Erklärt Demokratie

Im Gefolge der Wahl zum Bundespräsidenten wurde viel über den Graben gesprochen, der sich durch das Land ziehe und der zuzuschütten oder zu überbrücken wäre. Wer sich im Freundeskreis, in den sozialen und in den klassischen Medien umgetan hat, bekam allerdings nicht den Eindruck, es handle sich da um den einen, großen Graben, sondern vielmehr um eine von Gräben zerfurchte politische Landschaft.

Da spielte es Stadt gegen Land, höhere Bildungsschichten gegen niedrigere, Frauen gegen Männer, EU-Skeptiker gegen Befürworter, Burgenländer gegen den Rest der Welt, Tiroler für den Kaunertaler und so weiter. Viele Wählerinnen und Wähler, viele Motive. Selbst bei uns Juden hat es diametral unterschiedliche Ansichten zur Wählbarkeit der Kandidaten gegeben.

Das darf nicht erstaunen. Die sogenannten Wiener Juden tragen das traurige Erbe der familiären Schoa-Geschichte mit sich. Für sie ist ein Politiker, der die blaue Kornblume trägt, rund um sich braunstichige Gesellen versammelt und gegen Minderheiten hetzt, keine Option. Sie stehen an der Seite anderer Minderheiten, sodass viele von ihnen sich für Flüchtlinge engagiert haben und engagieren, ungeachtet des Umstands, dass mit ihnen mitunter auch aggressive antijüdische Inhalte ins Land kommen.

Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach Österreich eingewandert sind, haben hingegen eine andere Sozialisation. Auch sie und ihre Vorfahren haben Antisemitismus kennen und fürchten gelernt, aber nicht den widerlich-braunen aus manchen engen Denk-Tälern Österreichs, sondern den seit Jahrhunderten tradierten aus ihren Herkunftsländern.

Hier in Österreich haben sie mehr Angst vor der antijüdischen Haltung von Muslimen und da vermeinten sie, bei Norbert Hofer den Mann an ihrer Seite gefunden zu haben. Er würde gegen weiteren Zuzug eintreten und damit die Gefahr für Juden vermindern.

Der große Graben, der sich aus dem Muster der vielen kleinen Gräben ergibt, besteht in der unterschiedlichen Auffassung darüber, wie in einer Demokratie Entscheidungen fallen können und sollen. Hie die Hoffnung auf den Einen, der alles zu heilen imstande ist und autoritär die Richtung vorgibt. Da die Ansicht, dass nur demokratische Strukturen sicherstellen, dass wir nicht eines Tages aufwachen und gar nichts mehr mitzureden haben. Die Hoffnung auf den großen Anführer, der alles ins rechte Lot bringen wird, wurde von Norbert Hofer bedient. Er würde eine Regierung dann auflösen, wenn sie nach mehreren Abmahnungen nicht das mache, was das „Beste für Österreich“ sei. Jeder, der politisch denkt, weiß, dass es dieses Beste für alle nicht gibt. In einer heterogenen Gesellschaft finden sich heterogene Interessen, und keiner kann sie alle gleichzeitig befriedigen. Hofer aber hat das suggeriert und auch klargestellt, dass er – und nur er – wissen würde, was für Österreich gut ist. Besser lässt sich Diktatur nicht beschreiben.

Die Wahl fand so gesehen als Entscheidung darüber statt, ob wir demokratische Strukturen wollen oder lieber einen, der uns vorgibt, was Sache zu sein hat. Hier wird es nicht genügen, den Graben zuzuschütten, was so viel hieße wie Probleme unter den Teppich zu kehren, und auch nicht, eine Brücke zu bauen, die einstürzen kann, sondern es wird darum gehen, endlich wieder politisch zu argumentieren und Inhalte zu vermitteln.

Als Erstes aber sollte die Verfassung so umgeschrieben werden, dass sie klare Begrenzungen der Kompetenzen des Bundespräsidenten ausweist. Es genügt nicht, auf gelebte Praxis hinzuweisen, sondern es muss eine Klarstellung geben, man könnte das auch „Grenzsicherung“ nennen, die unser demokratisches System absichert und einem Bundespräsidenten keine Fantasien darüber erlaubt, wie er die via gewähltem Nationalrat bestellte Regierung ablösen könnte.

Zum Zweiten sollte wieder mehr über den Sinn von Demokratie geredet und stärker für sie geworben werden. Scheinbar verstehen viele Menschen hierzulande nicht mehr, wie viel wir diesem System verdanken. Die Erneuerung der politischen Szene ist notwendig, aber nicht in Form von autoritärem Staat und Herrschaft einer sich allen überlegen dünkenden Partei. Wir brauchen eine starke Demokratie. Sie ist die beste Sicherheit für alle Minderheiten, und somit auch für uns Juden.

Ihr Peter Menasse
Chefredakteur

 

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