Hoffnung in der Ausweglosigkeit

Marika Lichter 1951

Familiengeschichten: Marika Lichter im Jahr 1951. © privat

Ein Theaterstück als Verpflichtung jenen gegenüber, die ihre Geschichte nicht mehr erzählen können: Unter dem Titel „Ich hab (k)ein Heimatland“ hat Marika Lichter verarbeitet, was ihrer Familie in der Nazizeit widerfahren ist.

VON DANIELLE SPERA

Marika Lichter ist eine konsequente Frau. Alles, was sie beginnt, führt sie mit hundertprozentigem Einsatz zu Ende. Halbe Sachen kennt sie nicht. So wollte sie eigentlich ein Programm zum hundertsten Geburtstag ihres Mentors Gerhard Bronner im heurigen Oktober entwerfen. Doch es fiel ihr schwer, über einen Menschen zu schreiben, den sie so gut gekannt hatte. Als Austragungsort waren die Kammerspiele der Josefstadt vorgesehen. In der Planung mit Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger kam immer wieder auch die Familiengeschichte von Marika Lichter zur Sprache, bis Föttinger schließlich meinte: „Das ist es, du schreibst ein Programm über deine Familie!“

Marika Lichter musste dazu allerdings erst überredet werden. Ihre Eltern waren Überlebende von Konzentrationslagern, die sich in Wien, nach dem Grauen, das sie erfahren hatten, eine Zukunft aufgebaut hatten. Sonst gab es keine Familie. Lichters Mutter hinterließ eine Schachtel mit Dokumenten und Fotos, die erst jetzt, in Vorbereitung dieses neuen Programms, eine Öffnung erfuhr. Durch diese Dokumente konnte Marika Lichter viele Puzzlestücke zusammensetzen, die ihr bisher in der Vervollständigung der Familiengeschichte gefehlt hatten. Eine Spurensuche mit Schmerzen, da sich plötzlich Lebensläufe erschlossen, zum Beispiel über ihren Onkel und dessen Frau, die gemeinsam mit ihrem Baby von den Nazis ermordet wurden. Die Briefe, die sie fand, illustrieren die Ausweglosigkeit.

Sie sei bei der Lektüre richtig wütend geworden, so Marika Lichter, weil sie bis heute nicht verstehen könne, weshalb die Jüdinnen und Juden alles hingenommen und sich nicht gewehrt hätten. Dennoch sind es Dokumente der Hoffnung. Man hatte in all dem Leid Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Lichter bedauert, dass dies heute nicht so ist. Obwohl es den Menschen im Großen und Ganzen gut geht, hegt kaum jemand Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

In diesem Sinn wollte sie ein Stück schreiben, das dokumentiert, was geschehen ist: als Verpflichtung jenen gegenüber, die ihre Geschichte nicht mehr erzählen können. Gleichzeitig ortet sie – auch im Bewusstsein über den aktuellen Antisemitismus – eine Verbesserung im Denken. „Diesen Alltagsantisemitismus in der Sprache gibt es glücklicherweise nicht mehr“, meint sie und nennt Beispiele von Aussagen, die sie als Kind und Jugendliche immer wieder gehört hat. Der Titel Ich hab (k)ein Heimatland stammt aus einem Lied des deutsch-jüdischen Schlagerkomponisten und Pianisten Friedrich Schwarz aus dem Jahr 1933.

Die Heimat ihres Herzens ist jedenfalls Wien. Auch ihre Eltern hatten hier gut gelebt. Bitterkeit gegenüber Österreich gab es nicht. Ihr Groll richtete sich gegen die Länder, in denen sie geboren wurden – Ungarn und Polen – und aus denen sie in Konzentrationslager verschleppt wurden. Überlebt hatten sie mit Glück und Kraft – Attribute, die jeder Überlebende brauchte. Bereits 1946, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, bauten sich Lichters Eltern aus dem Nichts ein Geschäft auf. Sicherlich verdrängten sie vieles, haben aber mit viel Humor und Freude gelebt. Wichtig ist Marika Lichter, dass dem Publikum bewusst ist, dass es um Geschichten geht, die ihrer Familie tatsächlich passiert sind. Ein Denkanstoß und ein Plädoyer, mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken.


„Ich hab (k)ein Heimatland“ von Susanne F. Wolf & Marika Lichter
Kammerspiele der Josefstadt, bis Februar 2023

Spurensuche mit Schmerzen: Marika Lichters Eltern, 1947 in Budapest. © privat
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