Fragen zum Projekt Ichmanngasse

Die Kultusgemeinde macht sich daran, im Rahmen des Projekts „Ichmanngasse“ …
Von Martin Engelberg

…die „Zwi Perez Chajes-Schule“, das jüdische Elternheim „Maimonides-Zentrum“ und das Sportzentrum der „Hakoah“, alles auf einem Grundstück neu zu errichten. Zuerst einmal wird einem warm ums Herz bei der Vorstellung, dass die I.K.G. mit einem solch gewaltigen Einsatz an Geld und Arbeit ein neues und ein gemeinsames Zuhause für die Kinder, Senioren und Sportler unserer Gemeinde zu schaffen bereit ist. Getrost kann man wohl sagen, dass sich tatsächlich keine andere Person unserer Gemeinde, außer Präsident Muzicant, an ein Bauvorhaben dieses Ausmaßes heranwagen würde und die Ehrfurcht und der Respekt bei der ersten Präsentation des Projekts („Ein großartiges Projekt oder eine Vision für die Zukunft“) im Gemeindezentrum gut spürbar war . Schon in zwei Jahren, im Sommer 2008, auf ein bis zwei Monate mehr oder weniger konnte und wollte sich Präsident Muzicant verständlicherweise nicht festlegen, wird dieses – für eine jüdische Gemeinde in Europa beispiellose – Projekt verwirklicht sein. Angesichts dieses beeindruckenden, so gewaltigen und für uns so erfreulichen Vorhabens ist es gar nicht leicht, jene Fragen zu stellen, um welche Muzicant und die I.K.G. gebeten hat, aber ich will es dennoch, natürlich nur sehr laienhaft und naiv, versuchen: – Gibt es bereits Beispiele für ein gedeihliches und erfreuliches, so unmittelbares Nebeneinander einer Schule und eines Seniorenheims? – Wird auf diesem Grundstück, welches eigentlich der „Hakoah“ im Rahmen des „Washingtoner Abkommens“ zugesprochen wurde, nun das Sportzentrum der „Hakoah“ mit eigenem Clubleben, Restaurant usw. verwirklicht, oder geht es jetzt nicht eher nur mehr um eine Art Mitbenützung von Sportanlagen durch die Hakoah-Sportler? – Gibt es eine fundierte Bedarfsanalyse für ein Seniorenheim der geplanten Größenordnung im Rahmen unserer Gemeinde und einem Zeithorizont von, sagen wir einmal, 20 Jahren? Dazu gibt es zahlreiche Fragen: Wird sich der derzeitige Trend, Senioren immer mehr zu Hause zu betreuen, rechtzeitig umkehren? Gibt es langfristig überhaupt so viele Gemeindemitglieder wie Heimplätze errichtet werden? Was geschieht, wenn das Heim nicht ausgelastet werden kann? Werden dann Teile verpachtet? Verkauft? Oder in ein Heim „jewish style“ umgewandelt, dessen Bewohner nicht unbedingt Juden sind? – Wird dieses Zentrum, welches sich örtlich nicht gerade im Herzen der Gemeinde befindet, von den Gemeindemitgliedern angenommen werden? In unmittelbarer Nähe zur Süd-Ost-Tangente auf der einen und dem Praterstadion auf der anderen Seite. Mit der Front zur Wehlistraße, einer Parallelstraße zum Handelskai, welche nicht gerade ein Prachtboulevard ist, und zwei Fronten, an denen die U-Bahn, ungefähr in der Höhe des 1. Stocks, entlangfährt. – Wie darf man sich die Sicherheitsmaßnahmen und deren Kosten vorstellen, angesichts der Größe des Projekts und der Tatsache, dass die Außengrenze eine Länge von ca. 1 km hat? – Sind die Kosten des Projekts tatsächlich mit 48 Mio. Euro veranschlagt? Ist es richtig, dass die Kultusgemeinde mit genau diesem Geld stattdessen ihre Schulden tilgen und schuldenfrei sein könnte? – Kann es sein, dass wir für dieses Projekt die gesamten Mittel, die wir aus dem Titel der Restitution erhielten, einsetzen, ja sogar noch zusätzliche Kredite aufnehmen und darüber hinaus auch noch die – historisch ja nicht gerade unbedeutenden – Liegenschaften in der Bauernfeldgasse (wo sich jetzt das Elternheim befindet) und in der Castellezgasse (wo sich jetzt die Schule befindet) verkaufen müssen? – Werden wir, sofern wir uns dieses Projekt dennoch leisten können und wollen, die laufenden Kosten bestreiten können, oder werden wir schon in einigen, wenigen Jahren wieder bei der Republik Österreich oder der Stadt Wien um Unterstützungen, Defizitabdeckungen usw. anklopfen müssen? Bemerkenswert erscheint mir die Reaktion fast aller Gemeindemitglieder, mit denen ich über … … das Projekt „Ichmanngasse“ sprach. Egal ob sie von diesem betroffen sind oder nicht, diesem eher positiv oder negativ gegenüberstanden, war es vor allem ziemliche Gleichgültigkeit, Schulterzucken, letztlich Desinteresse. Keine enthusiastischen Befürworter, aber auch keine Spur von wütenden Gegnern. Fast jeder sagte irgendwann einmal „Naja …“. Ein bisschen emotional war eigentlich letztlich nur die wortspielerische Umbenennung in des Projekts in „Ich-Mach-Gasse“. Ziemlich deutlich erschien mir diese flagrante Distanz zwischen den zweifellos großen Bemühungen der Verantwortlichen der Kultusgemeinde einerseits und den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder andererseits, und ich muss gestehen, auch meine Beziehung zur I.K.G. ist – jedenfalls all die gewaltigen und immer neuen Bauprojekte der letzten 15 Jahre betreffend – zunehmend indifferent und uninteressiert geworden. Betroffen haben mich dann schon viel eher folgende, ganz persönliche und natürlich nicht repräsentative, aber – wie ich meine – doch vielsagenden Beobachtungen der letzten Monate: Am 2. Tag Rosch ha-Schanah ist der Stadttempel erschreckend leer; es sind kaum mehr Menschen gekommen als zu einem normalen Schabbat-Gottesdienst. Zu Sukkot findet die Feier für die Kinder nicht statt. Der Oberrabbiner erklärt dazu, es hätte im vergangenen Jahr so viele Beschwerden darüber gegeben, wie lieblos diese gewesen wäre, dass man sie dieses Jahr dann lieber gleich gar nicht gemacht hätte.In meinem Bekanntenkreis gibt es ca. 50 jüdische Kinder im Schulalter. Von denen gehen lediglich zwei in die Zwi Perez Chajes-Schule.Jüdische Erziehung, abseits der jüdischen Schule und traditionelle und kindergerechte Aktivitäten zu den jüdischen Feiertagen wie Sukka-Schmücken, Mazzes-Backen, Purim- und Chanukka-Feiern werden überhaupt nicht mehr von der Kultusgemeinde, sondern vor allem von Chabad und z. B. der Wizo angeboten. Persönlich angesprochen wird man als Gemeindemitglied von der Kultusgemeinde erfahrungsgemäß nur in zwei Fällen: Erstens wenn es ums Geld geht. Die nimmermüde Fundraiserin der Kultusgemeinde Hanni Haber schafft es tatsächlich mit fast jedem Gemeindemitglied eine persönliche Beziehung herzustellen und zu pflegen (und kann dafür nicht genug gelobt werden) und zweitens in den Wochen vor den jeweiligen I.K.G.- Wahlen. Nie, noch kein einziges Mal, wurde man persönlich darauf angesprochen was denn die Bedürfnisse in jenem Bereich wären, von dem man meinen könnte, er gehörte zu den Kernauf-gaben einer Kultusgemeinde: Jüdische Erziehung der Kinder, der Erwachsenen, Organisieren von jüdisch-traditionellen Feiern und Zeremonien, zu denen man gerne hingeht, Angebot von Schiurim (religiösem Unterricht), Diskussionen – auch zu aktuellen und brisanten Themen und dergleichen viel mehr. Dazu fehlt aber auch schlicht das nötige Personal (Rabbiner, Lehrer, Jugendbetreuer usw.), denn außer dem Oberrabbiner selber und einer ihm zugeteilten Sekretärin, gibt es in der Kultusgemeinde überhaupt niemanden, der diese Aufgaben wahrnehmen könnte. Bei Chabad-Lubawitsch gibt es meines Wissens sieben oder acht solcher Rabbiner bzw. Schlichim, die sich ausschließlich – und man muss sagen sehr professionell – um genau diesen Bereich kümmern. Der Präsident der Kultusgemeinde und der Kultusvorstand sind jedoch mit ganz anderen Dingen beschäftigt und nichts könnte dies besser illustrieren als eine Konversation, die ich kürzlich mit einem Kultusvorsteher hatte: „Martin, frag mich zur Kultusgemeinde, was du willst, ich antworte dir!“ „O.k. – kurz (meine Frau wartete) – was tut sich im Kultusvorstand?“ „Stell dir vor, da gibt es das Haus am Schottenring, das der I.K.G. gehört. Der wichtigste Mieter hat gekündigt. Wir müssen das Haus generalsanieren … aufstocken … umbauen … umwidmen … dann um das Doppelte vermieten …“ „Aha, ein ganz wichtiges Immobilienprojekt. Und sonst?“ „Das JBBZ muss erweitert werden. Wir müssen … aufstocken … umbauen … ausbauen … erweitern …“ „Aha, ein zweites ganz wichtiges Immobilienprojekt. Und sonst?“ „Na und dann natürlich kommt jetzt das ganz große Projekt auf dem Hakoah-Grundstück. Wir müssen bauen … erweitern … dazukaufen … verkaufen … umwidmen … aufstocken …“ Braucht man dem noch was hinzuzufügen?

Die mobile Version verlassen