Geschichte sichtbar gemacht – Paul Sternfeld

geboren 1919 in Wien, 1939 in die USA ausgewandert, war Anfang August zum vierten Mal seit seiner Vertreibung auf Wien-Besuch. Die erste Reise in die alte Heimat 1965 habe noch sehr „gemischte“ Gefühle ausgelöst, erzählte Sternfeld im Gespräch mit NU. Heute freue er sich einfach, wieder einmal in Wien zu sein.
Von Alexia Weiss

Bei diesem Wien-Besuch ist auch alles ein bisschen anders. Denn Paul Sternfeld und seine Frau Edith sind auf Einladung der Grünen (sowie mit Unterstützung des Jewish Welcome Service) nach Österreich geflogen. In der Oppositionspartei kam in den vergangenen Monaten der Verdacht auf, dass die Parteizentrale in der Lindengasse in einem ehemals „arisierten“ Haus untergebracht ist, und man beauftragte die Historikerin Tina Walzer mit einer genaueren Recherche. Der Verdacht bestätigte sich – mit einer kleinen Ausstellung zur Geschichte des „Grünen Hauses“ sowie einer Gedenktafel wollen die Grünen nun Geschichte sichtbar machen, wie Albert Steinhauser, der Landessprecher der Wiener Grünen, bei der Enthüllung der Tafel betonte. Das 1857 erbaute Haus Lindengasse 40 wurde 1936 von Albert Pollak, Generaldirektor der Allgemeinen Wollhandels-AG, erworben. Das Haus war eine von vier Immobilien, die der unverheiratete Kunstsammler besaß, neben dem Haus in Neubau zwei weitere Zinshäuser sowie eine Villa in der Hinterbrühl. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verlor Pollak nicht nur seine Immobilien, sondern auch seine Kunstsammlung. Der klassische Enteignungsvorgang erfolgte über die Vermögensanmeldung, die Begleichung der Reichsfluchtsteuer sowie schließlich 1940 mit der Einziehung des Vermögens durch die Gestapo, die Pollak „volks- und staatsfeindliche Bestrebungen“ vorwarf. Damit war die gänzliche Enteigung besiegelt. Pollak gelang es, nach Holland zu emigrieren, wo er 1943 65-jährig unter nicht bekannten Umständen starb. Auch die Versuche der Familie Pollaks (Albert Pollak hatte zwar keine Kinder, wohl jedoch vier Geschwister. Zwei Schwestern, ein Bruder sowie eine Nichte und ein Neffe überlebten die Shoah), Rückstellungsansprüche geltend zu machen, sind ein weiteres Musterbeispiel für den Umgang des Nachkriegs-Österreich mit Restitutions-Forderungen. Zwar erkannte die Finanzlandesdirektion bereits 1947 den Anspruch auf Rückstellung des entzogenen Vermögens als gerechtfertigt an. Doch Wien erhob Einspruch und der Bescheid wurde aufgehoben. Die Begründung: Die Reichsfluchtsteuer sei „keine diskriminierende Abgabe“ gewesen – schließlich sei sie „jedem auferlegt worden, der das Reich verließ“. Die Familie musste also ein neues Verfahren vor der Rückstellungskommission des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien anstrengen. Das Verfahren endete 1948 mit einem Vergleich, die Immobilien wurden rückgestellt, zwei Jahre später das Haus Lindengasse 40 verkauft. Heute ist die Immobilie im Besitz der Uniqa Versicherung, die Grünen sind seit 1992 Mieter. Verfahren zur Rückstellung von Kunstobjekten noch anhängig In Sachen Kunstsammlung machte die Familie noch schlechtere Erfahrungen. Einerseits blieb ein Teil der Objekte nach 1945 verschwunden und konnte daher nicht zurückgestellt werden. Andere Kunstgegenstände wiederum mussten die Erben Museen schenken, um die Bewilligung zur Ausfuhr der rückgestellten Kunstwerke aus Österreich zu erlangen – unter den in Österreich verbliebenen Objekten befand sich auch ein Gemälde von Rudolf von Alt („Landhaushof in Graz“). Verfahren zur Rückstellung dieser Objekte nach dem Kunstrestitutionsgesetz von 1998 sind immer noch anhängig. Paul Sternfeld, der heute in Chicago lebt, ist der nächste noch lebende Verwandte Albert Pollaks, den die Grünen mit Hilfe der Anlaufstelle der Israelitischen Kultusgemeinde ausfindig machen konnten. Sternfeld, obwohl weit jenseits der 80 Jahre äußerst rüstig und lebensfroh, zeigte sich bei der Gedenkfeier, der u.a. auch der israelische Botschafter in Österreich, Dan Ashbel, beiwohnte, angesichts des Engagements der Grünen sichtlich gerührt. Und: Verbitterung will bei ihm trotz des noch anhängigen Restitutionsverfahrens so gar keine aufkommen. Er habe Glück gehabt, sagt Sternfeld. Sein Bruder, der als Arzt als erster aus der engeren Familie ein Affidavit für die Einreise in die USA bekam, seine Eltern und er selbst hätten Wien rechtzeitig verlassen können. Den 9. November 1938 habe er überlebt, weil der Hauswart, der Mitglied der SA gewesen sei, ihn an diesem Abend in seine Wohnung eingeladen habe. Gehsteig schrubben und Kohle schaufeln Doch auch Sternfeld, der immer noch ausgezeichnet Deutsch spricht, wenn auch mit amerikanischem Akzent, hat bis zu seiner Ausreise 1939 nicht nur schützende Hände über seiner Existenz gespürt. „Natürlich mussten auch wir den Gehsteig mit Zahnbürsten säubern, Kohle schaufeln, Holz hacken.“ Seinen Arbeitsplatz habe er sofort nach dem „Anschluss“ verloren, der Betrieb wurde gesperrt. An Herrn Kollmann, seinen damaligen Arbeitgeber, erinnere heute eine Tafel im Stadttempel, so Sternfeld. Und auch sein Vater, der am Salzgries einen Textilhandel betrieb, wurde gezwungen, seine Firma aufzugeben. Das Affidavit, um in die USA auswandern zu können, verdankte Sternfeld übrigens der Hakoah. Und zwar natürlich nicht der Wiener Hakoah, der Sternfeld auch nicht angehörte, sondern jener in Chicago. Der dortige Fußballklub verbürgte sich für den Hobby-Kicker. Sternfeld dankte seiner neuen Heimat u.a. mit dem Dienst in der Armee. Ab 1943 kämpfte er in Nordafrika sowie Italien. 1946 beendete er seine Soldaten-Laufbahn. Sternfeld, der in Wien eine technische Ausbildung absolviert hatte, arbeitete in den USA vor seiner Pensionierung zwanzig Jahre lang in einer Spielzeugfabrik, zuletzt als Betriebsleiter. Seine jetzige Frau Edith, sie stammt aus dem deutschen Solingen, heiratete Sternfeld vor 28 Jahren. Die beiden kannten einander seit den 1940er Jahren in den USA, damals beide noch mit anderen Partnern verheiratet. Insgesamt vier Einwanderer-Ehepaare bildeten über Jahrzehnte eine fröhliche Runde, bis sowohl Pauls Frau als auch Ediths Mann verstarben. Heute sind sie vor allem damit beschäftigt, ihre insgesamt sieben Kinder sowie 14 Enkelkinder, die in den USA verstreut leben, zu besuchen. Und den Winter verbringt das Ehepaar Sternfeld jedes Jahr in Florida. Dieses Jahr gönnten sich die beiden auch eine Sommerfrische. Nach dem Wien-Aufenthalt mit der Enthüllung der Gedenktafel am Grünen Haus brachen die Sternfelds nach Bad Gastein auf. Paul Sternfeld hat seinen Vorfahren Albert Pollak übrigens nie persönlich kennen gelernt, dafür aber umso besser in Erzählungen von dessen Nichte Stella, die nach London emigrieren konnte. Auch Stellas Schicksal gleicht dem vieler anderer Emigranten. Sternfeld: „In Wien war sie eine Society-Dame, nach London kam sie als domestic.“

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