Eine Vision und Standortbestimmung

Die Redaktion

Als 1980 das Gemeindezentrum in der Seitenstettengasse eröffnet wurde, nannte man es „Jüdisches Kulturzentrum“, und eineinhalb Jahre lang gab es mit Karin Weininger eine eigene Kulturmanagerin, die viele Veranstaltungen und Diskussionen organisierte. Danach wurde dieser Posten halbherzig neu ausgeschrieben, aber trotz vieler, auch qualifizierter Bewerbungen, nie mehr neu besetzt. Ab diesem Zeitpunkt fanden nur mehr unregelmäßige und zufällig organisierte Veranstaltungen statt, in den letzten Jahren praktisch keine mehr. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen jüdischen Gemeinden in Europa widmet sich die IKG überhaupt nicht mehr der Kulturarbeit. Die Kulturwochen und die in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum organisierten Veranstaltungen sind Ausnahmen. Nie zuvor wurde soviel über Judentum geschrieben und publiziert wie heute, nie zuvor gab es so viele Autoren, Schriftsteller, Dichter, Theologen, Judaisten und Historiker, die sich mit dem Judentum seriös und intensiv auseinandergesetzt haben. An der IKG geht das aber anscheinend spurlos vorüber. Viele Fragen drängen sich auf.

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Doch die vielen Versäumnisse oder verlorenen Gelegenheiten werden deutlich. Die erwähnten Veranstaltungen werden meist auch nicht in der „Gemeinde“ angekündigt. Nachdem der Pachtvertrag der Literaturhandlung nicht verlängert wurde gehören auch die von Dr. Rachel Salamander organisierten Lesungen prominenter Autoren – z. B. Meir Shalev, Chaim Potok oder Barbara Honigmann – der Vergangenheit an. Das Jüdische Museum sieht mit der Ausnahme von Buchpräsentationen nach eigenen Aussagen seine Aufgabe primär nicht in der Organisation kontinuierlicher Veranstaltungen. Die ausgezeichneten Diskussionen rund um die Ausstellung „Der schejne Jid“ entsprangen einer Einzelinitiative. Dennoch wird die fehlende Kulturarbeit der IKG mit dem Hinweis auf die zahlreichen Veranstaltungen im Museum verteidigt. Die Jüdischen Kulturwochen im letzten Jahr standen unter dem Motto „150 Jahre IKG“. Aber es gab, außer einem schlampig organisierten teuren Prestigeabend für den Präsidenten im Burgtheater, keine einzige Veranstaltung zu diesem Thema.

Das Manko der derzeitigen „Kulturarbeit“, die sich auch nach den letzten Kultuswahlen nicht geändert hat, wird von vielen bedauert und kritisiert. Dass kein Interesse bestehe, oder dass zu anspruchsvolleren Veranstaltungen niemand kommen würde, hat als Ausrede ausgedient. Ein Diskussionsprozess ist bitter vonnöten. Es ist auch keine finanzielle Frage, denn die Stadt Wien wäre wohl, wie vergangene Beispiele zeigen, auch dafür ansprechbar.

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