Hat sich Österreichs Umgang mit seinen Juden geändert?

VON MARTIN ENGELBERG

Vor kurzem lief der Film Frau in Gold in Österreich an: die berührende Geschichte des Kampfes der Maria Altmann um die Herausgabe des ihrer Familie gestohlenen Klimt-Porträts ihrer Tante Adele Bloch-Bauer. Wir sahen den Film vor einigen Monaten in den USA. Am Ende erhoben sich die Zuschauer und applaudierten frenetisch. Ob es wirklich so schlimm in Österreich sei, werden wir danach von amerikanischen Freunden gefragt – keine leicht zu beantwortende Frage. Es kommen die Erinnerungen an meinen Vater hoch, der sich noch in den 1960er Jahren, in den seltenen Fällen, in denen er einen Prozess zu führen hatte, fast selbstverständlich eines Rechtsanwaltes bediente, der ein bekannter Nazi war. Er war überzeugt, ansonsten mit dem Vornamen Samuel vor einem österreichischen Gericht völlig chancenlos zu sein. Oder jene guten Freunde meiner Eltern, die mit ansehen mussten, wie der Ariseur des elterlichen Betriebes diesen auch nach dem Krieg behalten konnte und höhnisch den Wohlstand genoss. Das Motto in Österreich war damals, dass endlich einmal Schluss sein müsse mit der Vergangenheit, noch bevor man überhaupt begonnen hatte, über diese zu sprechen.

Die Kanzlerschaft Bruno Kreiskys in den 1970er Jahren änderte daran nichts – eher im Gegenteil. Seine anti-israelische Haltung und schwierige Beziehung zu seiner eigenen jüdischen Herkunft verschärften die Situation noch: Er ernannte vier ehemalige Mitglieder der NSDAP zu Ministern und ließ alle noch laufenden Nazi-Verfahren einstellen.

Dann kam die „Waldheim-Zeit“. Wir erinnern uns an die geifernde, gehässig-antisemitische Stimmung, die das Land erfasste, an den trotzigen „Wir wählen wen wir wollen“ Slogan auf den Judenstern-gelben Wahlplakaten der ÖVP. Einzig das Nachrichtenmagazin profil forderte, dass sich Österreich endlich seiner Rolle und Mittäterschaft in der NS-Zeit stellen sollte. Waldheims beharrliche Antwort, er habe im Zweiten Weltkrieg nur seine Pflicht getan, klingt noch in den Ohren.

Franz Vranitzky, der österreichische Bundeskanzler in jenen Jahren, leitete eine neue Entwicklung ein. Er hielt 1991 vor dem österreichischen Nationalrat und 1993 an der Universität Jerusalem historische Reden, in denen er die Mittäterschaft vieler Österreicher in der NS-Zeit einbekannte und dafür im Namen der Republik um Verzeihung bat.

Seither hat sich viel im Verhältnis des offiziellen Österreich zu seinen früheren jüdischen Bürgern geändert. Der Nationalfonds für die Opfer der Nazi-Zeit wurde eingerichtet, zahlreiche Kunstgegenstände restituiert. Nicht nur Nobelpreisträger und andere berühmt Gewordene werden eingeladen, nach Österreich zu kommen und erhalten Ehrungen und Orden. Auch viele einfache jüdische Menschen besuchen die Stätten ihrer Kindheit bzw. die ihrer Familien und werden hier zumeist freundlich empfangen. Manchen, wie dem früheren Chefredakteur Ari Rath, ist Wien wieder zur Heimat geworden, andere, wie der Hollywood-Produzent Eric Pleskow oder die Nobelpreisträger Eric Kandel und Martin Karplus, besuchen Österreich in den letzten Jahren gerne und häufig – Letzterer sogar ausgestattet mit einer vom Wiener Bürgermeister persönlich unterschriebenen Genehmigung, seinen geliebten Hund auch auf seine Museums-Besuche mitnehmen zu dürfen. Manchmal wirken die Gesten fast schon übertrieben, aber jedenfalls hat sich in Österreich in den vergangenen 25 Jahren in Bezug auf die Aufarbeitung der Vergangenheit und den Umgang mit jüdischen Menschen sehr viel getan.

Die Wahrnehmungen in diesem Zusammenhang könnten dennoch nicht unterschiedlicher sein. Als ich vor einigen Wochen über dieses Thema in der Presse schrieb, schickte mir eine britische Anwaltskanzlei einen Leserbrief, in dem sie mir vorwarf, ich hätte ein allzu idyllisches Bild des Umgangs Österreichs mit seiner Vergangenheit gezeichnet. Während ich beschrieben habe, wie freundlich Österreich jüdische Menschen behandeln würde, könne Österreich noch viel mehr tun. Demgegenüber meinte ein pensionierter, ehemals sehr hoher österreichischer Beamter – aus teilweise jüdischer Familie und Sozialdemokrat –, in Österreich werde der Antisemitismus vor allem von den Semiten getragen und es freue ihn, dass die Juden in Österreich nicht zuletzt durch das Wirken Kreiskys eine gute Heimat hätten.

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