„Eine Art Eichmann“ bleibt in Wien verewigt

In Wien Leopoldstadt wird die Ichmanngasse in Simon-Wiesenthal-Gasse umbenannt, die Arnezhoferstraße bleibt jedoch nach dem katholischen Kommissar zur Vertreibung der Juden benannt. Eine Änderung lehnte die Bezirksvertretung ab. Die Auseinandersetzung mit der antisemitischen Tradition wäre jedoch gerade in diesem Bezirk wichtig.
Von Heike Hausensteiner

Die Flaktürme in Wien erinnern noch an die Bautätigkeit des Nationalsozialismus. Die Berliner Flaktürme wurden nach dem Krieg zum Großteil gesprengt, die Hamburger Türme umgestaltet; die Wiener Flaktürme sind praktisch unverändert vorhanden. Zwei der Betonbunker stehen im Augarten, zwei im Arenbergpark, jeweils einer steht in der Stiftskaserne sowie im Esterházypark. Geblieben sind auch manche von der NS-Zeit geprägte Namensgebungen. Adolf war damals ein beliebter Vorname für Buben. Und geblieben sind „arisierte“ Bezeichnungen von Straßen, Gassen oder Plätzen. So auch zum Beispiel in Wien die Ichmanngasse und die Arnezhoferstraße in der Leopoldstadt. Erstere wird umbenannt, letztere nicht. Man könne über die Geschichte „der damaligen Zeit nicht alles entfernen“, erklärt dazu SPÖ-Bezirksvorsteher Gerhard Kubik im Gespräch mit NU. Die Ichmanngasse, eine kurze Quergasse vom Handelskai, wird in Simon-Wiesenthal-Gasse umbenannt. Das hat der Bezirk mit den Stimmen von SPÖ, Grünen, ÖVP und KPÖ beschlossen, nur die FPÖ stimmte dagegen. Franz Ichmann war Wienerlied-Texter und als Blockwart Mitglied der NSDAP. Er sei also mehr als „ein Mitläufer“ gewesen. Wenn jemand Mitglied bei der NSDAP wurde, „um seine Familie zu schützen, ist das etwas anderes“, findet der SPÖ-Bezirksvorsteher. Die praktisch unbewohnte Gasse in der Nähe des heutigen Ernst-Happel-Stadions wurde 1975 nach Ichmann benannt. Über ihn habe man damals einfach noch zu wenige Informationen gehabt. Die Initiative zur Umbenennung ging im vergangenen Jahr von der Kultusgemeinde (IKG) aus. „Der Zufall wollte es“, so Kubik, dass wenige Wochen später Simon Wiesenthal verstarb (20. September 2005). Also habe die Bezirksvorstehung die Anregung der IKG aufgenommen. Eine Straße darf frühestens ein Jahr nach dem Tod einer Person mit deren Namen bezeichnet werden (Interkalarfrist). Die Simon-Wiesenthal-Gasse soll nächstes Jahr eingeweiht werden. Für den 1965 gestorbenen Franz Ichmann wurde gleich 1966 eine Gedenktafel in der Pazmanitengasse 10 angebracht, unweit der von den Nationalsozialisten zerstörten Synagoge in der Pazmanitengasse 6. Die Tafel – in der Obhut der Stadt Wien – gibt es heute noch. Auch die Arnezhoferstraße gibt es noch. Sie wurde sogar aufgewertet. Denn die etwa 200 Meter lange Straße zwischen Mexikoplatz und Praterstern liegt im wegen des Straßenstrichs bekannten Stuwerviertel. Das Image der (Wohn-)Gegend soll aufpoliert werden. In den vergangenen Jahren wurden bereits Fassaden renoviert und durch Straßensperren und Einbahnregelungen geschützte Wohnstraßen errichtet. Das freut auch die Kinder der Kindergruppe „Sonnentor“. Sie haben noch keine Ahnung davon, wie die Adresse ihres Kindergartens zu ihrem Namen kam. Leopold I., nach dem der zweite Bezirk benannt wurde, ließ im 17. Jahrhundert die Juden aus dem Bezirk vertreiben. Johann Ignaz Arnezhofer war katholischer Pfarrer und 1679 als Kommissar für die Ausweisung der Juden zuständig („zur Ordnung israelitischer Angelegenheiten“). „Eine Art Eichmann der Barockzeit“, meint der Historiker Rudolf Schwarz in Anspielung auf den SS-Sturmbannführer Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Doch Arnezhofer sollte in Wien verewigt werden: 1906 wurde die ursprüngliche „Erlachstraße“ in „Arnezhoferstraße“ umbenannt. Bürgermeister von Wien war damals der christlichsoziale – und antisemitische – Karl Lueger. „Arisiert“ wurde in Österreich also lange vor 1938. Einen hohen Anteil „arisierter“ Wohnungen gibt es in Wien eben auch im Stuwerviertel. Schon vor 1938 war es ein Ansiedlungsgebiet von vielen jüdischen und tschechischen Zuwanderern. „Die Leopoldstadt war immer ein Bezirk, wo Leute angekommen sind“, ruft der heutige Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger im Interview in Erinnerung. Der traditionell jüdische Bezirk sei „arisiert“ worden, nur seien „die Ariseure picken geblieben und haben sich nach 1945 breit gemacht“. Als Leopoldstädter Bezirksvertreter (1991–1994) wollte sich Öllinger auch um das Stuwerviertel kümmern. 1993 brachte er denn auch einen Antrag auf Umbenennung der Arnezhoferstraße ein – und blitzte ab. Mittlerweile, seit der Gemeinderatswahl 2005, sind die Grünen im zweiten Bezirk die zweitstärkste Fraktion hinter der SPÖ. Sie können sich aber gegenüber der Mehrheitsmeinung nicht durchsetzen. Dass die Leopoldstadt ein jüdischer Bezirk sei, sollte auch an den Straßennamen erkennbar sein, sagt der Grüne Vize-Bezirksvorsteher Adi Hasch zu NU. „Aber die wollen das nicht.“ Die SPÖ habe ein schlechtes Gewissen und fürchte sich. Er merke das am ausländerfeindlichen Stimmungsbild im Bezirk. „Die Ausländer sind die neuen Juden. Die Leute zeigen teilweise mit dem Finger hin.“ Im Nordbahngelände beispielsweise „gäbe es genügend Straßen, die man neu nach jüdischen Persönlichkeiten benennen könnte“, regt Öllinger an. Der Nordbahnhof, errichtet ab 1863, war mit den Verbindungen nach Brünn, Prag und Warschau der Hauptbahnhof von Wien; hier sind viele Einwanderer angekommen, bis der Bahnhof 1965 abgerissen wurde. „Man misst mit zweierlei Maß“, glauben die Grünen. Sie monieren etwa, dass nur die abgelegene und kleine Ichmanngasse (eine „Pimperlgasse“, so Hasch) nach Simon Wiesenthal benannt wird. Bezeichnend sei auch, dass im sechsten Bezirk nur „ein kleines Platzerl“, so Öllinger, nach dem Kabarettisten Fritz Grünbaum umbenannt wurde; es ist der frühere „Esterházyplatz“ beim Apollo-Kino. Es sei „eine besondere Tragik, wie schwer sich die SPÖ mit dem Thema tut“, konstatiert Öllinger. „Es ist unbefriedigend, was von der Diskussion übrig geblieben ist.“ In Sachen Arnezhoferstraße nicht viel, zumindest beim SPÖ-Bezirksrat Martin Schöfbeck. „Das ist schon länger her“, kann er sich im Gespräch mit NU nur rudimentär daran erinnern, dass im Bezirksrat über die Arnezhoferstraße gesprochen wurde. Im Gegensatz dazu weiß Adi Hasch von den Grünen noch genau, dass das Thema im Zusammenhang mit der Ichmanngasse bei einer Sitzung im März erwähnt wurde. Die Umbenennung beider Gassen würde eine Welle lostreten. Dann müsste ja auch die Bezeichnung des Bezirks „Leopoldstadt“ geändert werden, hätten empörte Bezirkskollegen argumentiert, erzählt Hasch. Zudem würden sich die Gründe „aus der Praxis“ ergeben, weshalb die Arnezhoferstraße bei ihrer Bezeichnung bleiben müsse, erläutert Bezirksvorsteher Kubik. Die Straße hat mehrere hundert Bewohner, die alle ihre Dokumente aufgrund der Adressenänderung – kostenpflichtig – erneuern lassen müssten. Das sei nicht so einfach. „Aus sachlichen Gründen“ habe die Bezirksvorstehung daher „einhellig“ eine Umbenennung der Arnezhoferstraße abgelehnt, ließ Bezirksvorsteher Kubik brieflich einem aufgebrachten Anrainer mitteilen. Nach der Ablehnung 1993 (unter Kubiks Vorgänger) habe die Bezirksvertretung nach Angaben der Grünen vereinbart, eine Mahntafel über die Arnezhoferstraße anzubringen, um über die Taten des katholischen Pfarrers zu informieren. Geschehen ist bisher nichts dergleichen. Der heutige Bezirkschef weiß von einer derartigen Vereinbarung nichts. Die SPÖ habe die Sache „taktisch versanden lassen“, vermutet dagegen der stellvertretende Bezirkschef der Grünen. Vorrangig sei nicht, Namen zu tilgen, sondern dass man sich mit der antisemitischen Tradition im zweiten Bezirk auseinander setze, fordert Karl Öllinger. Die Umbenennung an sich sei zweitrangig. „Die Leute können ja nichts dafür“, wenn sie an belasteten Adressen wohnen. Das sieht auch der SPÖ-Bezirkschef so. Die Anregung, ein Inventar von belasteten Straßenbezeichnungen in seinem Bezirk zu erstellen, verspricht er, weiterzuverfolgen. Wer entscheidet, welche Straßen wessen Namen tragen? Das Stuwerviertel in Wien-Leopoldstadt ist eine der vier Wegstationen des Projekts „Verborgene Geschichte – remapping Mozart“ im Rahmen des Wiener Mozartjahres 2006. In Ausstellungen und Veranstaltungen wollen Kuratoren und Kuratorinnen um Lisl Ponger in verschiedenen Wiener Gegenden auf die sozialen und künstlerischen Querverbindungen und Brüche zwischen der Mozartzeit und dem Heute aufmerksam machen. Da ist etwa der Mexikoplatz, jetzt Marktplatz ebenso wie Fußball-/Spielplatz für Migrantenkinder, der im 18. Jahrhundert noch Sumpfgebiet war. Das Denkmal für Mexiko erinnert daran, dass der Staat als Einziger außer der damaligen Sowjetunion 1938 vor dem Völkerbund, der Vorgängerorganisation der UNO, gegen den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich protestierte. Das NS-Regime germanisierte denn auch Mozart (mit seinem „arisierten“ Librettisten Lorenzo da Ponte, der vor dem Übertritt vom jüdischen Glauben zum Katholizismus Emanuele Conegliano hieß). Politisch vereinnahmt wurde Mozart aber auch von der Republik, die ihn zur rot-weiß-roten Identifikationsfigur aufbaute, meinen die Veranstalter von „remapping Mozart“. Joseph von Sonnenfels, mit Mozart einer der prominentesten damaligen Freimaurer, war als aufgeklärter Kunsttheoretiker (u.a. deutsche Sprachreform) unter Joseph II. auch für die Reorganisation der Zensur zuständig. Nach ihm wurde in Wien die Sonnenfelsgasse (früher „Untere Bäckerstraße“) beim Rathausplatz benannt. In der NS-Zeit sollte die Erinnerung an Sonnenfels, einen konvertierten Juden, ausgelöscht werden; die Straße hieß von 1938 bis 1945 Johann-Sebastian-Bach-Straße. Dass ausgewählte Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Zonen des öffentlichen Raums verdrängt werden, ist eine alte, normierende Taktik. Die Geschichte zeigt ein Bild der Beschränkungen des Zugangs zu Räumen. So möchte „remapping Mozart“ an Juden und Jüdinnen ebenso erinnern wie an „Roma, SexarbeiterInnen oder einfach an die so genannten VagabundInnen. Es ist ein andauernder Kampf um öffentlichen Raum, der weiterhin stattfindet“. Die erste „Remapping“-Etappe war im Bösendorfer-Gebäude im vierten Bezirk. Nächstes Ziel ist Ottakring, wo die Kufner Sternwarte Zentrum des Geschehens zum Thema „Afrikanische Diaspora in Wien“ sein wird. WEB-TIPPS: „Verborgene Geschichte/n – remapping Mozart“, genaue Veranstaltungsorte, Öffnungszeiten usw. unter: http://remappingmozart.mur.at/joomla/component/option,com_frontpage/Itemid,1/lang,de/ „Lorenzo da Ponte – Aufbruch in die neue Welt“, Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien (bis 11. September): www.jmw.at/de/lorenzo_da_ponte.html

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