Gefilte Fischer – „Momentan bin ich vor allem Präsident“

Wenige Wochen nach dem Abgang von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer waren wir unterwegs mit dem amtierenden Präsidenten der European Union of Jewish Students, Benny Fischer. Im Haus des Meeres und auf dem Wiener Naschmarkt erzählte er Samuel Mago und David Borochov von seinem Amt, von jüdischer Identität und Jeckentum.
FOTOS: MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER

 

Als Präsident der European Union of Jewish Students (EUJS) ist man viel unterwegs. Vor einigen Tagen noch in New York, Tel Aviv und Brüssel, schenkt uns Benny Fischer zwischen zwei Konferenzen einige Stunden seiner Zeit. Das Angebot eines Besuchs im Haus des Meeres im Wiener Esterhazypark kann man sich schließlich nicht entgehen lassen – schon gar nicht als Fischer. Doch schon in der Eingangshalle zeigt sich der junge Präsident tierlieb, krempelt die Ärmel seines Sakkos hoch und beginnt die Koi-Karpfen zu streicheln. Aus dem Fischen wird jedoch nichts. Dabei wären die sogar koischer.

Vom Fischer zum Präsidenten

Benny wurde in Hamburg geboren und wuchs in Berlin in einem sehr religiösen Haushalt auf. Er engagierte sich schon früh in jüdischen Jugendorganisationen und machte sein Abitur an einer jüdischen Oberschule. Mit der religiösen Phase sei es für ihn mit 17 Jahren dann vorbei gewesen. Er habe immer das Pluralistische gesucht und Wert darauf gelegt, nicht nur in der jüdischen Blase zu sein, meint er. Wir fragen ihn, was er als Kind einmal werden wollte. „Mein Opa hat mir einmal gesagt, ich soll Bankdirektor werden. In Retrospektive war das ziemlich lustig, weil das mein nichtjüdischer Opa war. Ich war tatsächlich immer gut in Mathe, aber an so Investment-Zeug habe ich keinen Spaß. Ich hatte immer Spaß an der Arbeit mit Menschen, mit Menschen zu sprechen und vor Menschen zu stehen.“ Wir bleiben vor einem Aquarium stehen, in dem ein Europäischer Hecht schwimmt – wie passend.

Mit einem Stipendium des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES) studierte Benny zunächst in Hamburg an der Bucerius Law School. „Das Studium ist sehr intensiv und ein Leben an der Uni ist komplett auf das Studium ausgerichtet. Ich hatte einfach nicht genug Spaß an Jura, wollte mir keine Gedanken über meine Karriere machen und habe lieber auf den Putz gehauen.“ Schon damals hatte er einen Hang zu großen Fischen – so erzählt er uns, wie er unfreiwillig die deutsche Kanzlerin traf: „In meinem zweiten Semester wurde ich zum Maskottchen meiner Uni ernannt, zum Butzemann. Ich musste bei einem Sportfest in einem weißen Frack mit viel zu großen Schuhen und einem Zylinderhut unser Sportteam anfeuern. Ich stehe also da, und plötzlich kommt ein Polizist und meint, dass jetzt die Wiese abgesperrt wird, weil gleich ein Hubschrauber von der Luftwaffe hier landet. Und es war klar, das ist entweder die Kanzlerin oder der Innenminister. Ich habe mir gedacht, okay, bauen wir die 400 betrunkenen Studenten auf, ich nehme mein Megaphon und wir begrüßen die Kanzlerin, egal ob sie kommt oder nicht. Und dann landet ein riesiger Hubschrauber von der Luftwaffe, überall sind Autos, ich heize die Menge richtig an: „Angela Merkel, wir singen Angela Merkel…“, und alle rasten aus. Plötzlich kommt sie dann zu uns. Ich hatte an meinem gebrochenen Ellenbogen eine Jägermeisterflasche montiert und ich merkte, ich hab da jetzt echt einen angetrunken. Ich bin in diesem doofen Kostüm, hab ein Megaphon in der Hand, kaum eine Stimme und jetzt kommt die Kanzlerin. Ich gehe natürlich total selbstbewusst auf sie zu. Im letzten Moment reißt mir jemand aus dem Team mit einem Taschenmesser gerade noch diese Jägermeisterflasche vom Gips. Und dann hatte ich ein kleines Intermezzo mit der Kanzlerin. Ich bin echt nicht repräsentativ für diese Uni, weil ich alles falsch gemacht habe, was man hätte falsch machen können. Ich habe die Kanzlerin seitdem noch zweimal getroffen. Hat sich, glaube ich, aber nicht mehr an mich erinnert …“, lacht er. Recht bald danach wechselte er von Jura zur Politikwissenschaft. Bis er schließlich für das Präsidentenamt kandidierte.

Gib mir keinen Fisch, lehre mich das Fischen

Die Stimme aus den Lautsprechern fordert uns auf, das Haus des Meeres zu verlassen. Wir schleichen uns an den Schlangen vorbei, gehen die Stiegen hinunter und die Joanelligasse zum Naschmarkt entlang. Benny erzählt uns, er habe sich für die Kandidatur entschieden, weil er eine Organisation leiten wollte, mit der man tatsächlich etwas bewegen kann. „Der Grundgedanke der Jüdischen Studentenunion ist einfach: Weil wir der Meinung sind, dass viele Gemeinden jungen Menschen nicht die Möglichkeit der Partizipation geben, aber auch kein passendes Programm, machen wir es einfach selber, Stichwort Empowerment. Alles, was wir tun, ist von Studierenden für Studierende. Und das geht auf lokaler Ebene genauso wie auf internationaler. Unsere österreichische Mitgliedsorganisation heißt JÖH. Die sind ziemlich cool, und da kann man sich einbringen, sozial wie politisch. Und dann kann man sich auch direkt bei uns einbringen. Wir bieten etwa Seminare und Programme über das Jahr verteilt an, mit dem Ziel, Themen anzusprechen, die auf lokaler Ebene nicht angesprochen werden. Man folgt dem Gedanken des Youth Empowerment, und das brauchen die Gemeinden in Europa. Dieses konservative, männlich dominierte Leadership ist langweilig und spricht nicht in unserem Namen.“

Bei jüdischem Aktivismus ginge es nicht nur um jüdische Rechte, sondern um Menschenrechte, erklärt uns der 25-Jährige. „Unsere Arbeit ist nicht nur beschränkt auf Kampf gegen Antisemitismus. Wir möchten eine positive jüdische Identität fördern, die heterogen ist, multidimensional und kritisch.“ In diesem Sinne war es Benny stets wichtig, mit anderen Minderheiten zu sprechen und zu arbeiten: „Du musst aufhören, nur mit Juden zu sprechen und dich anderen Communitys öffnen. Weil ich nicht nur Jude bin, oder Berliner, oder Deutscher, sondern auch Europäer, und weil ich mich als solcher dazu verpflichtet fühle, über die Grenzen meiner eigenen Gemeinde hinauszublicken und auch für andere Gemeinden aufzustehen, wenn ich meine eigenen Rechte 17 3 | 2016 einfordere. Das heißt, man arbeitet mit der Roma-Community, mit der armenischen Community zusammen, um dem ethnischen Nationalismus zu entgegnen. Man sagt, Juden und Roma und Armenier seien auch Teil der europäischen Gemeinschaft. Nein! Sie haben die europäische Gemeinschaft mitgestaltet und mitaufgebaut. Und wenn du in der Schule über das Judentum sprichst, solltest du nicht nur über den Holocaust oder den Nahostkonflikt sprechen, sondern über Franz Kafka oder Woody Allen. Coalition-Building: Das ist ein Konzept, das sich seit Jahrzehnten bewährt. Warum hat Martin Luther King auf dem American Jewish Committee Global Forum 1970 gesprochen? Weil es schon damals für alle Beteiligten klar war, dass die Civil Rights Movements genauso im Interesse der jüdischen Gemeinde sein sollten.“

Ein Fischer will hoch hinaus

Die erste Kampagne, die unter Bennys Regentschaft geführt wurde, befasste sich mit der Flüchtlingskrise. EUJS hatte sich im September 2015 bereits dazu positioniert und jüdische Studierende in Europa aufgefordert, ihre Stimmen zu erheben und Unterschriften von Mitgliedern des EU-Parlamentes zu sammeln. „Die Kampagne folgte drei Grundgedanken: Erstens: Refugee rights are human rights. Human rights are Jewish rights. Zweitens: Man sollte auch auf das eigene Schicksal der jüdischen Community hinweisen. Wir wissen, was es heißt zu flüchten. Drittens sollte man es auch aus rein religiös jüdischer Perspektive machen. Du sollst einen Fremden nicht bedrücken, weil du die Gefühle des Fremden kennst, denn fremd warst du im Land Ägypten“, zitiert Fischer aus der Tora.

Natürlich sei er sich auch der Angst bewusst, die in den jüdischen Gemeinden stetig lauter wird. Sie sei ja auch nicht unberechtigt: „Wenn eine halbe Million Flüchtlinge aus Ländern kommen, die ein Bild vom Staat Israel und damit inhärent vom Judentum eingeimpft bekommen, wird sich das früher oder später zeigen – entweder durch eine steigende Form der antisemitischen Gewalt oder im politischen Klima. Es steht außer Frage, dass viele Leute dieses Gedankengut mitbringen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Ein Großteil dieser Menschen ist schon hier. Das heißt, wir können uns jetzt hinsetzen und weiterhin mit dem Finger zeigen. Oder wir machen das Ganze nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung und arbeiten daran. Klar, in dem Moment, wo sich zeigt, dass die Situation für jüdische Gemeinden noch stärker mit Bedrohungszuständen im Zusammenhang steht, muss man sich dafür einsetzen, dass mehr Sicherheit gewährleistet wird. Ich glaube aber, wenn wir aufstehen, ein Flüchtlingslager besuchen und zeigen, dass wir auch an der Integration dieser Flüchtlinge arbeiten, dann ist das ein nachhaltigerer Schritt, als einfach in den Zäunen der Gemeinde zu bleiben.“ Das Ziel dieser Arbeit sei es, langfristig auf eine integrative europäische Gesellschaft hinzuarbeiten, die in der Lage sei, ohne diese Sicherheitsvorkehrungen auszukommen. „Ob das Wunschdenken ist – ja, wahrscheinlich. Aber das heißt ja nicht, dass wir deswegen nicht trotzdem dafür arbeiten sollten. Das ist eine Portion Idealismus, die man, so glaube ich, mitbringen sollte.“

Fishing for change

Bei EUJS, so Benny, gehe es vor allem darum, die Gemeinden von innen heraus zu verändern. Eines Tages würden die Leute, die in so einer Studentenunion waren, eventuell auch im Präsidium einer Gemeinde landen – „wenn sie nicht zu frustriert sind“.

„Wenn wir über die selbst fabrizierten Probleme der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sprechen, dann ist das eine Frage der grundlegenden Identität. Worauf fußt jüdische Identität, gerade in der dritten Generation? Da habe ich das Gefühl, es geht um Antisemitismus Bekämpfung, um eine total dogmatische proisraelische Arbeit, und um eine teils echt verkorkste Holocausterziehung. Und wenn deine jüdische Identität auf diesen drei Faktoren fußt, dann ist sie komplett reaktiv. Daran ist nichts Positives, nichts Proaktives. Das ist ein Problem, das wir konsequent verstärken. Wenn nach einem Schabbat anstatt gesungen oder Geschichten erzählt nur über Antisemitismus gesprochen wird, dann hat dieser doch schon erreicht, was er wollte. Nämlich jüdische Identität von innen heraus zu zerstören. Die Gemeindemitglieder werden davon nicht mehr angesprochen. Und das zu Recht, weil es nervt.“

Wichtig sei vielmehr, die jüdische Vielfalt und Identität positiv zu bestärken. „Das Widersprechen, die Macheloikes, das liegt in der Natur der jüdischen Identität. Dass du mehrdimensional denkst und das auch förderst. Lies den Talmud! Wie ist der Talmud geschrieben? Im Diskurs. Warum hat Hillel am Ende den Streit gewonnen, den man nicht lösen konnte? Weil in der Schule von Hillel beide Ansichten unterrichtet wurden, in der Schule von Schammai eben nur eine. Du kannst nicht nur eine Wahrheit predigen, wenn es zehn logische Argumente gibt. Das ist für mich das Wunderbare an jüdischer Identität, dass sie so vielfältig ist.“

Auch Benny weiß, dass er mit seiner politischen Arbeit, die selbstverständlich von großer Bedeutung ist, trotz allem nur wenige Leute aus den europäischen Gemeinden erreicht. „Das ist ein Problem, das die meisten europäischen Organisationen haben, und es ist schade. Viele potenzielle Interessenten wissen schlicht noch nicht von uns, andere haben kein Interesse.“

Auf die Frage, ob Konferenzen immer spannend seien, muss er lachen – konnten wir uns doch nur deshalb treffen, weil er die letzten zwei Stunden einer fruchtlosen Konferenz geschwänzt hat. „Der interessanteste Teil war schon vorüber. Ein ehemals hochrangiger österreichischer Diplomat sprach tatsächlich nur darüber, dass das Holocaustgedenken unzeitgemäß sei und aus dem Lehrplan gestrichen gehöre und wir endlich beginnen sollten, den Islam im Unterricht zu behandeln. Für mich als einzigen Vertreter einer jüdischen Organisation war das schon sehr schwierig. Denn solche Stimmen häufen sich.“

Mittlerweile sind wir im Kaffeehaus angekommen und unterhalten uns längst nicht mehr über Gott und die Welt. Der selbsternannte Jecke (im Jiddischen die spöttische Bezeichnung für deutsche Juden) erzählt uns Anekdoten über deutsch-jüdischen Humor und die alljährliche Jewrovision. Viel zu kleine Leute stünden da auf viel zu großen Bühnen, um mit professionellster Bühnentechnik und vielen schiefen Tönen über ihre jüdische Identität zu singen. „Poptrash auf höchster Ebene, die Jewrovision hat absoluten Kultfaktor. Ich stehe sehr auf das Überlappen von Popkultur und politischem Aktivismus.“

Zu guter Letzt erzählt Benny über seine nicht vorhandene Freizeit. Erst wirkt es so, als würde er sich darüber beklagen, kein Privatleben führen zu können, doch dann wird klar: Er wusste von Anfang an, worauf er sich da eingelassen hat. Und mit dem letzten Satz beschert uns der junge Fischer auch gleich den Titel dieser Geschichte: „Momentan bin ich vor allem Präsident. Ich bin jetzt schon fast ein Jahr dabei, und es war eine Achterbahnfahrt, die mein Leben verändert hat. Aber ich bin unerwartet stolz auf unsere Arbeit und bin sehr dankbar, in dieser Position zu sein. Das nächste Jahr kann kommen.“

 

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