Emanuel Lasker: Der große Spieler

Sein Spielstil wurde als pragmatisch und kämpferisch bezeichnet. Der einzige deutsche Schachweltmeister und Gründer von Lasker’s Chess Magazine war nicht nur Schachspieler, sondern auch Mathematiker und Philosoph.
Von Anatol Vitouch

Wenn es einen Schachweltmeister gab, der als Verkörperung des homo ludens gelten darf, dann war es wohl Emanuel Lasker. Der 1868 in der deutschen Kleinstadt Berlinchen (heute Barlinek in Polen) geborene Sohn eines jüdischen Kantors nahm Wilhelm Steinitz (siehe NU Nr. 50) den Weltmeistertitel in einem 1894 gespielten Wettkampf ab und behielt ihn bis 1921. Damit ist Lasker bis heute der längstdienende Weltmeister der Schachgeschichte. Noch beeindruckender als dieser Rekord erscheint jedoch die Tatsache, dass Lasker niemals nur Schachspieler war. Der Doktor der Mathematik publizierte nicht nur auf seinem akademischen Fachgebiet, sondern auch auf dem Feld der Philosophie, veröffentlichte literarische Texte und gab seine eigene Schachzeitschrift heraus. Außerdem versuchte er sich zeitweise als Landwirt und Taubenzüchter.

Seine größte Liebe galt allerdings immer den Spielen: Lasker schrieb Abhandlungen zur Theorie der Kartenspiele Skat und Bridge, in denen er auch ein starker Praktiker war, und brachte es im japanischen Go zur Meisterschaft. Darüber hinaus galt er als gefährlicher Pokerspieler.

Zu Laskers Stärke beim Poker passt natürlich die Zuschreibung, er habe die „psychologische Spielweise“ im Schach erfunden. Lasker, so sein Zeitgenosse Richard Réti, mache häufig nicht den objektiv besten, sondern den für seinen Gegner unangenehmsten Zug. So gelinge es ihm, seine Kontrahenten auf ein Terrain zu führen, auf dem sie die jeweiligen Stärken ihres Stils nicht ausspielen können.

Heute ist diese These umstritten und kann bei Betrachtung der Partien Laskers aus der historischen Distanz durch eine andere, vielleicht zutreffendere ergänzt werden: Im Gegensatz zu vielen anderen Meistern seiner Zeit war Lasker kein Dogmatiker. Er suchte weder nach den allgemeinen Prinzipien des Spiels, noch (wie die „Kakophoniker“) nach ihren Ausnahmen – sondern immer nach den konkreten, besten Lösungen für die gerade auf dem Brett befindlichen Stellungsprobleme.

Diese geistige Flexibilität ermöglichte es Lasker, akkurater als seine Gegner zu reagieren, wenn sich die Charakteristik einer Position unerwartet änderte. Während sein ewiger Rivale, Siegbert Tarrasch, immer auf der Jagd nach dem schönsten und daher allein richtigen Zug war, verteilte Lasker die ästhetischen Gewichte anders: „Mein Gegner glaubt an Schönheit, ich glaube an Stärke. Ich finde, dass ein Zug dadurch, dass er kraftvoll ist, auch schön ist.“

Vor allem in dieser Hinsicht muss man Lasker als geistigen Verwandten und großen Vorfahren der heutigen, durch und durch pragmatischen Generation von Schachmeistern begreifen. Mit dem norwegischen Wunderkind, Jeansmodel und aktuellen WM-Herausforderer Magnus Carlsen verbindet Lasker nicht nur unglaubliche Zähigkeit in der Defensive und perfekte Endspieltechnik, sondern auch ein ziemlich geringes Interesse an ausgefeilter Eröffnungstheorie.

Genau wie Carlsen heute fand sich auch Lasker vor etwa hundert Jahren nach der Eröffnung oft in wenig aussichtsreichen Positionen wieder, war davon aber nicht zu entmutigen. So trifft der kürzlich von einem Konkurrenten über Carlsen geäußerte Ausspruch auch auf Lasker zu: „Wenn er schlechter steht, dann hält er remis. Steht er aber besser, dann gewinnt er unvermeidlich.“

Seine praktische Spielstärke bewahrte Lasker selbst noch, als er schon lange nicht mehr Weltmeister war. Noch 1935 belegte er im Alter von 66 Jahren den dritten Platz in einem der stärksten Turniere der damaligen Zeit, das in Zürich ausgetragen wurde, wobei er ungeschlagen blieb und unter anderem den zwanzig Jahre jüngeren Kubaner Jose Raul Capablanca besiegte, an den er den WM-Titel vierzehn Jahre zuvor abtreten hatte müssen.

Stark gealtert, aber mit der unvermeidlichen Zigarre im Mundwinkel – der Weltschachbund verbot das Rauchen am Brett erst in den 1980er-Jahren – war Lasker in den Turniersaal zurückgekehrt, nachdem die Machtergreifung der Nazis und der damit verbundene Verlust seines bescheidenen Vermögens die Hoffnung auf einen ruhigen Lebensabend zerstört hatten. Laskers Rauchverhalten dürfte dabei, einer beliebten Anekdote nach, noch am ehesten zu jenem Bild des „psychologischen Kriegers“ passen, das man sich bis heute gerne von ihm macht: Während der Partien schmauchte er prinzipiell nur gefürchtete, schwarze Billigexemplare. Bot ihm ein davon entnervter Gegner, in der Hoffnung auf Luftverbesserung, eine teurere Marke an, dann bediente sich Lasker höflich dankend und verstaute die Rauchwaren als Vorrat in seiner Brusttasche, während er ungerührt weiter seine „Stinkbombe“ paffte.

Laskers Freund Albert Einstein, der das Vorwort zu einer posthum erschienenen Lasker-Biographie beisteuerte, war übrigens der Meinung, Lasker verschwende sein geistiges Potenzial an das Schachspiel. Der Begründer der Relativitätstheorie soll diese wiederholt mit Lasker diskutiert haben, dem er nachdrücklich riet, sich doch der Wissenschaft zu widmen. Emanuel Lasker aber blieb ein Spieler – den am Ende unverdienterweise das Glück verließ.

Lebenslang hatte Lasker um faire Bezahlung für seine Fähigkeiten gekämpft, weil er sich ein Schicksal wie jenes seines weltmeisterlichen Vorgängers Wilhelm Steinitz ersparen wollte. Dennoch starb er 1941, ähnlich wie dieser, verarmt im New Yorker Exil, wo er sich zuletzt mühsam als Bridge-Profi über Wasser gehalten hatte.

Schach als Serie im NU
Nicht weniger als sechs der fünfzehn Weltmeister, aus denen die 1886 mit dem Juden Wilhelm Steinitz begonnene Ahnenreihe der Schachchampions besteht, waren jüdischer Herkunft. Hinzu kommen noch mehrere jüdische WM-Herausforderer sowie unzählige jüdische Großmeister des Spiels. Grund genug für NU, jüdischen Schachgrößen eine Serie zu widmen. In ihr porträtieren wir die wichtigsten jüdischen Schachspieler – inklusive eines Schachrätsels.

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