Ein schönes Gefäß mit wenig Inhalt

Daniel Libeskind schuf für das jüdische Museum Kopenhagen einen wunderbaren Ausstellungsraum. Wer es ganz verstehen will, sollte eine Führung nehmen.
Von Helen Liesl Krag

Auf einer Insel inmitten der Großstadt Kopenhagen liegt das Parlament, das Zentrum der Macht. Früher einmal befand sich hier das Schloss, dem die Insel ihren Namen verdankt: Schlossholmen. Auch einige Museen haben hier ihren Platz gefunden. Im Zentrum dieses Ortes der Macht und der Kultur liegt ein stiller Garten, wo sich einst der Kriegshafen mit seinem Provianthaus befand, das dann später zur königlichen Bibliothek wurde. In diesem Idyll, eingeklemmt zwischen den geschichtsträchtigen Backsteingebäuden, liegt das erst 2004 eröffnete dänische jüdische Museum. Eine kleine Pforte in einer großen Mauer führt den Besucher in winzig kleine, schiefe Räume, die auf den ersten Blick Katakomben gleichen.

Vieles in Dänemark ist klein. Das Land als Ganzes oder die Meerjungfrau. Und auch das jüdische Museum. Mit seinen nur 400 Quadratmetern Ausstellungsraum ist es nicht größer als zwei Patrizierwohnungen. Die Raumausnützung aber ist optimal. In sich verflochtene Gänge buchten sich durch den Raum. Sie tun das auf unebenem Boden. Manch ein Besucher klagt schnell einmal über Seekrankheit. Diese Assoziation ist gewollt. Das jüdische Museum in Kopenhagen wurde vom Dekonstruktivisten Daniel Libeskind entworfen und soll mit seinem welligen Boden an die Rettung der dänischen

Juden bei hohem Seegang über den Sund nach Schweden erinnern. Für das kleine, jüdische Museum war es eine Auszeichnung, Libeskind als Architekten zu gewinnen. Er hob die Formen der historischen Räumlichkeiten auf und schuf eine neue, symbolisch verdichtete Form, die selbst zum Inhalt wird. Über allem schwebt das Wort Mitzvah, „die gute Tat“, als die die Rettung der dänischen Juden erlebt wird. Die hebräischen Buchstaben, die auch im Logo des Museums erkennbar sind, machen die Struktur des Raumes aus. Das muss man allerdings wissen, um es zu erkennen.

Überraschende Lichteinfälle sowie schräge Wände, die in die winzigen Fenster eingelassen sind, hinter denen sich die Museumsgegenstände und Täfelchen mit Erklärungen sammeln, sind Wegweiser. Libeskind bündelt sie in fünf Gruppen: Exodus steht für die Geschichte der Einwanderung, Wildnis enthält die vielen religiösen, kulturellen und sozialen Identitäten, Empfang der Gesetzestafeln zeigt die Traditionen in Texten und Gegenständen, Gelobte Länder widmet sich jüdischen Idealen wie Assimilation, Sozialismus, Zionismus. Mitzvah zeigt letztendlich den fast mythologischen Höhepunkt all jüdischen Lebens in Dänemark: die durch Dänen vermittelte Fluchterfahrung.

Die Geschichte der Juden in Dänemark ist kurz. Die ersten, vor allem wohlhabende Juden kamen Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie brachten Geld mit und erhielten dafür Privilegien. Die Ärmeren wurden ausgewiesen. Als im 19. Jahrhundert den Juden die Gleichberechtigung zugestanden wurde, war diese Maßnahme von Unmut weiter Bevölkerungsteile begleitet. Dann jedoch passten sich alle an. Vor dem Ersten Weltkrieg kamen neue Juden aus Russland, vor dem Zweiten Weltkrieg aus den deutschsprachigen Gebieten, Ende der 1960er Jahre aus Polen, alle waren sie auf der Flucht vor Antisemitismus und Verfolgung. Für Dänemark spricht, dass bei allen Vorbehalten, in diesem Land niemals Juden ermordet wurden.

Wie andere Länder in Europa wurde auch Dänemark von der Deutschen Armee besetzt. Aber ungleich anderen Ländern blieben Juden in Dänemark mehr oder weniger unbehelligt – bis zum Oktober 1943, als die Besatzungsmacht auch hier „Judenaktionen“ plante. Innerhalb weniger Tage wurden fast alle Juden gewarnt und versteckt und danach von dänischen Fischern über das Meer gerettet. Schweden nahm die etwa 7.000 Juden aus Dänemark als Flüchtlinge auf. 475 schafften es nicht, sie wurden nach Theresienstadt deportiert, aber die meisten von ihnen gerettet. Nur 53 Menschen kamen um.

Das kann durchaus als das dänische Wunder bezeichnet werden. In Wahrheit war alles viel komplexer, aber es ist das eine wunderschöne Geschichte, von der man nicht genug bekommen kann, wenn man wie ich in Österreich aufgewachsen ist. Angeblich haben die Nachbarn sogar die Blumen der geflüchteten Juden gegossen und deren Katzen gefüttert. Man erzählt sich auch, dass der König mit dem Davidstern an der Brust durch die Straßen Kopenhagens ritt. Das aber ist wirklich nur eine fantasievolle Erzählung, die Dänemark viel Ruhm eingebracht hat.

Die Räume des Museums sind wie ein gut geformtes Gefäß, das noch der Füllung mit der Geschichte und dem Leben harrt. Libeskinds Idee ist Verpackung. Erst die Ausstellungen füllen den Raum. Wer und was ist auszustellen? Wer soll sich das alles anschauen? Wer es herzeigen? Das Museum wendet sich vor allem an die Außenwelt, es will den Dänen zeigen, wer ihre Juden sind. Es will damit wohl auch Prototyp für ein Minderheitenmuseum sein, das Minderheit wie Mehrheit in ihrer Vielfalt zeigt. Wer aber gehört der Minderheit an? Hier leistet das Museum sicher Neues: Jude ist hier, wer sich selbst als Jude erlebt. Das Museum will nicht so sehr Judaica zeigen, als all das, was jüdisches Leben in seinem historischen Kontext beleuchten kann.

„Räume und Geräumigkeit“ nennt sich die Ausstellung und will damit eben diese Vielfalt und Toleranz einfangen und umfassen. Interessanterweise fühle ich mich selbst trotz der Vielfalt nicht angesprochen, dabei lebe ich seit 40 Jahren in Dänemark. Nur einige alte Scheren von Schneidern aus Galizien ähneln der meiner Großmutter, die sie aus dem Stetl nach Wien mitbrachte. Es gibt in diesem Museum trotz der Vielfalt keine jüdische Identität, die zu mir passt. Vielleicht bin ich doch nicht dänisch oder jüdisch oder typisch genug?

Direktorin des Museums ist eine Ethnologin, die in der dänischen Museumswelt gut verankert ist, was helfen sollte, dem Museum die staatliche Anerkennung durch die Kulturerbebehörde zu verschaffen. Das könnte finanzielle Hilfe bringen, denn Geld für Neuanschaffungen gibt es heute ebenso wenig wie Platz für Sonderausstellungen. Kustode ist ein minderheiteninteressierter Historiker. Unterstützt werden sie in ihrer Arbeit von jüdischen Freiwilligen und studentischen Praktikanten aus vielen Fachbereichen, die eingeschult werden und fachgerechte Führungen veranstalten.

Ich habe das Museum selbst mehrfach besucht. Die Idee Libeskinds und der Museumsleitung wurden mir dabei nicht zugänglich. Erst als ich mir das Museum für diesen Artikel vom Kustoden zeigen ließ, verstand ich die Zusammenhänge. Ich empfehle allen Besuchern der Stadt einen Besuch im Museum, aber unbedingt mit einer Führung. Dass es trotz einer marginalen jüdischen Bevölkerungsgruppe gelang, ein dänisch- jüdisches Museum noch dazu in so wunderschöner zentraler Lage einzurichten, ist ein Wunder. Dass Daniel Libeskind sich bereit erklärte, das Museum zu entwerfen, umso mehr. Besonders erstaunlich aber finde ich, dass das Museum laut Publikumsumfrage so viele zufriedene Besucher zu verzeichnen hat. Aber vielleicht weilen manche nur voll Sympathie bei der Vision des dänischen Volkes, das gut zu seinen Juden war.

JÜDISCHES MUSEUM

Kopenhagen
Proviantpassage 6
DK-1218 Kopenhagen
E-Mail: info@jewmus.dk
Telefon: +45 3311 2218
www.jewmus.dk (dänisch und englisch)

ÖFFNUNGSZEITEN:
Sommer (1.6. bis 31.8.):
Dienstag bis Freitag 13–16 Uhr,
Samstag und Sonntag 12–17 Uhr
Winter (1.9. bis 31.5.):
Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr
Montags geschlossen.

EINTRITTSPREISE:
Kinder und Jugendliche (bis 16 Jahre): freier Eintritt
StudentInnen und SeniorInnen: 30 DKK
Erwachsene: 40 DKK

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