European Jewish Parliament – Intransparency International?

Es klingt fast wie ein Witz. Zwei milliardenschwere ukrainische Oligarchen gründen ein privat finanziertes Europäisch-Jüdisches Parlament – außerhalb aller bestehenden Strukturen jüdischer Repräsentation. Per Internet wird eine chaotische und völlig intransparente Wahl der Parlamentsmitglieder durchgeführt, die nun als Vertreter des europäischen Judentums in Brüssel positioniert werden sollen.
Von David Rennert

Das European Jewish Parliament (EJP) trat Mitte Februar zum ersten Mal in Räumlichkeiten des Europäischen Parlaments in Brüssel zusammen. Die 120 Mitglieder, säkulare wie religiöse Männer und Frauen, seien von insgesamt 403.810 Menschen gewählt worden und würden 47 Länder repräsentieren. „Zum ersten Mal haben sich hier Vertreter und Organisationen versammelt, die 3,5 Millionen jüdische Bürger unseres Kontinents repräsentieren“, hieß es in der Eröffnungsrede durch ein Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie sollen als „eine repräsentative Stimme für die jüdischen Gemeinden Europas sprechen“ und sich für deren Interessen einsetzen. Strukturell orientiert sich das EJP nach eigenen Angaben an der israelischen Knesset. Erklärtes Ziel ist es, jüdische Interessen auf EU-Ebene zu vertreten und dabei Transparenz und Demokratie zu stärken.

Im Jahr 2010 versuchten die ukrainischen Milliardäre Igor Kolomoisky und Vadim Rabinovich erfolglos, die Präsidentschaft des European Council of Jewish Communities (ECJC) zu übernehmen. Daraufhin spaltete sich ihre Fraktion vom ECJC ab und gründete kurzerhand die European Jewish Union (EJU), die das EJP organisiert und finanziert. Auch ein eigener TVSender, Jewish News 1 (JN1), wurde eingerichtet.

An Kritik zu Entstehung, Zusammensetzung und Durchführung der Mitgliederwahl des EJP mangelt es indes nicht. Serge Chwajgenbaum, Generalsekretär des European Jewish Congress (ECJ), nannte das EJP eine „nicht seriös erscheinende, vollkommen private Initiative“, berichtete die „Jüdische Allgemeine“. Die Umgehung aller bestehenden Strukturen sei inakzeptabel, die Gründung einer zusätzlichen Lobby „absoluter Nonsens“.

Auch die Wahlmodalitäten riefen Unverständnis hervor. Jeder europäische Jude sollte selbst für sein Land kandidieren oder beliebige andere Personen als Kandidaten vorschlagen können – eine Regelung mit bizarren Folgen. So landete eine Vielzahl prominenter Persönlichkeiten, darunter der Fußballstar David Beckham, der Komiker Sacha Baron Cohen und der Filmemacher Roman Polanski auf der Kandidatenliste, ohne je etwas vom EJP gehört zu haben. Viele ließen ihre Kandidatur umgehend streichen, so etwa die Politikerin und ehemalige Repräsentantin der Jüdischen Gemeinde Belgiens, Viviane Teitelbaum. „Ich fragte mich, wie soll das funktionieren? Wie soll das repräsentativ sein? Wie viele Menschen werden wählen? Man hätte die Leute fragen sollen, ob sie überhaupt kandidieren wollen“, sagte sie gegenüber „JTA News“.

Tomer Orni, CEO der European Jewish Union, schrieb zu Beginn der Wahl im vergangenen Herbst enthusiastisch: „Zum ersten Mal wählen europäische Juden ihre Repräsentanten direkt und nach dem neuesten Stand moderner Technologie. Ich glaube, diese Wahlen leiten den Beginn einer neuen Ära des europäischen Judentums ein. Von heute an hat jeder Jude in Europa eine Stimme!“

Den Kriterien einer demokratischen transparenten Abstimmung wurde die Wahl jedoch nicht gerecht: Die Wähler waren dazu angehalten, sich online zu registrieren und per Internet ihre Stimme für einen Kandidaten ihres Landes abzugeben. Wie die Richtigkeit der Registrierungen sichergestellt wurde, bleibt unklar. Ein amerikanischer Journalist von „The Jewish Week“ konnte jedenfalls problemlos für einen albanischen Kandidaten stimmen. Zudem wurden die Fristen der Wahl mehrfach verlängert und die Ergebnisse erst wenige Tage vor der ersten Sitzung Mitte Februar veröffentlicht.

„Demokratie geht nicht ohne Chaos“ rechtfertigte Alexander Zanzer vom Hauptquartier der EJU in Brüssel die Abstimmung in der „Jüdischen Allgemeinen“. Die Wahl sei eben ein richtiges jüdisches Chaos gewesen. Der zunehmende Antisemitismus in Europa und die drohende Marginalisierung jüdischer Minderheiten machten neue, demokratischere Initiativen dringend notwendig. Denn die etablierten Organisationen bestehen für Zanzer aus „Mitgliedern, die sich selbst gewählt haben. Sie schütteln anderen Amtsträgern gerne die Hand und finden sich selbst wichtig.“

Für Österreich sitzen nun zwei Mitglieder im EJP: Der Musiker Roman Grinberg und Ilja Sichrovsky, Generalsekretär der Muslim Jewish Conference (MJC).

Sichrovsky bestätigte gegenüber NU, dass er sich im vergangenem Herbst zu einer Kandidatur bereiterklärt hatte. Er sei im Zuge der Muslim Jewish Conference 2011 in der Ukraine vom Vorsitzenden des Ukrainian Jewish Committee, Eduard Dolinsky, dazu eingeladen worden. An der ersten Sitzung im Februar habe er allerdings aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen können.

Grinberg hingegen wusste weder von seiner Kandidatur, noch hatte er jemals etwas vom EJP gehört – bis zwei Tage vor der ersten Sitzung des Parlaments. Man eröffnete ihm, er sei gewähltes Mitglied und solle übermorgen nach Brüssel reisen. Innerhalb einer Stunde müsse er die Mitgliedschaft annehmen, sonst sei die Person mit den meisten Stimmen nach ihm an der Reihe. Nach kurzer Internet-Recherche entschied er sich für die Teilnahme.

Was ist also vom EJP zu erwarten? Im Augenblick ist das noch schwer zu beurteilen. Heftige Diskussionen im Vorfeld der ersten Sitzung hat es allerdings bereits gegeben: Die EJU lud die Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, Dachorganisation von 51 amerikanischen jüdischen Organisationen, zur Inauguration nach Brüssel ein. Prompt ließ der Vizepräsident der Jüdischen Gemeinde Frankreichs, Meyer Habib, wissen: „Eine Zusammenarbeit mit der EJU wäre eine Beleidigung für die europäischen Gemeinden.“

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Belgien, Maurice Sosnowski, warnte davor, auf EU-Ebene für Verwirrung zu sorgen: „Wenn jeder kommt und sich als Repräsentant der Jüdischen Gemeinden ausgibt, wird man in der EU bald nicht mehr wissen, wem man die Hand schütteln soll“, sagte er der Zeitung „ The Canadian Jewish News“. „Und eines Tages wird man vielleicht gar keine Hände mehr schütteln.“

Dass zur konstituierenden Sitzung des EJP exklusiv Journalisten des eigenen Fernsehsenders JN1 zugelassen waren, erhöht jedenfalls nicht das Vertrauen auf die Umsetzung der selbst gesteckten Ziele: Mehr Demokratie und Transparenz in der Repräsentation des europäischen Judentums. Mit einer Stimme für die europäischen Gemeinden zu sprechen ist mitunter problematisch.

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