„Es ist immer am einfachsten, Minderheiten anzufeinden“

Konstantin Frank in Thoms Roths Filmdrama „Schächten“, das auf einer wahren Begebenheit beruht. ©cult film ricardo grstrein

In seinem jüngsten Film „Schächten“ erzählt der österreichische Filmemacher Thomas Roth die Geschichte eines Mannes, der den NS-Peiniger seiner Eltern zur Rechenschaft ziehen und dabei das Gesetz selbst in die Hand nehmen will.

Von Gabriele Flossmann

Thomas Roth tourt gerade rund um die Welt. Von Österreich nach Australien. Von dort weiter nach Texas und Indien. Im Gepäck führt der österreichische Filmemacher sein neuestes Werk, dessen Titel Schächten (jetzt im Kino) auf eine besondere Schlachtungsart nach jüdischem Ritual verweist. Nach dem Glauben von Juden – und auch Muslimen – befindet sich im Blut die Seele eines Lebewesens. Weshalb Anhänger beider Religionen auf alle Speisen und Getränke verzichten, die Blut oder Reste von Blut enthalten. Die Geschichte, die sich hinter Schächten als Filmtitel verbirgt, sorgt für Gänsehaut. Ende der 1960er Jahre, so erzählt Thomas Roth, der zu seinem Film auch das Drehbuch schrieb, versuchte der Sohn eines jüdischen Unternehmers – im Film gespielt von Jeff Wilbusch – den NS-Peiniger seiner Eltern zur Rechenschaft zu ziehen. Als er auf legalem Weg scheitert, will er das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Der Film basiert zu Teilen auf wahren Begebenheiten.

NU: Die dunkle Vergangenheit Österreichs und auch Deutschlands erscheint angesichts des wieder stärker aufkeimenden Antisemitismus mit schmerzhafter Aktualität verbunden zu sein. Haben Sie mit Ihrem Film diese Entwicklung vorausgeahnt?

Thomas Roth: Nein. Aber ich habe mich nie am Zeitgeist orientiert, sondern bin immer meinem Instinkt als Künstler nachgegangen und habe versucht, das umzusetzen, was mich bewegt. Egal, welche Ideologie in der Kulturwelt gerade als Leitbild angesehen wurde. Das ist nicht immer einfach und stößt häufig auf Ablehnung. Aber gerade Kunst und damit natürlich auch das Kino sollte sich nicht nach gesellschaftlichen Modeerscheinungen richten, sondern für sich selbst stehen. Es sollte stören, aufzeigen und das Publikum herausfordern. Zumindest verstehe ich das so.

Jede Form von Rassismus hat immer auch mit Angst vor „Fremden“ zu tun. Nun könnte man solche Gefühle in Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden vielleicht verstehen, auch wenn man sie keinesfalls gutheißt. Aber wie passt da Antisemitismus dazu? Die Ablehnung von Menschen, die immer schon mit uns gelebt haben?

Antisemitismus hat leider eine lange historische Tradition, auch wenn der Begriff erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde. Im Holocaust ist er dann eskaliert. Ich habe dafür keine Erklärung. Auf jeden Fall ist es immer am einfachsten, Minderheiten anzufeinden. Daher geht es in Schächten auch nicht nur um Antisemitismus, sondern genauso auch um Rassismus im Allgemeinen, um die Ausgrenzung von Minderheiten, Glaubenskrieg, Gewalt und andere relevante Themen und Fragen unserer Zeit.

Wie sehr hat dieses Gedankengut auch Ihre Jugend geprägt? Man kann ja annehmen, dass Sie als Sohn von Gerhard Roth in einer sehr aufgeklärten Umgebung aufgewachsen sind?

Ich habe mich in meinem ganzen Leben nie über eine Minderheit lustig gemacht. Nie. Mir wurden von meiner Kindheit an, sehr stark auch durch meine Mutter, unmissverständlich und unverrückbar humanistische Werte auf meinen Lebensweg mitgegeben. Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft war immer ein Thema – ich bin als einziger Bub und später junger Mann zusammen mit drei Frauen aufgewachsen. Ich kann aber nur den Kopf schütteln, wenn man mir erklären will, welche Werte in der Gesellschaft im Sinne von Political Correctness verändert werden sollen. Ich habe kürzlich ein Interview mit Michael Maertens bei Heinz Sichrovsky auf ORF 3 gesehen. Da hat er gesagt, wie traurig er ist, wenn er hört, welche Rollen er ab nun nicht mehr spielen dürfen soll. Ich verstehe das sehr gut. Wo ist die Grenze? Und hat diese Political Correctness in der Kunst wirklich Platz, ohne zumindest an der einen oder anderen Stelle hinterfragt zu werden?

In „Schächten“ kommt auch Simon Wiesenthal als Figur vor. Braucht unsere Zeit wieder so etwas wie einen „Nazi-Jäger“?

Die alten Nazis sind zum Glück alle tot. Die neuen tragen keine SS-Uniformen mehr, sondern Maßanzüge oder geben sich volksnah in Jeans. Wir sind leider wieder in einer Zeit, in der jeder alles sagen darf, was er sich denkt – ob es rassistisch, frauenfeindlich oder diskriminierend ist, ist egal. Es löst nicht einmal mehr so richtig einen Sturm der Entrüstung aus, geschweige denn wird jemand seines Amtes enthoben oder – und das passiert in Österreich leider überhaupt nie – verschwindet gleich selbst von der Bildfläche. Ich sehe aber in Wiesenthal keinen Jäger. Er ist für mich eine moralische Instanz. So habe ich zumindest versucht, ihn in dem Film zu zeigen.

Sie machen immer wieder auch Krimis und Unterhaltungsfilme. Ist es Ihnen wichtig, dass mit den populären Spielarten Ihrer Kunst auch Ihre politische Haltung und Ihre Botschaften transportiert werden?

Einen reinen Unterhaltungsfilm zu machen, der gar nichts aussagt, ist meiner Ansicht nach gar nicht möglich. Die Menschen, die man zeigt, das Milieu, in dem sie leben und handeln, wie die Protagonisten mit ihrem Alltag, ihren Kindern, Frauen, Männern, Vorgesetzten und Untergebenen umgehen – all das sagt viel aus. Über unsere Gesellschaft und über den Filmemacher. Das größte Publikum kann man mit einem Fernsehformat erreichen, und gerade da ist es für mich wichtig, dass hinter jedem Film ein Verantwortungsbewusstsein spürbar ist. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Warum haben Sie „Schächten“ als Kino- und nicht als TV-Film konzipiert?

Weil es da naturgemäß weniger Vorgaben gibt als beim Fernsehen, das natürlich die Akzeptanz des Publikums im Auge behalten muss. Für mich ist das Kino immer noch eine wichtige Plattform, wo man politische, gesellschaftskritische Themen mit maximaler künstlerischer Freiheit präsentieren kann. Es ist ein radikaler Stoff, drastisch und weit entfernt von Konventionen. Die Freiheit des Kinos ist die Freiheit der Kunst, in der man nicht den Vorgaben und Parametern eines Senders oder Sendeplatzes oder Streamingdienstes unterliegt. Unsere Branche ist im Umbruch, neue Vertriebswege eröffnen uns neue Möglichkeiten und das ist großartig. Was aber für welchen Film letztlich richtig ist, kann man – meiner Meinung nach – nur individuell entscheiden. Auch unzählige Streaming-Produktionen verschwinden innerhalb weniger Tage, letztlich völlig unbeachtet, in den finsteren Weiten des digitalen Universums.

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