Gutmensch, hart und kompromisslos

Alfred Noll bohrt als Anwalt und austropolitischer Philosoph dicke und dünne Bretter. Dabei hält er eine gute Distanz zum Objekt seiner Arbeit: zum Land und seinen Wichtig-Bürgern.
Von Rainer Nowak

Was wurde eigentlich aus dem Gutmenschen? Hat er sich still und leise zurückgezogen, hat in stiller Emigration resigniert und die Bühne dem Wutbürger überlassen? Oder ist er gar verschwunden, weil es ihn nicht mehr gibt? Hat er nach jahrelangen Schmähungen aufgegeben, wurde Sinn und vor allem auf der Höhe der jeweiligen politischen Diskussion quasi von den Rechten besiegt und existiert nur als Klischee und Schablone? Wen könnte man besser fragen als Alfred J. Noll, Anwalt, Gelehrter und – denkt man französische (tages)politische Debatten – wohl auch Philosoph, der schon immer zu gebildet, geistig wendig in bestem war, um berechenbar zu sein. (Dass ihn von der FPÖ seitwärts, viele für den klassischen Links-Linken halten, mag sein, aber man muss nicht alle Kategorisierungen aufnehmen und/ oder ernst nehmen.)

Daher klingt Noll auch 2011 zu einem Zeitpunkt, an dem das Land eine sehr seltsame Stimmung erfasst hat, erstaunlich entspannt und überlegt. Bekanntlich wähnt die eine Hälfte des Landes den Ausbruch einer Revolution in greifbarer Nähe. Die andere Hälfte hat sich bereits damit abgefunden, dass Heinz- Christian Strache bald mindestens Vizekanzler wird, und weiß nicht so genau, was stärker ist: die Schadenfreude oder die Peinlichkeit, wieder einmal als Winzig-Land dazustehen, in dem alles schief läuft, obwohl es sich doch um den Mittelpunkt der Welt handelt. Nein, Alfred Noll wird weder hysterisch noch zur politischen Kassandra, er erinnert nur trocken an die faktischen Machtverhätnisse: Selbst wenn Strache über 30 Prozent komme, hieße das doch noch lange nicht, dass man ihn in eine Regierung holen müsse. In Italien wären die Kommunisten im dritten Drittel des vergangenen Jahrhunderts auch in solche Sphären vorgestoßen, weswegen dennoch keine andere Partei einen Finger in ihre Richtung rührte. Genauso sollte auch Österreich auf die FPÖ reagieren: soll also heißen einfach ignorieren. Irgendwann sei Schluss mit dem Siegeszug und über 50 Prozent kommt er dann auch wieder nicht. Klingt wieder fast zu einfach, um funktionieren zu können.

Aber nichtsdestotrotz übt Noll scharfe Kritik an der österreichischen Innenpolitik 2011: Er sieht ein enormes Haltungsdefizit bei allen handelenden Personen. Dass noch irgendwer eine klare Meinung vertrete, weil es einfach die seine sei, ist tatsächlich so gut wie ausgestorben.

Aber eigentlich wollte NU mit Noll ja über andere Dinge Reden: Woher die Bereitschaft komme, über Jahrzehnte in allen juristischen und eben auch philosophischen Feldern für jene zu kämpfen, die wohl doch die Schwächeren sind, die von der 2. Republik übervorteilten Opfer von NS-Raub oder auch kleine Medien, denen Noll unbemerkt von der Öffentlichkeit zur Seite springt, wenn es notwendig ist.

Bei diesen Themen wird Noll auch etwas direkter, lauter und aufgebrachter: In seinem Anfang des Jahres erschienenen „Abnehmende Anwesenheit. Ein Pamphlet zur Kunstrückgabe in Österreich“. Darin rechnet der Anwalt von jüdischen Mandanten in Fällen von Kunstrestitution vor allem mit dem alles entscheidenden Rückgabebeirat, einer Art Überinstanz ohne Instanzenweg, ab: In diesem Beirat säßen vor allem Vertreter von Ministerien, die quasi autokratisch jedweden „Verlust“ eines österreichischen Museums verhindern wollten und dies offenbar auch exekutieren. In zwei Fällen hat Noll selbst Niederlagen erleben müssen, bei Klimts Gemälde „Mohnwiese“ empfahl der Beirat, das Werk nicht an die Erben Emile Zuckerkandls zu restituieren. Dass der Mann mit 87 Jahren in Palo Alto lebt, bewiese laut Noll, dass Österreich „mit einem Federstrich“ vollzog, was den Nazis nicht gelungen war, nämlich die Existenz Zuckerkandls auszulöschen. Österreich entschuldigte sich zumindest für diesen Bürokarten-Zynismus der Sonderklasse. Auch bei Schieles „Mutter mit zwei Kindern III“ entschied sich der Beirat gegen die Rückgabe, unverständlich wie Noll meint.

Vielleicht waren es auch (erwartete?) Entscheidungen, die Noll bewogen, ein knappes, literarisches Stück im Vorjahr zu schreiben: In dem Roman „Kannitz“ schildert Noll die Geschichte des jüdischen Anwalts Isidor Hoffer, der 1937 aus Wien flüchtet und sein gesamtes Vermögen Kannitz, dem pensionierten Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs, treuhändig übergibt. Hoffer stirbt. Kannitz sitzt nun mit dem Reichtum und vor allem dem Kunstschatz eines jüdischen Großbürgers zu Beginn der 2. Republik in Wien. Eine Parabel über den Umgang Österreichs und seiner Bürokarten mit seinen Juden und ihrem Erbe.

Warum ein Anwalt nun plötzlich die Literatur als Mittel der Aufarbeitung verwende? Noll, mit einem vielleicht zu offensichtlichen Understatement: „Das ist ein Ausgleich zu meiner täglichen Arbeit.“ Nur zur Erklärung des „Ausgleichs“: Noll verhandelte rund 30 Fälle von Kunstrestitution, in denen er die Opfer vertrat. Dass einer wie er nun einen fast schaurig-schönen Roman darüber schreibt, sollte/müsste ein Alarmsignal für Österreich sein, das sich sonst – man denke an die Entschädigungslösung für Ex-Zwangsarbeiter – so gerne in der späten Geste für NS-Opfer sonnt. Dass Nolls Stück aber kaum auffiel oder gar für Aufsehen sorgte, könnte ein Hinweis sein, dass sich manches wiederholt. Beim zweiten Mal nur eben als unauffälliges, weithin unbeobachtetes Beamtenstück.

Was Noll so simpel niemals formulieren würde. Er hat auch noch genug zu tun.

Alfred J. Noll
Kannitz
Eine Parabel
Czernin Verlag
176 Seiten
Euro 19,80

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