Ich bin ein Nicht-Kandidat

Von Martin Engelberg

Ich werde bei der kommenden November stattfindenden Wahl des Kultusvorstandes nicht kandidieren. Zurückblickend denke ich einiges in der Kultusgemeinde bewegt zu haben. Der Kontrollbericht über das Maimonides-Zentrum hat zahlreiche Missstände aufgedeckt und umfassende und überfällige Veränderungen in unserem Eltern h e i m bewirkt. So manche politische Entscheidung der IKG konnte ich mitgestalten, für viele in unserer Gemeinde war ich das Aushängeschild der Opposition gegen den Präsidenten Muzicant und die derzeitige IKG-Führung. Warum also aufhören?

Zunächst einmal werde ich mich sehr wohl auch hinkünftig in unserer Gemeinde engagieren, aber vorerst einmal nicht im Rahmen der IKG als Institution. Dies vor allem deshalb, da ich zur Überzeugung gekommen bin, dass – zur Zeit, unter der derzeitigen Führung – meine und die Kapazitäten einiger anderer Kultusvorsteher nicht genutzt wurden. Dafür fehlten letztlich – zugegebenermaßen wohl auf beiden Seiten – die emotionalen Voraussetzungen.

Im Klartext: Wahlkämpfen und nachfolgenden Auseinandersetzungen, die von Unehrlichkeit, Aggressivität, Geltungssucht usw. geprägt waren, folgte eine bis heute andauernde Phase, in der starke Ressentiments und Missgunst im Vordergrund stehen. Diese finden Ausdruck in nicht enden wollenden Vorbehalten gegen die (vermeintlich) besiegten Feinde und Versuchen, sich an ihnen zu rächen, während in Wirklichkeit ein reifes Bemühen um Versöhnung, Großzügigkeit und eine neuerliche Identifizierung mit den eigentlichen Aufgaben unserer Gemeinde notwendig gewesen wären. Es gelang uns allen nicht, die wir in den letzten Jahren im Vorstand der IKG saßen, diese Entwicklung aufzuhalten, und jetzt steht wieder ein Wahlkampf bevor, in dem sich gerade diese negativen Tendenzen neu aufheizen würden.

Der aus Wien gebürtige, international arrivierte Psychoanalytiker Prof. Kernberg beschreibt dies sehr treffend: „Ein Wahlkampf […] kann für eine kleine professionelle Organisation […] verheerende Auswirkungen haben, wenn die eigentliche Arbeit persönliche Kooperation voraussetzt und die einzelnen Führungskräfte die während der Wahl entstandene Kluft überwinden müssen. Die Vergiftung interpersonaler Beziehungen kann sich noch viele Jahre lang bemerkbar machen und bewirken, dass sich einige oder sogar zahlreiche der kreativsten und potentiell wertvollsten Individuen enttäuscht, desillusioniert und ‚depressiv‘ aus der Organisation zurückziehen.“

Dem entspricht dann auch gänzlich die Tatsache, dass zehn der bisherigen 24 Kultusvorsteher nicht mehr zu kandidieren beabsichtigen. Das sind erschreckend viele und entspricht meiner oft im Kultusvorstand geäußerten Warnung, man möge nicht so große Angst vor den Kritikern des Präsidenten haben, sondern vielmehr davor, dass sich so viele Mitglieder unserer Gemeinde und vor allem auch jene, die großes Engagement gezeigt haben, von der IKG überhaupt abwenden.

Was also ist zu tun?

Für den bevorstehenden Wahlkampf müssten einmal einige Präventiv- oder Kontrollmaßnahmen eingebaut werden, um eine neuerliche Eskalation zu verhindern. Dazu gehört allen voran eine drastische Begrenzung der eingesetzten Zeit und finanziellen Mittel:

1. In Wahlverfahren viel größerer Organisationen als der IKG ist vorgesehen, dass jeder Kandidat lediglich ein Positionspapier formuliert, dessen Länge vorgeschrieben ist und das in einer eigenen, gemeinsamen Ausgabe, in diesem Fall z. B. der „Gemeinde“, veröffentlicht wird .

2. Statt unzähliger privater „politischer Fundraising-Einladungen“ wäre von der IKG eine Veranstaltung zu organisieren, in deren Rahmen sich jeder Kandidat auch einmal persönlich interessierten Wählern vorstellen kann.

3. Die übliche Flut von Wahlkampfzeitungen, Pamphleten, Briefkampagnen etc. wäre unbedingt zu vermeiden. Natürlich könnte man einwenden, dass man den politischen Prozess nicht eingrenzen, sondern vielmehr eine breite Diskussion unterstützen sollte, weil die Wählerschaft durch klare Darstellung der Positionen rivalisierender Kandidaten informiert werde und die Sachinformationen erhalte, auf deren Grundlage sie eine intelligente, kenntnisreiche Entscheidung treffen könne.

Doch verweist der oben bereits zitierte Prof .Kernberg darauf, dass unzählige Beispiele von Institutionen, wie jene der IKG, beweisen, dass die beschriebene Aufheizung der Stimmung eine unvermeidliche Folge der Aktivierung eines politischen Prozesses darstellt und die Fähigkeit der Wähler, eine intellektuell einsichtige und rationale Entscheidung zu treffen, dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. „Um es ganz offen zu sagen: Sobald ein Thema im Kontext des Großgruppenprozesses diskutiert wird, werden Klischees und konventionell beschwichtigende Ideologien immer den Sieg über den kenntnisreichen, differenzierenden intellektuellen Diskurs davontragen“, schreibt Kernberg.

Nach der Wahl wäre es in weiterer Folge sodann notwendig, die IKG insgesamt einer grundlegenden Reform zu unterziehen und das Statut der IKG, gemacht für eine Gemeinde des 19. Jahrhunderts mit bis zu 200.000 Mitgliedern, an die heutigen Gegebenheiten einer Gemeinde mit 6.500 Mitgliedern anzupassen. Dies würde z. B. eine drastische Reduktion der Zahl der Kultusvorsteher von 24 auf vielleicht acht erfordern, die viel eher im Sinne eines Vereinsvorstandes gemeinschaftlich zu agieren hätten, als im Sinne eines Parlaments und mit Regierung und Opposition wie bisher. Mit Wahlen, in denen in oben beschriebener Art und Weise einzelne Personen der Gemeinde zu bestimmen wären, die sie tatsächlich und kraft ihrer Persönlichkeit repräsentieren können.

Unbedingt nötig wäre sodann eine klare Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche der Administration der IKG zu den Aufgaben dieses Vereinsvorstandes, der sich in den administrativen Fragen auf eine Aufsichtsratsfunktion zurückzuziehen hätte. Dadurch könnte die Flut an viel zu oft unnützen, langwierigen, ergebnislosen und daher auch zunehmend unbesucht bleibenden Sitzungen gestoppt werden.

Eine Hinwendung zu zivilisierten Abläufen von Sitzungen, mit klarer Tagesordnung, genau definiertem und eingehaltenem Beginn und Ende, vorhergehender Information und entsprechender Vorbereitung der Teilnehmer (und z. B. gemeinschaftlicher Übereinkunft für die Dauer der Sitzungen alle Handys auszuschalten), würde auch das ihre zu konstruktiven und sinnvollen Diskussionen und Beschlussfassungen beitragen.

In der Zwischenzeit möchte ich daher – wie eingangs erwähnt – die Zeit und Energie, die ich in unserer Gemeinde bisher und auch hinkünftig einbringen möchte, eher in private Initiativen einbringen, die sich auf konstruktive Weise und in kleinem Rahmen auf ganz bestimme Aufgaben konzentrieren. Den – schon seit Jahrzehnten überfälligen – Aufbau einer unabhängigen Jugendorganisation oder die Gestaltung einer informativen und diskursfreudigen Zeitung, wie es das vorliegende NU darstellt. Ich bin überzeugt, damit meinen Interessen bzw. denen meiner Kinder und unserer Gemeinde vorerst einmal besser dienen zu können.

 

Ein glückliches, gesundes und friedliches neues Jahr wünscht Ihnen

Martin Engelberg

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