Gelbe Sterne ueber dem Heldenplatz

Österrreichische Schüler geben Shoah-Opfern ihre Identität zurück. Und senden eine persönliche Botschaft an jedes von ihnen.
Von Peter Menasse

Am 13. März 1938 begrüßte am Heldenplatz zu Wien eine jubelnde Menschenmenge Adolf Hitlers Einmarsch. Das Bild dieser glücklichen, lachenden, winkenden Österreicher macht ein Stück Vergangenheit in unseren Köpfen aus. Wir lassen es auftauchen und die Gedanken wandern wie von selbst zu den weiteren Bildern der Geschichte. Wir sehen brennenden Synagogen, wir sehen gedemütigte, schließlich brennende Menschen. Der Heldenplatz 1938 ist zu einem Teil von Österreich geworden. Symbol für Ve rführung und Unrecht. Symbol für eine Raserei, die 65.000 Österreicher zu Tode gebracht hat.

Nur zwei Monate später am 20. Mai 1938 wurde der zynische Rahmen für den Mord geschaffen – die Nürnberger Rassegesetze traten in Kraft. 65 Jahre danach, am 20. Mai 2002 soll ein anderes Bild des Heldenplatzes entstehen und beitragen, das alte zu überblenden.

Zwei österreichische Journalisten wollen mit Hilfe von 65.000 österreichischen Schülerinnen und Schülern 65.000 Briefe an die Toten senden. „A letter to the stars“ – ein Brief zu den Sternen heißt das ehrgeizige Projekt von Andreas Kuba und Josef Neumayr mit ihrem eigens gegründeten Verein „Zur Aufarbeitung von Zeitgeschichte“.

Am Beginn wird die Recherche-Arbeit von österreichischen Schülern im Alter von 13 bis 19 Jahren stehen. Auf einer soeben in Aufbau befindlichen Internet-Plattform finden sie eine Liste aller Opfer der Shoah. (Ab 15. November 2002 sollte www.a-letter-to-the-stars.at erste Informationen enthalten). Die Schüler wählen dort ein Shoah-Opfer aus, das in ihrer Region, ihrem Bezirk, ihrer Stadt oder ihrem Dorf gelebt hat. Mit Hilfe ihrer Lehrer und der speziell geschulten Historiker aus dem Zeitgeschichte-Verein erforschen die jungen Leute im Rahmen einer „Projektwoche“ die einzelnen Schicksale. Durch „Ausgraben“ alter Dokumente, über Fotos und Briefe entsteht ein persönliches Bild, das jedem Opfer seine individuelle Lebensgeschichte wiedergibt. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust hilft ein Archiv zu schaffen, in dem 65.000 Lebensgeschichten dokumentiert sind. Und wird so auch zum größten historischen Forschungsprojekt, das je von österreichischen Schülern erarbeitet wurde.

Am Ende der Projektwoche verfasst jeder Schüler eine Botschaft an den Menschen, den er jetzt so intensiv und individuell kennen gelernt hat. Eine Zeichnung, ein Brief, eine Fotomontage entsteht – „a letter to the stars“.

In der Erinnerung eines Überlebenden an das KZ heißt es: „Ich habe so viele von ihnen gesehen. Die Juden etwa, auf ihrem letzten We g mit den gelben Sternen, die sie tragen mussten. Und dann, tot, in der Nacht, als gelbe Sterne am Himmel“.

Am 20. Mai 2003 tre ffen sich die Schüler am Heldenplatz. Jeder von ihnen hat einen weißen Luftballon an der Hand. Daran hängt ihr persönlicher Abschiedsgruß an jenen Menschen, für dessen individuelle Würde sie gearbeitet haben. Die Luftballone steigen gleichzeitig auf, hin zu den gelben Sternen am Himmel. Wer die Geschichte erfasst hat, kann loslassen. Das neue Bild des Heldenplatzes ist eines der ernsthaften Aufarbeitung und eines der Zukunft.

Rund um den symbolischen Gruß an die Opfer soll eine Veranstaltung stattfinden. Den ganzen Nachmittag und Abend des 13. März hindurch werden die Namen aller österreichischen Opfer auf das Halbrund der Hofburg projiziert. Szenen aus Interviews mit österreichischen Holocaust-Opfern werden eingespielt. Die von Steven Spielberg eingerichtete „Survivors of the Shoah Visual History Foundation“ verfügt über 1.700 derartiger Berichte. Und die alten Bilder werden zu sehen sein: Die jubelnde Menschenmenge am Heldenplatz des Jahres 1938. Einige wenige Redner werden von mehre ren Bühnen kurz zum Thema sprechen.

Steven Spielberg ist eingeladen, Simon Wiesenthal soll eine Botschaft senden und die Schriftstellerin Elfriede Gerstl, die als Kind in einem Versteck in Wien die Naziherrschaft überlebt hat, wird auftreten. Als einziger Politiker wird Bundespräsident Thomas Klestil eine Rede halten.

Noch aber ist die Durchführung des Projekts nicht gesichert. Zwar gibt es eine Zusage des Unterrichtsministeriums, das die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen wird, um die Projekt-Arbeit der Schüler und Lehrer zu e rmöglichen. Aber die Finanzierung des Unternehmens muss erst gesichert werden.

Der prominente Journalist Alfred Wo rm wird die beiden Betreibern Kuba und Neumayr jetzt durch die Einrichtung eines „board of excellence“ unterstützen. Prominente Bürger sollen für diesen Beirat gewonnen werden und auch helfen, Sponsorengelder aufzutreiben. We n n alles gut läuft, werden am 20. Mai des nächsten Jahres 65.000 Luftballone aus dem „Platz der Helden“ einen „Platz der Hoffnung“ machen.

Möge die Übung gelingen.

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