Eine Haarfee für kranke Kinder

Seit knapp zwei Jahren existiert der Verein „Haarfee“. Der Gründer des Vereins, der Israeli Yochai Mevorach, schenkt Kindern und Jugendlichen, die infolge einer schweren Erkrankung ihre Haare verloren haben, Echthaarperücken.
VON PETRA STUIBER (TEXT) UND
MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER

Auf den ersten Blick kann man das Ding, das Yochai Mevorach liebevoll in Händen hält, nicht gut erkennen: Was soll das sein? Ein brünettes Stofftier mit besonders langen, glatten, glänzenden Haaren? Ein Kleinsthund im Handtaschenformat, der schon lange nicht mehr beim Hundefriseur war? Ein besonders voluminöses Haarverlängerungsteil? Dann kommt Yochai näher, mit dem Ding in der Hand, vor Freude funkelnden Augen und einem strahlend-stolzen Lächeln, und man darf es selbst angreifen. Es ist eine, wenn auch relativ kleine, Echthaarperücke. Yochai hat sie im Salon „folgeeins“ im 7. Bezirk selbst gefertigt, sie besteht aus einem luftdurchlässigen Netz, das sich wie eine zweite Haut um den Kopf legt und 100.000 dichten, weichen, langen Haaren. Echten Haaren, wie man sofort fühlt, wenn man die Perücke berührt. Die Haare, alle 100.000, hat Yochai drei Wochen lang selbst in das Haarnetz-Gerüst geknüpft, er hat dem Perückenkopf eine erste Fasson gegeben und auch nicht auf die kurzen Babyhaare vergessen, die jeder Mensch am Haaransatz hat. Nur wenn diese zu sehen sind, wirkt die Perücke auch wirklich echt.

„Haare oder nicht“

Das ist das Wichtigste an Yochai Mevorachs kleinen Perücken – dass sie ausschauen, als wären sie mit einem kleinen Kinder- oder zarten Teenagerkopf verwachsen. Yochai ist Friseur – und Gründer und Vorsitzender des Vereins „Haarfee“, der sich zum Ziel gesetzt hat, Kindern und Jugendlichen, die infolge einer schweren Erkrankung – etwa wegen einer Chemotherapie – ihre Haare verloren haben, gratis eine Echthaarperücke zur Verfügung zu stellen, wenn ihre Eltern keine solche kaufen können. Das ist kein kleines Geschenk, eine Echthaarperücke kostet zwischen 2000 und 3000 Euro – und sie hält nur etwa eineinhalb Jahre. Die Krankenkassen zahlen nichts dazu, obwohl diese eineinhalb Jahre, für manche Kinder zwischen Leben und Tod entscheiden können. Da ist es nicht egal, ob man guten Mutes, selbstbewusst und psychisch halbwegs stabil in diesen mörderischen Kampf zieht – oder ob man sich obendrein geniert und darüber kränkt, dass man keine Haare mehr hat.

Dass die Frage „Haare oder nicht“ keine Nebensache ist, selbst – oder gerade wenn – Kinder und Jugendliche schwer krank sind, beweist die riesige Nachfrage nach Yochais Perücken. Pro Jahr erkranken rund 300 Kinder in Österreich an Krebs. Seit knapp zwei Jahren existiert sein Verein „Haarfee“, allein die Vereinsgründung dauerte ein Jahr lang – Yochai musste sich mehr oder weniger unfreiwillig in die Tücken der österreichischen Bürokratie vertiefen. Verbreitet haben er und seine Freunde die Idee nur über soziale Netzwerke, dennoch wuchs die Warteliste von Woche zu Woche, mittlerweile werden Yochai und seine Helfer (er wird von insgesamt zwanzig Friseuren in Österreich unterstützt) im Wochentakt von betroffenen Familien kontaktiert. Yochai sagt, wenn die Nachfrage so weitergehe, werde er wohl 50 bis 100 Perücken bis Jahresende ausliefern – „was wohl auch daran liegt, dass wir immer bekannter werden“.

Die österreichische Kinderkrebshilfe jubelt über das Engagement des gebürtigen Israelis. Geschäftsführerin Anita Kienesberger: „Der Verlust der Haare macht die Krebserkrankung für die meisten Patientinnen und Patienten nach außen hin erst sichtbar. Vor allem viele Jugendliche leiden unter dem Verlust, da das Aussehen in diesem Alter für viele eine wahnsinnig wichtige Rolle spielt.“ Es gehe hier nicht nur um verlorene Haare, es gehe um „Selbstakzeptanz, Selbstbewusstsein und den Wunsch, attraktiv zu sein“.

„Haarfee“ leiste mit den Perücken unglaublich wichtige Hilfe zur Gesundung der Kinder. Auch „Rosenball“- Macher Holger Thor alias Miss Candy war von der Idee begeistert: Ein Teil der Einnahmen des schrägsten Ball-Events der Saison gingen an Yochais Verein. Bis Ende April hat „Haarfee“ bereits 80 Echthaarperücken ausgeliefert.

Die erste „Haarfee“-Kundin

Yochai Mevorach hat die Idee einer Echthaarspende aus Amsterdam, wo er fünf Jahre lang gelebt hat, nach Wien importiert. Ähnliche Projekte existieren auch in den USA, Kanada und Israel, Yochais Heimatland. Er wurde in Jerusalem geboren, dort lebte er mit seinen Eltern und vier Schwestern. Schon bald, mit 14, zeigte sich sein Talent für alle haarigen Angelegenheiten. Erst frisierte er seine älteren Schwestern, wenn diese abends ausgehen wollten, dann deren Freundinnen, bald auch die gesamte Nachbarschaft. „Ich habe mich nicht damit aufgehalten nachzudenken, was ich beruflich einmal machen möchte“, lacht der 35-Jährige. Er absolvierte eine Friseurlehre und war eigentlich ziemlich glücklich in Jerusalem. Yochai: „Wir haben alle gut zusammengelebt, Israelis, Palästinenser – abgesehen von der Politik war alles in Ordnung.“

Als er 18-jährig mit seiner Mutter eine Tante in Amsterdam besuchte, packte ihn das Reisefieber: Das pulsierende, liberale Amsterdam gefiel ihm, er wollte bei der Tante bleiben. Die Mama war dagegen, natürlich – doch dann gab sie nach, und 1998 wurde Yochai Europäer. Er mochte Amsterdam, und Amsterdam mochte ihn. Bald hatte er einen gutgehenden Friseursalon in der Innenstadt, wieder einmal war er eigentlich ziemlich glücklich. Und dann lernte er „ihn“ kennen, seinen Mann, den einen: Wiener, TV-Produzent und durchaus bereit, zu ihm in die Niederlande zu ziehen. Doch aus dem gemeinsamen Business wurde nichts, man lebte eine Zeitlang eine Beziehung auf Zeit, die ständige Sehnsucht nach einander ging beiden auf die Nerven. Also zog Yochai nach Wien, die beiden heirateten, und so leben sie seit zwei Jahren glücklich in Wien-Neubau zusammen.

Yochai mag Wien, er sagt, die Wiener seien eine Mischung zwischen den kühleren Niederländern und den heißblütigen Israelis, das gefalle ihm. Zur Kultusgemeinde hält er nur losen Kontakt: „ich war ein paarmal im Tempel, aber die Leute hier sind konservativer, orthodoxer als in Amsterdam. Da war alles viel liberaler.“ Yochai sagt – erstaunlich genug –, er sei in Wien noch nie antisemitischen Attacken ausgesetzt gewesen: „Die Leute hier sind nett und sehr interessiert an Israel.“ Und wenn er von „Haarfee“ erzähle, öffneten sich ohnehin die meisten Herzen – und auch so manche Brieftasche.

Er erinnert sich noch gut an seine erste „Haarfee“-Kundin, Michelle, 15 Jahre jung: als er mit seiner Echthaarperücke im St.-Anna-Kinderspital ankam, empfing ihn ihre Mutter mit offenen Armen und einem Redeschwall, um ihre Aufregung zu verbergen. Michelle dagegen redete kaum, sie mochte weder Yochai noch sich selbst im Spiegel ansehen. Bis er ihr die Perücke aufsetzte und mit ihr besprach, welchen Haarschnitt er machen sollte. Yochai erinnert sich: „Plötzlich saß sie immer aufrechter, ihr Blick wurde klarer, sie begann zu lächeln.“ Er selbst lächelt auch, während er das erzählt – mit Tränen in den Augenwinkeln. Er hat Michelle nicht vergessen, und sie ihn auch nicht. Ihre Krankheit hat sie besiegt.

Am liebsten nimmt Yochai Mevorach natürlich Haarspenden entgegen – allerdings nicht von jedem: Mindestens 25 Zentimeter müssen die Haare lang sein, gesund und glänzend. Sie dürfen nicht blondiert worden sein, das macht Haare spröde und brüchig. Graues Haar nimmt er auch nicht – auch diesem mangelt es an Qualität. Aber sonst ist er glücklich über jeden abgeschnittenen Zopf – im sehr ursprünglichen Sinn.

 

Spenden an und Informationen über „Haarfee“: www.vereinhaarfee.at

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