war der Film Goodbye, Mr. Chips, den ich als kleiner Junge mit meinem Vater im legendären Basler Kino Alhambra sehen durfte. Damit ich etwas älter aussehe, borgte ich mir eine Hose von meinem älteren Bruder Dodi … Dieses Filmerlebnis hat mich übrigens viele Jahre später wesentlich dazu motiviert, am Projekt Les Choristes (Die Kinder des Monsieur Mathieu) mitzumachen, handelt es sich doch bei beiden Filmen um Lehrerfiguren, die eine besondere Beziehung mit ihren Schülern aufbauen.

Mit welchen Personen in all Ihren Filmen war die Zusammenarbeit für Sie am bedeutendsten?

Vittorio de Sica. Von ihm habe ich gelernt, Filme um jeden Preis an ihrem natürlichen Drehort und nicht im Studio zu drehen sowie bei der Besetzung der Schauspieler deren Glaubwürdigkeit für die Rolle mehr Gewicht einzuräumen als ihrem Bekanntheitsgrad. De Sicas Forderung nach kompromissloser Authentizitität und ungeschminkter Wirklichkeit begleitet mich bis heute bei jedem Filmprojekt.

Sie gelten als jemand, der zu Perfektionismus neigt. Wie schaffen Sie Perfektion oder einen Zustand, indem Sie mit dem Schaffen zufrieden sind?

Zuerst einmal nehme ich mir überdurchschnittlich viel Zeit bei der Entwicklung eines Drehbuchs. Ich bin zum Schluss gekommen, dass ein herausragender Regisseur ein schlechtes Drehbuch nicht retten und ein mittelmäßiger Regisseur ein gutes Drehbuch nicht kaputtmachen kann. Dann geht es darum, das beste und passendste Team vor und hinter der Kamera zusammenzustellen. Und nach dem Dreh verbringe ich viel Zeit mit dem Schnitt, um den richtigen Rhythmus für den Film zu finden. Perfektion gibt es nicht. Viel wichtiger scheint mir die Gewissheit, bei allen Projekten, die ich auf mich genommen habe, alles gegeben zu haben, was ich konnte. So kommen in mir selten wirkliche Reuegefühle auf.

Was bedeuten Ihnen die Oscars, die Sie bekommen haben, und dass Sie als erster nichtamerikanischer Produzent den Stern auf der „Walk of Fame“ bekommen haben?

Mir geht es nicht um Titel oder Rekordebrechen. Jeder Preis, jede Ehrung sind für mich eine Bestätigung, dass ich mit meinen Filmen gewisse Menschen zu bewegen vermochte. Dieses Gefühl tut mir sehr gut, weil es mir zeigt, dass ich den richtigen Beruf gewählt habe. Gleichzeitig erweckt das in mir den Ansporn und den Wunsch, weitere Filme zu verwirklichen, die das Menschliche in den Vordergrund stellen und die Zuschauer zu bewegen vermögen.

In einigen Ihrer Filme wird jüdisches Schicksal – ob individuell oder kollektiv politisch – thematisiert. War es für Sie eine bewusste, gleichsam politische Entscheidung, Filme zu produzieren, in denen die Geschichten von Juden thematisiert werden?

Es ist zwar nichts als natürlich, dass mich Projekte, die sich mit Juden oder Israel befassen, interessieren. Aber ich suche nicht von vornherein nach solchen Projekten. Ich muss das Gefühl haben, dass mich der vorliegende Stoff fesselt und dass ich aus ihm einen guten Film machen kann. Besonders stolz bin ich auf die Tatsache, dass mein Film Die Gärten der Finzi-Contini zur Erinnerung an die Schoah beigetragen hat. Und dank meinem Dokumentarfilm Ein Tag im September über das Attentat palästinensischer Terroristen auf das israelische Team bei den Olympischen Spielen in München 1972 wurden die Hinterbliebenen der Opfer dreißig Jahre danach von offizieller deutscher Seite endlich finanziell unterstützt. Dies erfüllt mich mit großer Genugtuung.

Was macht einen Produzenten erfolgreich, wie entscheiden Sie, was Sie produzieren werden?

Erfolg kann man nicht bestellen. Man kann nur sein Bestes geben und auf eine positive Aufnahme aufseiten des Publikums und der Kritiker hoffen. Meine Entscheide zu Filmproduktionen fallen mit überwältigender Mehrheit aus dem Bauch. Ich verlasse mich auf meine Intuition, die mich nur selten irregeführt hat.

Ist es im Laufe Ihres Lebens leichter oder schwerer geworden, interessante Projekte produzieren zu können, und wie hat sich der Film an sich verändert?

Ich denke, es ist schwieriger geworden. Auf der Ebene der Filmproduktion kenne ich immer weniger unabhängige Produzenten wie mich selbst, die Filme eigenhändig „auf die Welt bringen“. Heute sind die Filmproduktionen entweder größer, d. h. von Filmstudios, oder verzettelter, d. h., sie basieren auf komplizierten Co- Produktionen. Außerdem sind heute populäre und billige TV-Serien, geschweige denn entsetzliche Reality- Shows, daran, das Kunstwerk „Film“ zu verdrängen, was die Arbeit für unabhängige Filmproduzenten leider nicht einfacher macht. Auf der Ebene der Filme selber erkenne ich im Allgemeinen, dass das Tempo rasant zugenommen hat. Der Schnitt ist deutlich schneller als früher. Dies spiegelt natürlich auch unsere schnellebige Generation wider. Manchmal scheint es mir aber, dass diese Schnelligkeit auf Kosten der Vertiefung in einen Filmcharakter kommt. Bei „alten“ Filmen hatte der Zuschauer mehr Zeit, sich von einem Filmcharakter aufsaugen zu lassen.

Welchen Film hätten Sie gerne produziert oder würden Sie gerne noch produzieren, an welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Ich hätte gerne den Film Casablanca produziert, ein absolutes Meisterwerk. Was meine nächsten Projekte betrifft – ich arbeite gerade an zwei „Mir geht es nicht um Titel oder Rekordebrechen. Jeder Preis, jede Ehrung sind für mich eine Bestätigung, dass ich mit meinen Filmen gewisse Menschen zu bewegen vermochte. Dieses Gefühl tut mir sehr gut.“ besonderen Büchern, die ich in naher Zukunft verfilmen möchte: Das etruskische Lächeln von José Luis Sampedro und Der wiedergefundene Freund von Fred Uhlman.

Warum haben Sie eine gelbe Krawatte als Ihr Markenzeichen ausgewählt?

Das habe nicht ich ausgewählt, sondern die Presse. Dieser ist nämlich aufgefallen, dass ich immer gelbe Krawatten trage. Das habe ich selbst gar nicht bewusst getan, das hat sich irgendwie ergeben. Und dann ist dieser Brauch geblieben. Aber Sie dürfen ihm gerne eine tiefere Bedeutung geben …

Was verbindet Sie mit Österreich?

Ich war viele Jahre mit Simon Wiesenthal befreundet, ein einmaliger und mutiger Mensch. Ich habe bei Besuchen in Wien oft meinen jüngsten Sohn mitgenommen. Der ist dann mit „Wiesi“, wie wir ihn nannten, in den Prater gegangen. Mein Sohn hat dann den armen Simon, der auch schon nicht mehr der Jüngste war, auf alle schnellen Bahnen gezerrt. Simon wollte dann immer aufs Riesenrad flüchten, um sich vom abenteuerlichen Drang seines jungen Begleiters auszuruhen …

Viele Ihrer Filme beschäftigen sich mit sozialen Fragen. Wie sehen Sie unsere zeitgenössische Gesellschaft?

Die Welt von heute ist schnelllebig und überstimulierend. Das macht sichtlich vielen Menschen, darunter mir selbst, manchmal zu schaffen. Aber ich mag das Leben. Ich stehe gerne auf und versuche, jedem Tag seine Krone aufzusetzen.

Macht und Rücksichtslosigkeit gegen Wissen und Menschlichkeit. Was hat heutzutage bessere Chancen?

Ich glaube an das Gute im Menschen. Und ich habe die Hoffnung, dass dies auch die „Mächtigen und Rücksichtslosen“ einsehen werden.

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