Ein Rufzeichen, das Fragen stellt

Die Geschichte der Stadt Wien aus der lange ausgeblendeten jüdischen Perspektive erzählen: Das ist das Leitmotiv der neuen permanenten Ausstellung des Jüdischen Museums Wien. Der Titel ist eine starke Ansage: „Unsere Stadt!“ Ein Rufzeichen, das Fragen stellt.
Von Peter Menasse

Frau Jacobowitz’ Koffer und Harry Webers Enfield-Karabiner stehen am Anfang der neuen permanenten Ausstellung des Jüdischen Museums Wien. Zwei berührende Objekte, die ganz unterschiedliche Schicksale von Wiener Juden erzählen, die nach der Schoah nach Wien zurückkehrten. Harry Weber mit der Jewish Brigade aus Palästina und Josef Stöhr als Überlebender aus Theresienstadt. Er kam mit dem Koffer von Frida Jacobowitz, die aus Berlin zunächst nach Theresienstadt deportiert worden war und später in Auschwitz ermordet wurde.

Zitate von österreichischen Nachkriegspolitikern, die belegen, dass die Wiener Jüdinnen und Juden keineswegs auf die Unterstützung der Regierung zählen haben können, runden den Einstieg in die Ausstellung ab.

„Sicherlich würden wir es nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher käme und sich hier etabliert, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen.“
Karl Renner, Präsident der Republik Österreich (1945–50) im Februar 1946

Zitate, die keinen Zweifel mehr offen lassen: Die Juden waren nach der Schoah und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien nicht erwünscht. Wenn Anny Farkas am 31. Oktober 1945 an ihren Mann Karl folgende Zeilen schreibt, dann lässt das auf die Stimmung in Österreich schließen:
„Du fragst mich, ob du in Wien noch Publikum hättest. Ich glaube, dass sich alles sehr verändert hat. Die Denker wurden getötet oder vertrieben und die anderen – ich habe kein Vertrauen in das goldene Wiener Herz. Sie waren so böse und ich habe Angst, dass sich ihre Meinung nicht geändert hat. Ich bin aber sicher, dass du dein Publikum, deine Bewunderer hättest.“

„Ich vermisse in Wien ein Haus der Geschichte. Wir brechen dieses Vakuum auf und beenden den Erzählstrang ganz bewusst nicht mit 1938 oder 1945, sondern führen bis ins jüdische Wien heute“, so die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera.

Die Ausstellung gliedert sich in zwei Teile. Der Anfang befindet sich im Erdgeschoß, wo die Jahre von 1945 bis zur Gegenwart gezeigt werden. Rund 200.000 Juden lebten vor der Schoah in Wien und bildeten eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Mehr Juden lebten nur in Warschau und Budapest. In diesem Teil der Ausstellung lässt sich ermessen, wie schwierig und frustrierend es für die Überlebenden der nahezu ausgelöschten Gemeinde war, ihre Existenz in Wien wieder aufzunehmen und zur heutigen, wenn auch kleinen Gemeinde zu werden.

Man wollte sie nicht zurück
„Wiener in arisierten Wohnungen waren über die Rückkehr der Vorbesitzer nicht erfreut, genauso wenig wie die Politik. Das soll gezeigt werden“, erklärt Chefkurator Werner Hanak-Lettner, der im Dialog mit Direktorin Spera das Konzept zur permanenten Ausstellung entwickelte. Die meisten Wiener Emigranten wollten nicht mehr in ihre ehemalige Heimatstadt zurückkehren und für die mehr als 250.000 sogenannten Displaced Persons (Juden aus Polen, Tschechien, Ungarn oder Rumänien, meist KZ-Überlebende) wurde Wien nur zur Zwischenstation. Ihre Ziele waren das damalige Palästina oder die Vereinigten Staaten. Jene, die in Wien hängen blieben, waren am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Wien maßgeblich beteiligt.

Max Berger und Margit Dobronyi
Für die Immigration aus dem Osten stehen stellvertretend der Judaika- Sammler Max Berger und die Fotografin Margit Dobronyi. Max Berger, der einzige Überlebende seiner Familie, kam nach 1945 aus Galizien nach Wien, Margit Dobronyi nach dem Ungarnaufstand 1956. Berger begründete in Andenken an seine ermordete Familie seine Judaika-Sammlung, Dobronyi musste ihren Lebensunterhalt verdienen und wurde als Fotografin zur Chronistin der jeweiligen Gegenwart der jüdischen Nachkriegsgemeinde, die immer mehr von Zuwanderern belebt wurde. Berger und Dobronyi verbanden die Schoah nicht mit Wien, weshalb es ihnen leichter gelang, die Gemeinde neu zu beleben. Die Fotos von Frau Dobronyi vermitteln das Bild einer lebensfrohen Gemeinde, einige hundert davon laufen jetzt im Jüdischen Museum auf großen Screens.

Demgegenüber steht die Politik und Kultur der Jahre ab 1960 mit all ihren Klüften, von der Affäre Kreisky-Peter-Wiesenthal bis hin zu Waldheim und der legendären Rede von Franz Vranitzky über die Mitverantwortung Österreichs an den Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus, dafür stehen Objekte, wie die Schreibtischlampe von Simon Wiesenthal oder ein Modell des legendären Waldheim- Holzpferds. Über all dem schwebt das Fahrrad von Theodor Herzl, das von beiden Teilen der Ausstellung zu sehen ist.

Vom Mittelalter zur Schoah
Ihre Fortsetzung findet die Ausstellung im zweiten Stock. Hier wird die Geschichte der Wiener Juden vom Mittelalter bis zu den Jahren 1938 und 1945 gezeigt. Den Anfang machen die Bodenfliesen aus der zerstörten mittelalterlichen Synagoge auf dem Judenplatz und der Grenzstein des Ghettos im Unteren Werd (heutige Leopoldstadt) aus dem Jahr 1656. Verschiedene Stationen führen durch die Geschichte. Spera fasst den Rundgang so zusammen: „Wir zeigen die Wiener jüdische Geschichte vom Toleranzpatent, den Hofjuden, zur offiziellen Gründung der Gemeinde mit dem Stadttempel, zur Rolle der Juden bei der Revolution 1848, Wien als Stadt der Migranten, bis hin zur Gründerzeit, über den Aufbruch um 1900, dem aufkeimenden Antisemitismus, den Beginn des Zionismus, die Zwischenkriegszeit, wo das Rote Wien besonders von jüdischen Politikern geprägt wurde, bis hin zur Schoah. Das alles auf unserem begrenzten Raum im Palais Eskeles.“

Die „Gute Stube“
Trotz engem Raum ist es gelungen, eine Installation der zeitgenössischen Künstlerin Maya Zack unterzubringen. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Maler Isidor Kaufmann für das damalige Jüdische Museum einen Raum gestaltet, der vermittelte, wie Juden ihren Schabbat feiern. Dieser Raum sollte die damals bereits in hohem Maße assimilierten Wiener Juden daran erinnern, wie das Leben ihrer Vorfahren noch wenige Jahrzehnte zuvor im Schtetl abgelaufen war. Die sogenannte „Gute Stube“ wurde 1938 bei der Zerstörung des ersten Jüdischen Museums durch die Nationalsozialisten vernichtet. Maya Zack hat nun auf Einladung von Danielle Spera die „Gute Stube“ neu entstehen lassen und auf heutige Weise interpretiert. Das zeitgenössische Kunstwerk verbindet auf eindrückliche Weise die Geschichte des alten Jüdischen Museums mit der Gegenwart und steht damit für den Anspruch der gesamten Ausstellung.

Schon vor dem Engagement von Maya Zack haben die zeitgenössischen Künstlerinnen Brigitte Kowanz und die vor wenigen Jahren verstorbene Amerikanerin Nancy Spero mit ihren Werken das Palais Eskeles bereichert.

Last but not least werden mit der neuen Dauerausstellung auch die beiden Standorte des Jüdischen Museums Wien näher zusammengeführt. Eine App bietet einen „jüdischen Pfad“ an, der zu einer spannenden Reise durch die heute meist nicht mehr sichtbaren Spuren jüdischer Geschichte einlädt.

Jüdisches Museum Wien
Dorotheergasse 11, 1010 Wien
Sonntag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr
Samstags geschlossen

Jüdisches Museum am Judenplatz
Judenplatz 8, 1010 Wien
Sonntag bis Donnerstag, 10 bis 18 Uhr
Freitag, 10 bis 14 Uhr
Samstags geschlossen

Eintrittspreise:
Normalpreis EUR 10,-
Ermäßigter Eintritt EUR 8,-
Jugendticket EUR 5,-

www.jmw.at

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