Griechenland: Blut, Angst und Scheinheiligkeit in Krisenzeiten

Die neonazistische Organisation Goldene Morgendämmerung (Chryssi Avgi) fordert „ein sauberes Land“, im Parlament bezeichnen sich ihre Mitglieder offen als Rassisten. Eine Analyse.
Von Salomi Boukala; Übersetzung: Kitty Weinberger

Im fünften Jahr der Rezession stöhnen die Griechen unter der Last der größten Arbeitslosigkeit in der Eurozone und der Beeinträchtigung ihres täglichen Lebens. Migranten sind mit rassistischen Attacken konfrontiert, Gewalt dominiert, und die griechische Politik zeigt sich nach den Ereignissen in Neu Manolada, einem Dorf am Peloponnes, schockiert über die unmenschliche Haltung einiger „weniger“ griechischer Unternehmer. Griechische Bauern eröffneten das Feuer auf eine Gruppe von 30 Erdbeerpflückern aus Bangladesh, moderne Sklaven, die von ihren Arbeitgebern sechs ausständige Monatslöhne forderten. Laut lokalen Medien wurden bis zu 30 Arbeiter verwundet, von denen sich manche in einem kritischen Zustand befinden.

Sündenbock gefunden

Am 7. April 2012 betonte der damalige Ministerpräsident Antonis Samaras am Ende seiner Vorwahlkampagne eine Hauptstoßrichtung seiner politischen Agenda mit den Worten: „Wir werden unsere Städte und Wohngebiete wieder besetzen. Wir werden all jene, die es nötig haben, menschlich behandeln. Aber das Gesetz muss in die Städte zurückkehren. Das Gefühl der Sicherheit muss den Bürgern wiedergegeben werden. Schließlich müssen wir der allgemeinen Vorstellung von Recht gerecht werden.“ Frühere Reden klangen nicht anders. Er sprach von den dramatischen Folgen der Migration in Griechenland, von „illegalen Migrantenghettos“ und erklärte zu wiederholten Malen, dass er die griechischen Städte von illegalen Migranten befreien werde.

Aber Samaras war nicht allein in seiner nationalistischen Front gegen die neuen „Feinde“. Am 1. April 2012 verwendeten der damalige Gesundheitsminister der sozialistischen und später der Koalitionsregierung, Andreas Loverdos, und der damalige Minister für öffentliche Ordnung und Bürgerschutz derselben Regierung, Michalis Chrysochoidis, in einer Pressekonferenz über Anhaltelager für illegale Migranten eine militärische Metapher: Sie sprachen von ihnen als „hygienische Bombe“, die demnächst im Zentrum von Athen losgehen werde. Tatsächlich forderten die zwei Minister als Teil einer Kampagne für Notfälle und Sicherheit eine verpflichtende hygienische Untersuchung für Migranten und kündigten die EinfühBürger an, die sich durch die Anwesenheit von Migranten in ihren Bezirken, besonders im Stadtzentrum von Athen, bedroht fühlen.

Diese Erklärungen zeigen, dass die politische Führung Griechenlands den perfekten Sündenbock für die Finanzkrise und die Sparmaßnahmen gefunden hat. Nach der ultranationalistischen Rhetorik und unter Druck des Aufstiegs der „Goldenen Morgendämmerung“ (Chryssi Avgi) betrieben die Minister und politischen Eliten, die sich nie auf Einwanderungspolitik konzentriert hatten und die nie an der Integration von Muslimen und Flüchtlingen in die griechische Gesellschaft interessiert gewesen waren, eine rhetorische Hexenjagd, die aber den Wahlerfolg der Goldenen Morgendämmerung nicht schmälerte, sondern sogar indirekt Gewalt gegen Migranten rechtfertigte. Genau die Taktik der Goldenen Morgendämmerung und ihrer Schwadronen.

Goldene Morgendämmerung oder der Sonnenuntergang der Demokratie Athens

Der Einzug der Nazisympathisanten in das griechische Parlament nach den Wahlen am 6. Mai und 17. Juni 2012 war eines der wichtigsten Elemente dieser Wahlen. Die politische Klasse und die etablierten Medien drückten Abscheu aus und behaupteten scheinheilig, die Existenz dieser ultranationalistischen, extremen Gruppe zu ignorieren. Aber ein kurzer Rückblick auf die Aktivitäten der Goldenen Morgendämmerung während der letzten 20 Jahre widerspricht den Behauptungen der politischen und medialen Eliten.

Der Wahlerfolg und der steigende Zuspruch für die Goldene Morgendämmerung hat ihre Mitglieder veranlasst, ihre Neonaziprinzipien – Bewunderung für das Dritte Reich und Hitler, „Auschwitzlüge“, Nazigruß – aufzugeben und ihre Organisation in einer Reihe öffentlicher Stellungnahmen als griechisch-nationalistische, populistische Anti-System-Partei zu präsentieren, die gegen die Sparmaßnahmen der Troika (EZB, EU, IWF) und gegen die Korruption des griechischen politischen Systems kämpft. Die Wahrheit ist allerdings eine andere. Die Goldene Morgendämmerung ist eine Neonazi-Organisation, sie hat Kontakte zu anderen Neonazigruppen in Deutschland (NDP), Italien (Forza Nuova), Frankreich (PNFE), Russland (LDPR) und anderen europäischen Ländern. Ihre Mitglieder wurden mehrfach mit Angriffen gegen Linke und Homosexuelle und mit rassistischer Gewalt in Zusammenhang gebracht. Der Generalsekretär der Partei, Nikos Michaloliakos, wurde 1978 festgenommen und wegen seiner Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Gruppe und des Besitzes von Sprengstoff zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis traf er Junta- Obristen (an der Macht 1967-74), und nach seiner Entlassung bekam er eine führende Position in der EPEN (Nationale Politische Union), einer anderen rechtsextremen Organisation.

Die Goldene Morgendämmerung wurde 1985 gegründet, aber sie etablierte sich im politischen Leben des modernen Griechenland erst nach 1993, als sie Einfluss auf bedeutende Medien gewann und auch auf ihre Leistungen im Jugoslawienkrieg an der Seite der serbischen Nationalisten hingewiesen wurde. Es wurde auch ihre nachdrückliche Ablehnung der Verwendung des Namens Mazedonien für ein anderes Land (die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien) betont. Die Schwadronen der Goldenen Morgendämmerung attackierten linke Studenten, und sie wurden bei ihren Angriffen auf Linke und Anarchisten während antirassistischer/antifaschistischer Demonstrationen von der Bereitschaftspolizei unterstützt.

Griechenland den Griechen

Bei den Gemeinderatswahlen 2010 wurde Nikos Michaloliakos in den Athener Stadtrat gewählt; die Hauptslogans seiner Kampagne lauteten „Für ein sauberes Land“ und „Ausländer raus aus Griechenland“. Die Parteimitglieder wurden als „Bürgerwehr“ gegen illegale Einwanderer, die angeblich griechische Bürger in abgewohnten städtischen Bezirken bedrohten, präsentiert. Anfang 2012 führte die fremdenfeindliche Rhetorik der Goldenen Morgendämmerung zu einem Anstieg ihrer Popularität. Ihre Mitglieder forderten „Griechenland den Griechen“, gaben nur jenen Armen Essen, die ihr „Griechentum“ durch einen Ausweis belegen konnten, und kündigten an, dass sie „nur für Griechen“ Blut spenden würden. Die Abgeordneten der Goldenen Morgendämmerung haben ihre rassistische, antisemitische Hetze im griechischen Parlament offen fortgesetzt, als Parteisprecher Ilias Kasidiaris das „Protokoll 19“ aus Die Protokolle der Weisen von Zion vorlas und eine andere Abgeordnete, Eleni Zaroulia, Migranten als „subhuman“ bezeichnete. Die Zahlen zeigen die grausame Realität: Im Zeitraum Jänner–Dezember 2012 wurden dem Netzwerk zur Aufzeichnung rassistischer Gewalt 154 Fälle bekannt, 151 von ihnen gegen Flüchtlinge und Migranten und 3 gegen europäische Staatsbürger.

Zu einer Orwell´schen Realität

Man mag sich fragen, welche Rolle die griechische Polizei in dieser Entwicklung spielt. Nach den Wahlen im Sommer erreichte die Goldene Morgendämmerung in der Polizei bis zu 50 % Zustimmung. Die politische Führung zeigte sich unwissend und überrascht, tolerierte aber die faschistischen Tendenzen innerhalb der griechischen Polizei und die Übernahme der Taktik der Goldenen Morgendämmerung durch viele Polizisten.

Am 30. September 2012 fuhr eine Gruppe Antifaschisten auf Motorrädern in das Zentrum von Athen, um gegen die Goldene Morgendämmerung zu demonstrieren und Solidarität mit den dort lebenden Migranten zu zeigen. Zusammenstöße mit den Schlägertrupps der Goldenen Morgendämmerung riefen die Polizei auf den Plan, die 23 Antifaschisten und zwei Mitglieder der Goldenen Morgendämmerung verhaftete. Während die Mitglieder der Goldenen Morgendämmerung entlassen wurden, brachte man die antifaschistischen Demonstranten auf die Polizeigeneraldirektion, wo sie brutal gefoltert wurden. Die britische Zeitung The Guardian berichtete über den Zwischenfall, worauf der Minister für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, ankündigte, die Zeitung klagen zu wollen. Der griechische Premierminister Antonis Samaras und Dendias befahlen gemeinsam einen Polizeieinsatz gegen die älteste und aktivste Anarchistengruppe Athens, Villa Amalias, und 40 weitere anarchistische und linke Gruppen im ganzen Land, die Samaras als „Zentren der Gesetzlosigkeit“ bezeichnete. Villa Amalias ist nicht nur eine der ältesten Gruppen, das Besondere an ihr ist auch ihr Standort in einer Gegend Athens, in der viele Immigranten wohnen. Durch ihre sozialen Aktivitäten, die Einheimische und Zuwanderer zusammenbrachten, war die Villa Amalias eines der Bollwerke gegen die Ausbreitung der Goldenen Morgendämmerung. Die Villa Amalias wurde ebenso geschlossen wie im April 2013 das Informationsnetz Athens Indymedia, das seine Stimme gegen Drohungen gegenüber Journalisten erheben wollte. Außerdem sind Folter und Gewalt gegen Migranten, Antifaschisten und junge Menschen, die als Terroristen bezeichnet und verhaftet werden, im Polizeibetrieb im heutigen Griechenland auf der Tagesordnung, während eine apathische Öffentlichkeit dem Blutvergießen im Fernsehen zuschaut. In Griechenland, wo sozialer Ausschluss, Massenarbeitslosigkeit, Rassismus, Antisemitismus und Not im Zunehmen begriffen sind, hat die Krise eine andere Dimension: humanitär, sozial, politisch, institutionell und finanziell. In einem Land mit gewaltsamer Repression, wo die Polizei offen mit den Neonazis gegen die „Feinde“, wie Migranten, Homosexuelle, Juden, Anarchisten und Linke, zusammenarbeitet, besorgen die führenden Medien das Geschäft der Finanz- und Politeliten, verbreiten Angst vor den „Anderen“ und rechtfertigen damit indirekt die Schüsse gegen die neuen Sklaven aus Bangladesh in Manolada. In seinem Buch Ist das ein Mensch meint Primo Levi: „Ein Land wird als um so zivilisierter angesehen, je mehr Weisheit und Tauglichkeit seiner Gesetze verhindern, dass die Schwachen zu schwach und die Mächtigen zu stark werden.“ In Griechenland, wo im dritten Memorandum der griechischen Regierung und der Troika (IWF, EZB, EU) Bürgerrechte missachtet werden und politische Scheinheiligkeit vorherrscht, werden die Begriffe Zivilisation und Demokratie vergessen. Sie gehören zur „ruhmreichen“ Vergangenheit des Landes.

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