„Geht wählen!“

Der Wahlkampf um den Kultusgemeinderat erlebte seinen ersten Höhepunkt. Die WIZO (Women’s International Zionist Organization) lud alle wahlwerbenden Parteien auf ein Podium. NU hat die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion zum Nachlesen zusammengefasst.
Von Barbara Tóth

„Unsere Diskussionskultur ist bekanntlich sehr hitzig, deshalb gibt es ein paar Spielregeln“, mit diesen launigen Worten eröffnete Sharon Nuni die WIZO-Diskussion am 31. Mai im WIZO-Zentrum. Wizo hat alle Kultusvorsteher und die beiden neuen wahlwerbenden Fraktionen zu einer Wahldiskussion eingeladen. Die Spielregeln lauteten: beschränkte Redezeit (maximal zwei Minuten pro Antwort) sowie eine Art Abmahnton, sollte einer der Diskutanten – Frauen waren nicht am Podium – ausfällig werden. Für alle, die nicht dabei sein konnten, hat NU die wichtigsten Passagen zum Nachlesen zusammengefasst.

Wer sind Sie und warum treten Sie an?

Rafael Schwarz (ATID): Ich bin Auktionator im Dorotheum. Ich hoffe, dass alle, die hier sitzen, sich für die IKG interessieren und nicht nur für den IKG-Wahlkampf.

Robert Sperling (Bund Sozialdemokratischer Juden): Ich arbeite seit zweieinhalb Jahrzehnten im ORF. Wir sind das Gewissen der IKG – sowohl sozial als auch politisch.

Martin Engelberg (Chaj): Ich bin Psychoanalytiker, Consultant. Unser Name ist Programm. Wir wollen mehr Leben, mehr Gemeinschaft in unserer Gemeinde schaffen. Und wir wollen eine Öffnung, keine Wagenburgmentalität.

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Ich bin seit über 40 Jahren Stahlhändler. Wir wollen einen respektvollen, offenen und ehrlichen Umgang in der IKG, damit alle Juden ihr Interesse wiedergewinnen. Unsere Experten wollen unser Wissen einbringen, damit die IKG ihren Bestand durch wirtschaftlich nachhaltige Konsolidierung absichern kann.

Janki Grünberger (Misrachi): Ich bin glücklich verheiratet und habe vier Kinder und bin im IT-Bereich tätig. Für uns ist ein Engagement in allen Bereichen der Gemeinde wichtig, zur Stärkung des jüdischen Selbstverständnisses und zur Unterstützung des Staates Israel.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Ich sehe mich nicht als Vertreter einer Fraktion, sondern als Mitglied der IKG. Ich bin seit vier Jahren Kultusvorsteher. Ich leite ein Institut für ästhetische Behandlungen. Gemeinsam statt einsam, das ist unser Motto.

Wie religiös, wie fromm muss die IKG sein?

Rafael Schwarz (ATID): Die IKG soll das Judentum zeigen. Für die einen ist es etwas Religiöses, für andere ist es Kultur, eine Zweckgemeinschaft, Israel, die Musik, die Kunst. Judentum ist für mich weit viel mehr als eine Religion. Vor der Thora waren wir ein Volk. Jeder definiert sich, wie er will. Ich bin froh, dass es die Einheitsgemeinde gibt. Liberale Juden – mostly welcome!

Robert Sperling (Bund Sozialdemokratischer Juden): Wie jüdisch ist die IKG? Die politische Antwort lautet: Die IKG Wien ist die Vertretung aller Juden in Wien. Die religiöse Antwort lautet: Der Boden ist das Wort des Oberrabbiners. Der Bund bekennt sich zur Einheitsgemeinde, aber nicht um den Preis der Erpressung oder anderer Dinge.

Martin Engelberg (Chaj): Das funktionierende, religiöse Leben halten wir für den Kern einer Gemeinde, davon profitieren wir alle. Chaj symbolisiert das ganze Spektrum: ganz orthodoxe bis hin zu ganz agnostischen. Wir zeigen, dass das funktioniert, so sollte es auch in der Gemeinde sein. Wir sollten allen eine Heimat geben, und diese Offenheit vermisse ich immer wieder. Stichwort Einheitsgemeinde. Es ist schade, dass sich Or Chadash genötigt gefühlt hat, eine eigene Gemeinde zu gründen. Wir sollten den Status quo wieder herstellen.

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Die Kultusgemeinde hat per Statut die Verpflichtung, alle religiösen Strömungen zu unterstützen. Auch wir sind für die politische Einheitsgemeinde und stehen hinter dem Beschluss, dass das Rabbinat entscheidet, wer Jude ist. Wichtig ist uns aber die gelebte Einheitsgemeinde. Es gibt eine große Trennung im kulturellen Zusammenleben zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden. Diese sollten wir überwinden.

Janki Grünberger (Misrachi): Auch die Misrachi steht zur Einheitsgemeinde, wichtig ist, dass das Judentum gestärkt wird – durch Religion, durch Vereine, durch Sport. Es gibt viele Wege in die Gemeinde.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Die Einheitsgemeinde ist ein schönes Wort, aber wie vereint sind wir? Es gibt Juden aus Ungarn, Rumänien, Russland – uns vereint vor allem der Glaube. Mehr vereinen wird es uns, wenn wir uns in Zukunft zusammensetzen und die Probleme der Zukunft diskutieren. Die Überalterung etwa.

Wie weit sollen wir Juden an die Öffentlichkeit gehen?

 

Martin Engelberg (Chaj): Wir haben nicht die Wahl, ob wir öffentlich sind oder nicht, wir sind es. Ich finde das gut so, wir sollten das für uns nützen. Wir können eine kräftige Stimme in der österreichischen Öffentlichkeit haben. Aber wir müssen nicht immer alles kommentieren. Die Debatte um Norbert Darabos ist ein gutes Beispiel. Das Statement war unglücklich. Am Ende ist Darabos der Held der Woche in „News“ und unser Präsident der Dolm im „Falter“.

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Wir sind vom Ehrenpräsidenten massiv angegriffen worden, dass wir über Facebook kommunizieren. Inzwischen gibt es eine ATID-Umfrage, dass 75 Prozent auch die Kultusgemeinde auf Facebook wollen. Gewisse Vorgänge im Plenum würde ich der Öffentlichkeit heute lieber noch vorenthalten. Respektvoller Umgang, Offenheit und Transparenz ist uns ein ganz großes Anliegen. In der österreichischen Öffentlichkeit müssen wir uns zu Wort melden, nicht nur zu Rechtsextremismus, sondern beispielsweise auch zum immer stärkeren Immigrationsdruck aus Ungarn.

Janki Grünberger (Misrachi): Wenn es um Israel geht, müssen wir uns zu Wort melden. Etwas anderes sind interne Themen. Es gibt Leute, die warten nur darauf, etwas aufzuschnappen. Internet ist natürlich cool, vieles kann man auch halböffentlich machen.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Wir sind wie eine Familie. Das Schlechte behält man zu Hause, das Gute kommuniziert man nach außen.

Rafael Schwarz (ATID): Dass Darabos der Held der Woche ist, liegt nicht am Ossi. Welcome to Austria! Wer Israel hier kritisiert, wird zum Helden. Am liebsten würde ich den IKG-Wahlkampf aus den Medien heraushalten, wenn ich das Wort schon höre, stößt es mir auf. Die wollen Juden streiten sehen. Die lachen sich ins Fäustchen. Das ist schrecklich. Wir sollten in solchen Runden weitermachen, nicht im „News“.

Robert Sperling (Bund Sozialdemokratischer Juden): Wenigstens kommt jetzt ein bisschen Farbe in die Diskussion. In den letzten Jahren wurden Standards bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit gesetzt, da können wir nie wieder zurück, egal, wie der Präsident heißen wird.

Eine ganze Generation junger Juden fühlt sich nicht angesprochen, von der Kultusgemeinde, von den Wahlen. Was tun?

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Ich bin seit zehn Jahren in der Kontrollkommission und habe schreckliche Dinge erlebt. Ich kann verstehen, dass sich eine ganze Generation davon fernhalten will. Aber es steht ein Generationswechsel steht an. Wir müssen sehr aktiv werden, über Projekte. Bei den Schulen gibt es einen klaren Bedarf für eine Schule für säkuläre Juden und orthodoxen Juden fehlt die Möglichkeit, ihre Matura und ein Studium zu ergreifen.

Janki Grünberger (Misrachi): Ich muss unsere Jugend in Schutz nehmen, sie machen sehr viel. Sie sitzen eben nicht gerne in Parteien, aber sie machen gerne Initiativen, Events, Partys, Sport. Vielleicht muss das die Richtung sein.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Das Wichtigste ist, die Trennung zwischen Sephardim und Aschkenasen zu überwinden. Das passiert in der jüngeren Generation, deswegen bin ich zuversichtlich.

Rafael Schwarz (ATID): Ich frage mich auch oft, wozu brauche ich die IKG? Mir geht es gut, ich brauche sie nicht. Aber es gibt diese Momente, Freunde, die zu Esra gehen, ein junges Mädchen, das ihre Bat Mitzwa bekommt – das ist wichtig.

Robert Sperling (Bund Sozialdemokratischer Juden): Sich zum Jugendprogramm zu bekennen, gehört zu den Wahlkampfphrasen. Für uns nicht. Die Jugendkommission hat sich ein eigenes Statut gegeben – auf unsere Forderung hin. Junge Menschen, die zur Ausbildung zu uns kommen, müssen hier bleiben können. Und wir brauchen ein Jugendwahlrecht ab 16 Jahren in der Kultusgemeinde.

Martin Engelberg (Chaj): Ich will kurz auf Rafael eingehen: Ich habe eine jüdische Jugendorganisation begründet, ich war vor dreißig Jahren im Club 2. Ich würde sehr gerne mit Ossi Deutsch eine Diskussion führen, er ist heute nicht da, ich hoffe sehr, dass es dazu noch kommt. Die IKG hat 63.750 Euro für alle Jugendorganisationen zur Verfügung gestellt, das sind 0,6 Prozent des gesamten Budgets. Das ist eines der ärgsten Versäumnisse, das ist unsere zentrale Aufgabe. Wir müssen Subventionen erhöhen und Hindernisse aus dem Weg räumen.

Publikumsfrage an Martin Engelberg: Wo sehen Sie Ihr Kerntätigkeitsfeld?

Martin Engelberg (Chaj): Ich bin 1985 das erste Mal im Kultusvorstand gewesen, ich fühle mich in allen Kommissionen wohl. Ich habe die Kultur geleitet, ich habe in der Öffentlichkeitsarbeit mitgearbeitet. Ich halte die Finanzkommission für ganz wichtig, dort gehört Transparenz geschaffen und ein Kassasturz gemacht.

Wie halten Sie es mit der Transparenz in Ihrem eigenen Wahlkampf? Wie finanzieren Sie sich?

Martin Engelberg (Chaj): Sehr einfach. Es gibt ausschließlich jüdische Personen, die uns unterstützen, im Wesentlichen sind wir das selber. Ich würde nie Geld von der Leopold-Stiftung annehmen, um das ausdrücklich festzuhalten. Problematischer finde ich, dass die Kultusgemeinde eine Flut an Veranstaltungen entwickelt hat, und dann erscheint eine ATID-Zeitung, die dieselben bejubelt. Wer hat das bezahlt?

Robert Sperling (Bund Sozialdemokratischer Juden): Dieses Hickhack zwischen dem Herausforderer und dem Verteidiger ist seltsam. Wichtiger wäre es, sich dem Thema Soziales zu widmen. Es macht einen Unterschied, ob der Mitgliedsbeitrag 120 oder 180 Euro kostet. Ob die Tempelkarte 200 oder 300 Euro kostet. Oder der Kindergartenplatz. Dieser zentralen Frage müssen wir uns stellen, ein Bewusstsein dafür schaffen.

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Die Frage wird sein, ob wir die Sozialbudgets dramatisch erhöhen werden müssen. Wer weiß, ob wir nicht eine Flüchtlingswelle aus Ungarn haben werden? Wir werden uns neu aufstellen müssen. Ganz grundsätzlich. Unser Wahlkampf ist rein persönlich finanziert. Ehrenamtlich.

Janki Grünberger (Misrachi): Auch unser Wahlkampf wird ehrenamtlich geführt.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Wir betreiben keinen Wahlkampf, wir haben kein Budget.

Rafael Schwarz (ATID): Wer sponsert uns? Natürlich Ariel Muzicant – er ist reich – und andere aus unserem Team. Es gibt keine Angestellten. Deswegen sitze ich hier, ich wollte herkommen, auch wenn ich dafür kritisiert wurde. Ich will auch gewählt werden. Nicht Ossi wollte nicht herkommen. Wir sind ein echtes Team, wir entscheiden gemeinsam, das war unter Ari anders, ich sage es ehrlich. Wir haben die meisten Jugendlichen, den größten Frauenanteil. Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Wir haben 4000 Leute in den Stadttempel gebracht, Juden und Nichtjuden. Das hat vorher nur Danielle (Spera) bei der Eröffnung des Museums geschafft. Das ist die richtige Art von Öffentlichkeitsarbeit.

Vor der Wahl ist nach der Wahl. Was machen Sie, wenn Sie nicht gewinnen?

Martin Engelberg (Chaj): Ich will Präsident werden. Wenn nicht, bleibe ich im Kultusvorstand und werde mich mit aller Kraft einbringen. Ich kann mir auch vorstellen, als Vizepräsident mit Ossi Deutsch zu arbeiten oder umgekehrt. Als Dream-Team.

Janki Grünberger (Misrachi): Wer auch immer Präsident wird, wir arbeiten mit.

Chanan Babacsayv (Sephardim/Bucharen): Weg vom Wahlkampf, hin zur Gemeinsamkeit, das ist mein Motto.

Janki Grünberger (Misrachi): Geht wählen!

Amos Davidovits (Initiative Respekt): Wenn wir ausreichend Mandatsstärke bekommen, werden Respekt und Transparenz neue Kriterien in der Gemeindearbeit sein.

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