Ein Streiter für den Frieden

Porträtfotografie des jüdischen Journalisten und Dramaturgen Heinrich Glücksmann (1864–1947) von 1927, als er der Ehrentitel Professor erhält. Der Skandal um Schnitzlers „Reigen“ war noch nicht vergessen. ©Bildarchiv Pisarek / akg-images / picturedesk.com

Mit seiner Biografie über Heinrich Glücksmann holt der Wiener Journalist Gerhard Friedrich den Förderer Arthur Schnitzlers und Stefan Zweigs aus dem Nebel des Vergessens.

Von Michael J. Reinprecht

Als Theatermensch, Journalist und Intellektueller war der aus Mähren stammende Wiener Jude und Humanist Heinrich Glücksmann aus der Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende nicht wegzudenken. Nach der Machtübernahme des NS-Regimes musste Glücksmann Österreich verlassen.

Gerhard Friedrichs reich bebilderte, mit zahlreichen Faksimiles, Briefen und Handschriften versehene Biografie erinnert nun nicht nur an das vergessene Schaffen Glücksmanns, sondern lässt damit auch die letzten drei Jahrzehnte Wiens als k.u.k. Reichshauptstadt sowie die Jahre der Ersten Republik lebendig werden.

Heinrich Glücksmann, 1863 als Heinrich Blum in der Nähe von Brno (Brünn) geboren, kam als Student nach Wien und schaffte es, langsam in der Theater– und später auch Filmbranche Fuß zu fassen. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte es Glücksmann geschafft: Er galt als einer der bedeutendsten Repräsentanten der Wiener Kulturszene. Mit seinen Wertvorstellungen der Humanität und Toleranz, seiner Sehnsucht nach einem friedvollen Miteinander von Menschen verschiedenster sozialer Schichten und Nationalitäten fand Glücksmann bei den Freimaurern, die im zisleithanischen Teil der Monarchie verboten waren, intellektuelle Heimat.

Er engagierte sich in Bertha von Suttners Friedensbewegung und wollte als Dramaturg des Volktheaters „neue Strömungen auf der Bühne sichtbar machen“. So versuchte er Arthur Schnitzlers gesellschaftskritisches Stück Professor Bernardi sofort nach dessen Erscheinen aufzuführen, verlor aber den Kampf mit der besonders strengen Zensurbehörde Wiens, das Drama wurde schließlich im November 1912 in Berlin uraufgeführt. Erst einige Wochen nach Ausrufung der Republik stand das Stück auch auf dem Spielplan des Volkstheaters. Konfrontationen scheute Glücksmann nicht: Trotz scharfer Kritik von christlichsozialer katholischer Seite brachte er 1921 Schnitzlers Reigen in die dem Volkstheater zugehörigen Kammerspiele. Das Stück hatte bereits in Berlin für einen Theaterskandal gesorgt, in Wien entzündete sich ein Streit zwischen der konservativen Bundesregierung und dem Roten Wien.

Auch im Parlament kam es, wie die Illustrierte Kronen Zeitung berichtete, zu Handgreiflichkeiten zwischen linken und rechten Abgeordneten. Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde der Reigen ein Kassenschlager. Am 16. Februar wurde das Stück deshalb für 19 und für 22 Uhr auf den Spielplan gesetzt. „Doch mitten in der Abendvorstellung“, berichtet Gerhard Friedrich in der Glücksmann-Biografie, „kommt es zu einem organisierten Überfall auf das Publikum.“ Stinkbomben, mit Teer gefüllte Eier sowie Logensessel wurden ins Parkett geworfen und die in Panik fliehenden Theaterbesucher vor den Kammerspielen „von einer Wasserdusche aus geöffneten Hydranten empfangen“.

Wien hatte seinen veritablen Theaterskandal. Und mittendrin der ruhige, bedächtige Journalist und jüdische Dramaturg Glücksmann. Der wandte sich später dem Film zu, verfasste Drehbücher zu Stummfilmen über Mozart, Johann Strauß sowie über Theodor Herzl – der Bannerträger des jüdischen Volkes. Am 1. März 1943 starb Heinrich Glücksmann im argentinischen Exil. Diesen Publizisten und Streiter für Humanität und Frieden wieder zu entdecken, gibt Friedrichs Buch Gelegenheit.

Gerhard Friedrich
Heinrich Glücksmann
Brückenbauer in neue Zeiten
Korrektur Verlag
180 S., EUR 29,90


Liebe zum Theater

Georg Friedrich, Journalist, Fernsehmann, Filmemacher, Kolumnist fühlt sich dem Theatermenschen Heinrich Glücksmann verbunden.

Der ehemalige Journalist ist ganz Feuer und Flamme für den Wiener jüdischen Theatermenschen Heinrich Glücksmann. Er fühlt sich ihm nahe. Die Liebe des Autors zum Theaterleben und Schreiben trifft auf sein Interesse für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, das Ende der Monarchie und die Erste Republik. In dieser Gemengelage, erklärt Gerhard Friedrich, sei er auf den lange vergessenen Glücksmann gestoßen.

„Er war ein Vielarbeiter. Auf meinem Server habe ich mehr als 500 Zeitungsartikel zusammengetragen“, erzählt er. Daneben habe Glücksmann rund 1200 Vorträge gehalten, als Dramaturg des Volkstheaters damalige Autoren des Zeitgeists auf die Bühne gebracht und – kaum tauchten neue Techniken auf – Drehbücher für Filme geschrieben sowie Radiosendungen gestaltet.

Glückmanns Verhältnis zu Lueger bezeichnet er als „ambivalent“. Auf der einen Seite habe der damalige Bürgermeister ihn hofiert, ihm sogar eine Position angeboten, die er ablehnte, auf der anderen Seite war Glücksmann der Judenhass Luegers wohl bewusst. Nach seiner Rückkehr aus Ungarn 1890 hatte sich der junge Schriftsteller in der Vereinsgasse in der Leopoldstadt niedergelassen. „Glücksmann wird dort mit einem steigenden Antisemitismus konfrontiert, die soziale Prekarität der Vorstadt schlägt auf“, erklärt Friedrich. „Das ist eine Lebensschule für ihn“. Seine beste Zeit sei von der Jahrhundertwende bis in die späten 1920er Jahre gewesen. „Das waren wohl die Jahre der Anerkennung. Er erhält den Professorentitel, wird Ehrenbürger von Wien“.

Warum gerät eine anerkannte und in den Kulturkreisen Wiens hochgeschätzte Persönlichkeit derart in Vergessenheit? „Zum einen stirbt Glücksmann im Exil“, erklärt Friedrich, „zugleich stand er als Lektor, dann als Dramaturg immer in der zweiten Reihe. Er hat zwar Arthur Schnitzler zum Durchbruch verholfen und Oscar Wilde auf die Wiener Bühnen gebracht, aber selbst stand er nicht im Rampenlicht. Doch er hat der Wiener Theaterlandschaft Impulse gegeben, die bis heute nachwirken.“

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